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Formel 1 Ferrari

Hexenjagd auf Sebastian Vettel in Italien

Die italienische Öffentlichkeit hat Sebastian Vettel als Sündenbock für Ferraris Desaster in der Formel 1 ausgemacht. Manche möchten sogar, dass er sein Cockpit räumt. Eine Problem-Analyse.

Es gehört nicht unbedingt zu den schönsten Aufgaben, zu einem Grand Prix zu reisen, der so überhaupt keine Bedeutung mehr für den Ausgang der Fahrer-Weltmeisterschaft hat. Während Lewis Hamilton nach seiner frühen Titelverteidigung vor zwei Wochen in Mexiko nun in Brasilien auf die ersten Ehrenrunden geht und sich für eine brillante Saison feiern lassen darf, wirkt Sebastian Vettel in diesen Tagen lange nicht so unbekümmert wie noch vor Wochen.

Die italienische Öffentlichkeit ging zuletzt hart ins Gericht mit dem Heppenheimer. Für die Medien ist er der Sündenbock für ein nicht erwartetes Ferrari-Desaster in der Formel 1. Von einer Ausstiegsklausel wird vor dem Rennen am Sonntag (18.10 Uhr, im WELT-Liveticker) auf dem Kurs von Interlagos berichtet und empfohlen, davon dringend Gebrauch zu machen, weil Vettel für einen Champion zu viele individuelle Fehler unterlaufen seien. Ein unschönes Jahresfinale für den Deutschen, der mit zwei Rennsiegen und Titelambitionen in die Saison gestartet war und nun in Sao Paulo entsprechend nachdenklich wirkt.

„Der Seb kann mit dem umgehen, so was macht ihn nur noch stärker“, sagt Norbert Vettel, Sebastians Vater, zur Hexenjagd der Italiener. Fakt ist aber auch: Der viermalige Weltmeister hat 2018, vor allem im zweiten Teil der langen Saison, sechs Fahrfehler in sechs verschiedenen Rennen geliefert, in Aserbaidschan, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und den USA.

Vettel: „Da ist etwas lose zwischen meinen Beinen“

Fest steht aber auch, dass Vettels Fehlerquote in Zusammenhang mit dem massiven Leistungsabfall des Ferrari steht. Sinnbildlich sein Funkspruch an seine Ingenieure beim Training am Freitag: „Da ist etwas lose zwischen meinen Beinen. Außer dem Naheliegenden. Irgendwas hüpft zwischen meinen Füßen rum. Wäre es das, woran ihr denkt, wäre ich stolz. Aber das ist es nicht.“ Später verrät er: Eine Schraube war ins Cockpit geflogen, hatte ihn im Schritt gestört.

Bei fünf Grands Prix versagte entweder die Technik oder aber die Scuderia produzierte strategisch-taktische Fehler, die Vettel mit risikoreicherer Fahrweise auszugleichen versuchte.

Seit 2007 fährt die Scuderia nun schon dem WM-Titel hinterher, manchmal knapp, manchmal erschreckend weit. Die ehemaligen Hoffnungsträger, Kimi Räikkönen aus Finnland und der Spanier Fernando Alonso, konnten in der Ära nach Michael Schumacher nicht gefallen. Sebastian Vettel wurde vor drei Jahren wie ein Messias in Maranello empfangen, von ihm versprachen sich die Italiener den Durchbruch. Endlich wieder ein deutscher Tüftler, doch nun wollen sie ihn am liebsten aus dem Cockpit jagen.

Das bringt zusätzliche Unruhe und verschärft die ohnehin schon problematische Lage des Teams. Ferrari fährt in den letzten zwei Rennen der Saison – am Sonntag in Brasilien und zwei Wochen später in Abu Dhabi – mit Mercedes immerhin noch um die WM der Konstrukteure.

Und Vettel sagt: „Das ist jetzt unser Hauptziel. Wir werden versuchen, Mercedes vom Thron zu stoßen. Wir wollen ihnen damit einen Vorgeschmack für das nächste Jahr geben.“ Zum anderen: Der 31 Jahre alte Deutsche besitzt einen Vertrag bis Ende 2020 und möchte den auch einhalten. Und selbst wenn es darin eine Ausstiegsklausel gäbe, würde Ferrari kaum gleichwertigen Ersatz für Vettel finden. Die Fahrer, die ihn ersetzen könnten, hat das Team schon in der Vergangenheit – teilweise überhastet – entlassen: Alonso und Räikkönen.

Andere hochkarätige oder vielversprechende Spitzenpiloten, wie etwa der Niederländer Max Verstappen von Red Bull, sind vertraglich gebunden, sie stehen aktuell deshalb nicht zur Verfügung. Einen zweiten unerfahrenen Fahrer kann sich Ferrari nicht leisten. Denn wer außer dem viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel könnte dem neuen, erst 21 Jahre alten Monegassen Charles Leclerc bei seinem schwierigen Ferrari-Debüt 2019 helfen? Die Scuderia steckt mächtig in der Klemme.

Wie Schumacher per Order Weltmeister wurde

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Zu groß ist zudem die Einflussnahme von außen. Jean Todt, vor seiner Zeit als Präsident des Automobil-Weltverbandes Fia der erfolgreichste Teamchef der Ferrari-Geschichte, wusste um die Macht der italienischen Presse und gab direkt bei seinem Amtsantritt, Mitte der 1990er-Jahre, die Order „no panicking“ aus. Die Ansage des Franzosen galt für alle Mitarbeiter und war oberstes Gebot. Eddie Irvine, damals Teamkollege von Michael Schumacher, erinnert sich: „Todts Befehl bei Ferrari die Öffentlichkeit auszublenden führte dazu, dass alle Entscheidungsträger im inneren Kreis des Teams keine italienischen Zeitungen mehr beachteten. Das brachte Ruhe und schärfte unseren Blick für das Wesentliche.“

Sebastian Vettel wird in Italien schwer angegangen. Er möchte in der kommenden Saison aber erneut versuchen, im Ferrari den WM-Titel zu gewinnen
Sebastian Vettel wird in Italien schwer angegangen. Er möchte in der kommenden Saison aber erneut versuchen, im Ferrari den WM-Titel zu gewinnen
Quelle: AFP

Die Order war einer der wichtigsten Bausteine für die größte Erfolgsserie der Mannschaft aus Maranello in 68 Jahren Formel 1. Fünf Titelgewinne für Schumacher (2000 bis 2004) und sogar sechs Siege in der Konstrukteurswertung (1999 bis 2004) belegen eindrucksvoll die Dominanz der Scuderia zu Beginn des Jahrtausends.

Bei Ferrari haben sie das zwar nicht vergessen und stehen noch hinter Vettel als Hoffnungsträger. „Wir gewinnen und wir verlieren als Team“, behauptet Maurizio Arrivabene. Auch sagt der Teamchef: „Es gibt keinen Alleinschuldigen.“ Denn Tatsache ist, dass Ferrari und Vettel in diesem Jahr die Fahrer-WM gemeinsam Lewis Hamilton und Mercedes überlassen haben.

Auch Schumacher hatte lange Probleme

Zudem sind die strukturellen Probleme des Rennstalls auch nicht mit der Trennung von dem viermaligen Weltmeister allein zu lösen, der noch immer hoch motiviert ist. Vor zwei Wochen erst antwortete Sebastian Vettel WELT AM SONNTAG auf die Frage, was er denn bis zum Auslaufen seines Vertrages 2020 erreichen wolle: „Mein Ziel ist es, mit Ferrari Weltmeister zu werden.“ Daran gäbe es trotz der Enttäuschungen in diesem Jahr keinen Zweifel. „Ich denke, jedes Rennen und jede Saison zeigt Schwächen auf. Es liegt an uns, diese anzupacken.“

So lief das Qualifying in Brasilien

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Problematisch ist allerdings, dass Geduld nicht eben zu den ausgewiesenen Stärken der italienischen Öffentlichkeit zählt. Zudem darf als Hauptgrund für die Vereinfachung beim Beantworten der Frage nach dem Schuldigen für die Misere gelten: Ein Mann ist als Zielscheibe leichter zu treffen und schuldig zu sprechen als die komplexe Struktur des Mythos Ferrari. Nicht umsonst sagt Luca di Montezemolo, der ehemalige Scuderia-Präsident, über das Nationalheiligtum: „Ferrari ist in Italien neben dem Papst die wichtigste Institution.“

Eines sollten die Nörgler bei aller berechtigter Kritik und dem Verweis auf individuelle Schwächen und mannschaftliche Fehler allerdings nicht vergessen. Auch der noch heute in Italien verehrte Rekordchampion hatte anfangs mit erheblichen Widrigkeiten zu kämpfen. Als Michael Schumacher zum ersten Mal im Cockpit eines roten Renners triumphierte, fuhr er schon eine halbe Ewigkeit für Ferrari. Fünf Jahre.

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