Es ist an der Zeit, dass die Bildhauer, die sich ein Porträt der Dame Justitia vornehmen, das Tuch weglassen, das sie traditionell über den Augen hat. Was die Gerechtigkeit heute braucht, ist eine Bauchbinde.
Das Rechtsempfinden, das ja bekanntermaßen eher in der Nähe des Verdauungstraktes sitzt als in der Nähe des Hirns, ist – das bestätigen selbst bayerische Ministerpräsidenten – auf dem besten Weg, das Recht abzulösen.
Es lässt Gerechtigkeit, was immer das manchmal heißt und wie wackelig es auch aus den Justizpalästen hinkt, über das Gesetz triumphieren. Beugt es im Notfall, bis es bricht.
Damit wären wir jetzt in Rostock. Da hat man schon von Systemzeiten her eine gewisse Routine im Beugen von Gesetzen, darin die Wahrheit zu ignorieren, wenn sie nicht so recht ins ideologische System passt.
Das muss sich irgendwie derart in die doch ziemlich schäbigen Mauern des Kommissariats der „Polizeiruf 110“-Ermittler Bukow und König eingenistet haben, dass man sich eigentlich über gar nichts mehr wundern dürfte. Es geht halt aber wie überall immer noch schlimmer.
Weil das Rechtssystem, das wahrscheinlich beste, das es je auf deutschen Boden gab, einen trotzdem manchmal zur Verzweiflung bringt und in heißer Gerechtigkeitswut über seinen Rand in den Abgrund des Verbrechens taumeln lässt.
Nehmen wir den Fall Janina. Die fuhr 1988 zum legendären Bruce-Springsteen-Konzert in Ost-Berlin. Sie kam auch wieder zurück. Dann war sie tot, vergewaltigt, ermordet, ein Skandal.
Ein russischer Matrose durfte es nicht gewesen sein. Ein Rostocker wurde verurteilt, saß ein, kam wieder frei, weil ein Gutachten kassiert werden musste.
Paragraf 361!
Dreißig Jahre später, die Kommissare Bukow und König, das hohe Paar der ermittelnden Hassliebe, sind gerade wegen Rechtsbeugung verurteilt worden, geht alles von vorne los.
Geht es nicht, nicht ganz, weil der Verdächtige, der – es gibt neue Technik – als Täter feststeht, für den Mord nicht erneut verurteilt werden darf. Paragraf 361 Strafprozessordnung.
Was macht man, wenn man damit nicht leben kann? Wie weit gehen Bukow und König, wenn sie sich nicht gerade verprügeln? Wie weit würden Sie gehen? Man kommt nicht raus aus diesem Film.
„Jetzt ist alles möglich“, sagt König zu Bukow am Ende. Das ist eine ganz schlimme Drohung.
„Für Janina“ greift einen an. Die Rostocker, die noch nie besser waren, packen einen in die moralische Zwickmühle, dann drehen sie in seltener Einmütigkeit – wütend und verzweifelt – am Rad. Tut ganz schön weh, ist ganz schön gut.