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Film „Loro“

Dieser Film setzt Silvio Berlusconi ein Denkmal

Ressortleiter Feuilleton
Tragischer Clown: Toni Servillo als Silvio Berlusconi Tragischer Clown: Toni Servillo als Silvio Berlusconi
Jede Falte sitzt: Toni Servillo als Silvio Berlusconi
Quelle: DCM
Darf man einem Populisten wie Silvio Berlusconi als philosophischen Clown zeigen? Paolo Sorrentino tut genau das. Sein Spielfilm „Loro“ kommt der Wahrheit über den Politiker näher als jede Parodie.

Gegen Ende dieses großen Films sitzt Silvio Berlusconi, gespielt von Toni Servillo, in seinem Privatjet, müde, einsam, das Gesicht voller Sorgenfalten. Fast ängstlich stellt er eine Frage: „Paolo, sollte es nicht allmählich ein Museum für mich geben?“ – „Jetzt noch nicht, Dottore!“, antwortet sein geheimnisvoller Gehilfe, ein bleicher Asket in der weißen Uniform eines James-Bond-Schurken. Er scheint zu wissen, dass dieses Museum kommen wird, vielleicht ahnt er sogar, dass er sich bereits darin befindet – ein anderer Paolo, er heißt Sorrentino, hat es auf 35-Millimeter-Film gedreht.

Es ist keine Übertreibung, den Kinofilm „Loro“ als Museum, vielleicht sogar als Mausoleum für Silvio Berlusconi zu betrachten (was übrigens keineswegs heißt, dass dieser darin verklärt oder verherrlicht würde, aber dazu später). Natürlich ist der ehemalige Ministerpräsident Italiens als Figur der Zeitgeschichte noch ziemlich lebendig, aber die Mausoleen der Antike wurden auch oft zu Lebzeiten gebaut. Und herrscht nicht in jedem Palast, der als Bollwerk gegen die Zeit und ihr Zerstörungswerk erbaut wird, insgeheim schon der Tod?

Die Ruinen des alten Roms ragen in diesen Monumentalfilm des dritten Jahrtausends buchstäblich hinein – oder ist es andersherum? In der vielleicht schönsten Szene (wobei es zahllose vielleicht schönste Szenen gibt) stürzt ein schweres Müllfahrzeug, dessen Fahrer einer Ratte ausweichen wollte, von einer Brücke in Superzeitlupe aufs Trümmerfeld des Forum Romanum. Dort überschlägt sich der Wagen, um seinen Inhalt explosionsartig in den Nachthimmel zu schleudern – eine Galaxie aus Abfall, von einer zufällig vorbeistöckelnden Karawane aus Supermodells bestaunt wie ein eine göttliche Offenbarung.

„Ein Kind, das Angst vor dem Sterben hat“

Dieses völlig bizarre Vanitasbild bleibt wie viele andere Bilder in diesem Film einfach für sich stehen. Wer will, kann eine politische Allegorie darin erkennen, zum Beispiel ein Gleichnis auf eine korrupte Medienwelt, die auf der Zirkulation von Schmutz beruht und ihre eigene Verkommenheit noch im Augenblick der Katastrophe feiert. Doch vor allem ist es ein Tableau von verschwenderischer Schönheit, und man kann kaum sagen, was darin schöner ist: die an der Balustrade aufgereihten Betrachterinnen oder die Supernova aus Müll, die sie betrachten.

„Du bist nur ein Kind, das Angst vor dem Sterben hat“, erklärt Berlusconis Frau ihrem Mann in einem der epischsten Ehestreits der Kinogeschichte, bevor sie endgültig Abschied nimmt von dessen Villa auf Sardinien – einem authentischen Drehort, den der echte Berlusconi dem von ihm verehrten Filmregisseur zur Verfügung gestellt hat. Mit seinem antiken Karussell, einer Volière voller Schmetterlinge und einer historischen Zahnradbahn ist das Refugium eine Art nostalgischer Themenpark. Ein Hauch von Zirkusatmosphäre liegt über allem, und wenn Berlusconi Gäste empfängt, zum Beispiel Senatoren, die er bestechen will, dann lockt er sie mit der diebischen Freude eines Clowns in sein Labyrinth aus künstlichen Gewässern, geheimen Transportmechanismen und versteckten Lautsprecheranlagen. Der Boss eines Fernsehimperiums ist der erste, oft sogar einzige Zuschauer des großen Spektakels, das er veranstaltet.

Auf dem Hintern einer Prostituierten

„Weißt du eigentlich, wie viele Bücher es gibt, die mich kritisieren?“, sagt Berlusconi einmal mit einem Anflug von Stolz. Paolo Sorrentino verweigert ihm den Gefallen, dem auch noch einen Film hinzuzufügen. Für alle, die einen „kritischen“ Berlusconi-Film erwarten, muss „Loro“ eine einzige Enttäuschung sein. Aber was wäre ein solcher Film mehr als eine weitere Kopie jenes Abziehbildes, das von Berlusconi, dem Bunga-Bunga-Zamapano, ohnehin seit Jahrzehnten im Umlauf ist? Das erste Mal, dass er in „Loro“ auftaucht, ist als Tattoo auf dem Hintern einer Prostituierten, die auf einer kleinen Yacht während der Verrichtung ihrer Dienste eine Linie Kokain zieht. Das Grinsen des stilisierten Staatsmanns verzieht sich bei jedem Stoß ins Diabolische. Eine Figur, die schon als Parodie ihrer selbst angelegt ist, kann man durch weitere Parodien nur affirmieren. Der Geniestreich dieses Films besteht darin, sie auf tragische Weise ernst zu nehmen.

„Loro“ heißt auf Italienisch „Sie“, dritte Person Plural. Sie, das sind alle, die nicht Berlusconi sind – die aber wie eine Religionsgemeinschaft um ihn kreisen, weil sie sich versprechen, dass etwas von seinem Zauber, das heißt: von seiner Macht und seinem Geld durch Berührung auf sie übergehen möge. Es ist ein Hofstaat aus blutjungen Models, uralten Männern mit salamifarbener Gesichtshaut, operierten Ladys mit Visagen, die an die Katzenmenschen in „Avatar“ erinnern, und Ehrgeizlingen wie Sergio, einem eleganten Strizzi, den Riccardo Scamarcio mit der Rastlosigkeit des jungen Mastroianni spielt. Sein Provinzimperium aus Drogen und Mädchen genügt ihm nicht, er schielt – eine der bösen Pointen – auf einen Posten als Europaabgeordneter und hofft auf Berlusconis Protektion.

Set del film "Loro" di Paolo Sorrentino. Nella foto Riccardo Scamarcio. Foto di Gianni Fiorito Questa fotografia è solo per uso editoriale, il diritto d'autore è della società cinematografica e del fotografo assegnato dalla società di produzione del film e può essere riprodotto solo da pubblicazioni in concomitanza con la promozione del film. E’ obbligatoria la menzione dell’autore- fotografo: Gianni Fiorito.
"So müsste alles für immer und ewig bleiben": Riccardo Scamarcio in "Loro"
Quelle: GIANNI FIORITO/Indigofilm

Sorrentino schildert diese dekadente Welt in exzessiven, aber auch zutiefst existenziellen Bildern, die an den dionysischen Taumel der ganz großen Fellini-Filme erinnern. Dabei entfesselt „Loro“, seinerseits dekadent, die visuelle Gewalt von umgerechnet eintausend überproduzierten Werbespots, um Szenen mit Ewigkeitswert zu schaffen. Auf einer römischen Clubtoilette, in der Drogen und Intimitäten ausgetauscht werden, sitzt ein düster ins Leere stierender Mann auf einer Kloschüssel wie ein sinnierender Seneca. Im Verlauf der orgiastischen Party, die Sergio in einer Villa veranstaltet, die er eigens gemietet hat, um die Aufmerksamkeit des Nachbarn Berlusconi zu erzeugen, liegen nackte Frauen mit vom Ecstasy glänzenden Pupillen in Badewannen voller lebender Hummer. Am Ende der Party, als die Sonne sich neigt, wehen die Haare der feiernden Komparsen so plastisch im heißen Mittelmeerwind, dass man das Gefühl hat, die Zeit stünde still – und tatsächlich sagt dann jemand diesen Satz: „So müsste alles für immer und ewig bleiben.“

Berlusconi selbst aber, der eigentlich im Zentrum dieses nur ihm zu Ehren aufgeführten Kultes stehen müsste, hat sich in „Loro“ längst von der Welt abgewandt – und straft auch die Werbung von Sergio, der mit seiner Party wie in „Der große Gatsby“ ein Signal ans andere Ende der Bucht sendet, durch Missachtung. So lässt Sorrentino die absurde Ballung von Sex, Luxus und Schönheit, deren Produktionskosten eigentlich ausreichen müssten, um das italienische Staatsdefizit erheblich zu mindern, auf grandiose Art ins Leere laufen. Dort, in der Einsamkeit eines inneren Exils, hat sich Berlusconi nämlich eingerichtet: Zu Beginn des Films hat er die Wahlen und sein Amt als Ministerpräsident verloren.

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Toni Servillo, der in Sorrentinos vorletztem Film „La Grande Bellezza“ einen aus der Gesellschaft zurückgezogenen Gesellschaftsjournalisten spielte, schließt mühelos an diese Studie in Überdruss und Weltekel an und zeigt uns den alternden Berlusconi als Politiker, der nicht mehr an den Sinn der Politik glaubt. Wer andere überzeugen will, der muss zunächst sich selbst überzeugen – an dieser rhetorischen Grundregel scheitert Berlusconi plötzlich, nicht nur dem Wahlvolk, sondern auch seiner Ehefrau gegenüber, elegisch gespielt von Elena Sofia Ricci. Sie hat sich bereits von ihm abgewandt, auch wenn er sie auf seinem Landsitz als Bajazzo und Troubadour umwirbt, als ginge es um alles in der Welt.

Den Mann der tausend Showgirls als verzweifelten Liebenden zu zeigen, den größten Betrüger der Welt als von der Welt verlassenen Wahrheitssucher, als philosophischen Clown, der selbst der eigenen Lächerlichkeit furchtlos ins Auge blicken kann – das ist eine so verblüffende, so aufwühlende Idee, dass man, wenn man nach Vergleichen sucht, mindestens bei „Citizen Kane“ von Orson Welles, vielleicht sogar bei den Königsdramen von Shakespeare landet.

Ist es denn nun aber ein Propagandawerk, das der Verherrlichung eines Demagogen dient? Am Ende des Films bebt die italienische Erde, Kirchenfassaden zerfließen, die Gegenwart bringt ihre eigenen Ruinen hervor. Vielleicht ist auch das eine Allegorie, ein Gleichnis für die politische Hinterlassenschaft Berlusconis.

Sein Denkmal ist ein Trümmerhaufen, überirdisch leuchtend im Flutlicht des Katastrophenschutzes.

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