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Karriere Forschung

Italiens akademische Elite flieht ins Ausland

Immer mehr Akademiker kehren Italien den Rücken

Italien steckt tief in der Krise und will weiter Schulden machen. Seit der Finanzkrise 2011 gehen immer mehr Akademiker ins Ausland. Jährlich verlassen rund 10.000 Italiener mit Universitätsabschluss das Land.

Quelle: WELT/ Gerrit Seebald

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Seit der Finanzkrise ziehen italienische Wissenschaftler zu Zehntausenden ins Ausland, viele von ihnen nach Deutschland. Darunter leiden Italiens Universitäten und Unternehmen. Die Regierung könnte das Problem mit wenigen Maßnahmen lösen.

Worum geht es

Die Italienerin Eleonora Rivalta kam 2001 zum ersten Mal nach Deutschland, Für ein halbes Jahr arbeitete sie als Austauschstudentin am Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). „Damals habe ich mich für Deutschland entschieden, weil ich in der Schule Deutsch gelernt hatte.“ Anschließend ging sie in ihre Heimatstadt Bologna zurück und schloss ihre Doktorarbeit in Physik ab.

Nur sieben Monate später saß Rivalta aber schon wieder in einem Flugzeug nach Deutschland, diesmal ging es nach Hamburg, wo sie einen Forschungsaufenthalt als Postdoktorandin absolvierte. 2004 bis 2006 waren schließlich die letzten Jahre, die Rivalta in Italien arbeitete: Sie beendete ihre Forschung in Bologna und kehrte mit 31 Jahren ihrer Heimat endgültig den Rücken.

Heute lebt die 45-Jährige in Potsdam und ist Arbeitsgruppenleiterin für Erdbeben- und Vulkanphysik am GFZ. Damit gehört sie zu den rund 46.000 ausländischen wissenschaftlichen Mitarbeitern, die laut der Studie „Wissenschaft weltoffen 2018“ an deutschen Universitäten angestellt sind.

Der Bericht, der gemeinsam vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung herausgegeben wurde, veröffentlicht jährlich die Daten und Fakten zur Internationalität von Studium und Forschung in Deutschland. Und er zeigt seit Jahren einen Trend, der Eleonora Rivaltas Lebensweg entspricht: Immer mehr Italiener kommen nach Deutschland, um hier an Hochschulen zu arbeiten.

Seit dem Jahr 2012 sind die Italiener die größte Gruppe unter den ausländischen Wissenschaftlern. Im aktuellsten ausgewerteten Studienjahr 2016 arbeiteten 3185 Italiener im deutschen Hochschulbetrieb. Doch nie zuvor war ihr Abstand zu den anderen Nationalitäten so groß wie jetzt: Die Italiener liegen ganze 17 Prozent vor den Chinesen (2615). Auf Platz drei und vier folgen Österreich (2481) und Indien (2257).

Quelle: Infografik WELT

„Berlin und Hamburg haben mir gut gefallen, ich habe mich dort gut eingefunden und sehr wohlgefühlt“, erzählt Rivalta am Telefon aus ihrem Büro in Potsdam. Zwar habe sie auch an der Stanford-Universität in den USA und an der University of Leeds in England gearbeitet, 2012 habe sie sich aber entschieden, nach Deutschland zurückzukommen.

Dafür habe es verschiedene Gründe gegeben, sagt Rivalta: „Auf professioneller Ebene konnte ich mich zwar in den USA und in England stärker weiterentwickeln, aber die Lebensqualität ist in Deutschland am besten, darum habe ich entschieden, hier zu leben.“ Außerdem arbeite sie besser ohne Stress und sei daher in Deutschland produktiver.

Seit nunmehr zwölf Jahren lebt und arbeitet Eleonora Rivalta nun schon im Ausland. „Natürlich vermisse ich Italien: meine Familie und Freunde, das gute Essen und die Leichtigkeit, in der eigenen Kultur zu leben und in der Muttersprache zu kommunizieren“, sagt sie. Trotzdem hat sie keine Pläne, nach Italien zurückzukehren.

Und das, obwohl ihr Partner, mit dem sie einen fünf Jahre alten Sohn hat, auch Italiener ist. Er ist Nanowissenschaftler und arbeitet ebenfalls an der Universität – allerdings nicht in Potsdam oder Italien, sondern in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, wo er Associate Professor ist.

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Rivalta erklärt die gemeinsame Entscheidung gegen eine Rückkehr ins Heimatland: „Wir haben auch darüber nachgedacht, nach Italien zurückzukehren, aber das geht nicht so einfach: Es gibt nur wenige Stellen auf hohem Niveau. Darum müssten wir erst mühsam Kontakte aufbauen.“

Akademiker aus Italien lieben Deutschland

Und genau hier zeigt sich das große Problem, das für Italien in dieser Statistik liegt: Seit der Finanzkrise 2011 ist die Zahl der ausländischen Wissenschaftler in Deutschland bei keiner anderen Nationalität so stark gestiegen wie bei den Italienern. Die Akademiker verlassen ihre Heimat in Scharen. Und die deutsche Statistik zeigt dabei nur die positiven Effekte für unser Land.

Doch ein Blick auf die italienischen Zahlen verdeutlicht, dass Italien nach und nach ausblutet. Den neuesten Zahlen des italienischen Statistikinstituts Istat von 2016 zufolge ist der Saldo der Italiener mit Universitätsabschluss, die ins Ausland abwandern, negativ: 10.000 „Gehirne“ verliert Italien so jährlich ans Ausland, das sind doppelt so viele wie vor vier Jahren.

Quelle: Infografik WELT

Auch die italienischen Zahlen zeigen also, dass der Trend sich in den vergangenen Jahren verschärft hat. Für die italienische Staatskasse und Wirtschaft sind das schlechte Nachrichten: Das Land investiert vier Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Ausbildung seiner Bürger, ist aber nicht in der Lage, sie zu halten.

In die Ausbildung eines Studenten, der die Universität mit einem Doktortitel abschließt, hat die Regierung im Schnitt 230.000 Euro investiert. Allein 2016 hat das Land also 2,3 Milliarden Euro über die ausgewanderten Wissenschaftler verloren.

Wenn Forscher nicht zurückkehren, ist das ein Problem

„Ich sehe allein in der Abwanderung des Wissenschaftspersonals nicht das größte Problem“, sagt Ilara Maselli, italienische Arbeitsmarktexpertin beim privatwirtschaftlich finanzierten US-Institut The Conference Board. Es sei gut für Italien, wenn die eigenen Wissenschaftler internationale Erfahrungen sammelten und an Universitäten und Forschungseinrichtungen in anderen Ländern vertreten seien. „Schlimmer ist, dass die Leute häufig nicht zurückkommen und Italien es nicht schafft, ausländische Experten anzulocken.“

Schuld daran seien die nach wie vor schlechten Arbeitsbedingungen in Italien, sagt Maselli. „Die Gehälter sind niedriger als der internationale Durchschnitt, und an manchen Universitäten basieren die Strukturen noch auf einem alten, feudalen System mit alteingesessenen Professoren, die seit Jahrzehnten in ihren Fakultäten regieren.“ Diese Professoren bevorzugen häufig Nachfolger, deren Werdegang sie begleitetet haben. Schlechte Voraussetzungen für Ausländer und Italiener, die seit Jahren im Ausland arbeiten.

Viele Ziele der Bologna-Reform immer noch nicht erreicht

Auch 20 Jahre nach ihrem Start sind viele Ziele der sogenannte Bologna-Reform nicht erreicht worden. Noch immer hakt die Umstellung auf das Bachelor-Master-System. Die Bildungsminister versprechen Besserung.

Quelle: WELT/ Kevin Knauer

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Auch Eleonora Rivalta sieht vorerst keine Möglichkeit, in ihr Heimatland zurückzukehren: „Ich würde zwar gern nach Italien zurückgehen, um dichter bei meiner Familie zu sein, aber nicht um jeden Preis.“ Aktuell würde der Wechsel nach Italien – wenn es denn eine offene Stelle gäbe – 30 Prozent weniger Gehalt bedeuten.

Und: „Ich würde in Italien nicht ausreichend Fördermittel für meine Forschung haben.“ Denn seit 2011 stünden dem Hochschulbetrieb weniger Mittel zur Verfügung, die die Wissenschaftler für ihre Forschungsprojekte einwerben können.

Italiens Hochschulsektor verändert sich langsam

Arbeitsmarktexpertin Maselli glaubt aber nicht, dass alle Hoffnung verloren ist: „Man kann langsam leichte Veränderungen im Universitätssektor sehen. Es werden zusehends mehr internationale Kriterien angewandt, auch was die Einstellungspolitik angeht.“

Drei Universitäten schafften es außerdem bereits, internationale Wissenschaftler nach Italien zu holen: die Bocconi in Mailand, die Johns Hopkins in Bologna und die LUISS in Rom. Aber: „In Italien brauchen die Dinge länger, um sich zu verändern“, sagt Maselli.

Um die Veränderung zu beschleunigen und den Auswanderungstrend umzukehren, müsste Italien zwei Dinge tun: Die Arbeitsbedingungen müssten verbessert werden, gerade was Gehälter und Kinderbetreuung angeht. Und: „Italien braucht ein Silicon Valley“, sagt Maselli. „Einen Ort, an dem sich viele Experten für einen bestimmten Bereich versammeln und so noch mehr Experten anziehen.“

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