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  5. Mangel an Berufsschullehrern: Duale Ausbildung in Gefahr

Bildung Berufsschule

Deutschlands Erfolgsmodell in der Bildung droht der Abstieg

Wirtschaftsreporterin
An engineering tutor assisting one of his students with a technical problem during teaching session at university. Getty ImagesGetty Images An engineering tutor assisting one of his students with a technical problem during teaching session at university. Getty ImagesGetty Images
Alltag an der Berufsschule: "Klassen, in denen 18 Schüler kein Deutsch sprechen und 28 keine Lust haben"
Quelle: Getty Images
Schon heute fehlen an Berufsschulen Tausende Lehrer, in manchen Regionen fällt jede vierte Stunde aus. Für das international geschätzte duale Ausbildungssystem wird das zum ernsthaften Problem. Experten sehen nur einen Ausweg.

Tobias Hallenberger wusste, worauf er sich einließ. Er hat als Lehrling für Anlagenmechanik selbst in der Berufsschule gesessen. In seiner Klasse gab es die Flinken und die Langsamen, die Schlauen und die weniger Schlauen, die Fleißigen und die Faulen. „Ich mag diesen Mix bis heute“, sagt Hallenberger.

Er ist inzwischen Berufsschullehrer für Metalltechnik und unterrichtet an der Erasmus-Kittler-Schule in Darmstadt. Zu seinen Schülern gehören Asylbewerber, die kaum ein Wort Deutsch sprechen, und ebenso angehende Techniker mit abgeschlossener Lehre und Berufserfahrung. „Diese Bandbreite macht meinen Beruf ja so interessant“, sagt er.

Gäbe es mehr Menschen wie Tobias Hallenberger, müssten Politiker, Kammern und Betriebe nicht über „die Misere“ klagen. Schon heute nämlich fehlen an den beruflichen Schulen im Land Tausende von Lehrern, speziell in den technischen Fächern. Und das ist erst der Anfang. Bis zum Jahr 2030 geht fast die Hälfte der 125.000 Berufsschullehrer in den Ruhestand. Nachwuchs aber ist kaum in Sicht.

„Berufsschule fristet seit Jahren ein Schattendasein“

Deutschlands duale Berufsausbildung wird zwar inzwischen überall auf der Welt – von den USA bis Indien – als Erfolgsmodell gefeiert und kopiert. Hierzulande aber leidet das System seit Jahren. Fehlende Qualitätskontrollen, knappe staatliche Mittel und immer schlechtere Schüler untergraben das Niveau der Ausbildung. Nun droht ein massiver Lehrermangel den Abstieg zu besiegeln.

Abhilfe ist so bald nicht in Sicht, denn die Ursachen für den Nachwuchsmangel sitzen tief. „Die Berufsschule fristet in der öffentlichen Wahrnehmung seit Jahren ein Schattendasein“, klagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).

Dabei haben die rund 9000 beruflichen Schulen in Deutschland mit rund 2,5 Millionen Schülern mehr Zulauf als Gymnasien mit etwa 2,2 Millionen. „Politiker, Journalisten, Verbandsvertreter – kaum jemanden hat das besonders interessiert. Denn die wenigsten, die über Bildungspolitik sprechen und schreiben, waren je auf einer Berufsschule.“

Der DIHK fordert gemeinsam mit Lehrerverbänden eine „Berufsschuloffensive“ von Bund und Ländern. Für eine zeitgemäße digitale Ausstattung müsste rund die Hälfte der Gelder aus dem von der Bundesregierung angekündigten, fünf Milliarden Euro schweren Digitalpakt Schule allein an die Berufsschulen fließen. Zudem brauche man eine „überzeugende Strategie“, um für den Job des Berufsschullehrers zu werben.

Jugendliche, bei denen es „nicht zum Studium reicht“

Kein einfaches Unterfangen. Denn Ansehen und Prestige sind das, was Deutschlands Berufsschulen nach Ansicht von Birgit Ziegler ganz besonders fehlt. Die Professorin für Berufsbildungsforschung an der Technischen Universität Darmstadt analysiert nüchtern: „Als Ort der höheren Bildung werden Berufsschulen bis heute nicht betrachtet.“

Sie würden eher als Einrichtungen gesehen, die Jugendliche, bei denen es „nicht zum Studium reicht“, irgendwie beschulen und in das gesellschaftliche Gefüge integrieren sollen. Das strahlt ab auf die Lehrkräfte, die eben kein so hohes Ansehen wie etwa Gymnasiallehrer genießen.

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Da verwundert es nicht, dass sich so wenige für eine Ausbildung zum Berufsschullehrer entscheiden. Einer aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zufolge benötigen die Berufsschulen im Land schon ab 2020 pro Jahr 4000 neue Lehrer. Das sind aber doppelt so viele, wie derzeit ausgebildet werden.

Schon jetzt fallen an den Schulen viele Unterrichtsstunden aus. Eine Lehrerin aus Hessen berichtet von einer „strukturellen Unterbesetzung“ von rund 15 Prozent an ihrer Schule. Hinzu kämen Fehltage wegen Krankheit sowie Präsenzen in Prüfungen und Fachausschüssen.

Das Ergebnis: Mehr als ein Viertel der Stunden werde gar nicht erteilt. „An einem Gymnasium stünden da längst die Eltern auf der Matte“, sagt die Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Aber die Berufsschulen haben eben keine starke Lobby.“

Keine Zeit für einzelne Schüler

Hinzu kommt die enorme Belastung, die den Job nicht attraktiver macht. Susanne M. unterrichtet Deutsch und Wirtschaft an einem Berliner Oberstufenzentrum und sieht in der Woche so viele unterschiedliche Schüler, dass sie längst nicht mehr versucht, sich deren Namen zu merken. „Ich habe Klassen mit mehr als 30 Kindern, in denen 18 kein Deutsch sprechen und 28 keine Lust haben, überhaupt etwas zu lernen.“

IBA – integrierte Berufsausbildungsvorbereitung – heißt das neueste Pilotprojekt des Senats. Es soll Schulversagern helfen, einen Abschluss nachzuholen oder einen Ausbildungsplatz zu finden. Die IBA-Klassen sind an den Oberstufenzentren angesiedelt, neben regulären Berufsschulklassen, solchen, die zur Fachhochschulreife führen oder Weiterbildungsklassen für Techniker.

Die studierte Berufsschullehrerin Susanne M. springt täglich zwischen all diesen Bildungs- und Motivationsniveaus hin und her, sieht in der Woche rund 500 unterschiedliche Jugendliche und fühlt sich ausgelaugt. Zeit, einzelne Schüler zu fördern, mit ihnen „in Beziehung zu gehen“, bleibe so gut wie gar nicht, klagt sie. Vom Austausch mit anderen Lehrern über den Fortschritt einzelner Schüler ganz zu schweigen. Verbeamtet ist Susanne M. als jüngere Lehrerin in Berlin sowieso nicht. Fände sie einen anderen sicheren Job, würde sie lieber heute als morgen aus dem Schuldienst aussteigen.

Die Lebenswirklichkeit von Berufsschullehren unterscheidet sich enorm – von Bundesland zu Bundesland, von Schule zu Schule und sogar von Fach zu Fach. Lehrer in technischen Berufen sind schon heute heiß begehrt. Sie können sich ihre Stelle aussuchen.

Mehr Quereinsteiger gewinnen und qualifizieren

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So wie Tobias Hallenberger aus Darmstadt. Er hat direkt nach seiner Lehre Berufspädagogik und Metalltechnik an der Universität Darmstadt studiert. Der technische Teil war so anspruchsvoll, dass aus seinem Jahrgang nur jeder Fünfte die Bachelorprüfung bestand. Den Titel in der Tasche, hatte Hallberger freie Wahl. Jede Schule in der Region hätte ihn mit Kusshand genommen.

Andere dagegen haben diese Wahl nicht. Eugen Straubinger, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB), hat deshalb einige Wünsche an die Politik: Die Lehrer bräuchten dringend mehr Raum für Weiterbildung. Neue technische Ausstattung sei das eine – damit umgehen lernen müssten viele Kollegen aber bis heute in ihrer Freizeit.

Von Bund und Ländern fordert der Verband eine „Gesamtstrategie“. Einerseits gelte es, von vornherein mehr Studenten für die Richtung Berufsschulpädagogik zu motivieren. Andererseits müssten mehr Quereinsteiger gewonnen und qualifiziert werden.

Straubinger selbst wurde nur durch „einen Zufall“ zum Lehrer, wie er berichtet. Als junger Maschinenbauer führte er eine Technikerklasse durch seinen damaligen Betrieb und erfuhr, dass dort dringend Lehrer gesucht wurden. Er entschied sich zum Umstieg.

„Den stattlichen Ingenieurslohn tauschte ich übergangsweise gegen ein schmales Referendargehalt“, sagt Straubinger. 34 Jahre ist es jetzt her, dass er an die Berufsschule wechselte. Straubinger blieb der Schule treu und sagt, er habe seine Entscheidung nicht einen Tag bereut.

Image mit TV-Serie aufpeppen

Heute ist er Rektor der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule im baden-württembergischen Balingen – und einer der wenigen, die sich bisher keine Sorgen um den Lehrernachwuchs machen müssen. Er hat vor einem Jahr die „Lernfabrik 4.0“ an der Schule eröffnet. Mit insgesamt 1,2 Millionen Euro vom Land, dem Landkreis und kooperierenden Unternehmen wurde eine digitale Fabrik zum Lernen nachgebaut.

Die neue Technik ist ein Magnet für ambitionierte Fachlehrer. Die würden nach dem Referendariat in Baden-Württemberg auch „attraktiv“ bezahlt, sagt Straubinger. Nämlich auf dem Niveau eines Gymnasiallehrers, inklusive Verbeamtung mit Pensionsansprüchen.

Bei weniger begehrten Schulen möchte Forscherin Ziegler mit einer Imagekampagne nachhelfen: „Wir brauchen aufwendige Werbemaßnahmen, um über die anspruchsvolle und facettenreiche Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern an beruflichen Schulen aufzuklären“, fordert sie. Ziegler könnte sich sogar eine TV-Serie mit einem „coolen Berufsschullehrer“ vorstellen.

„Mittlerweile gehört der Beruf der Polizistin zu den beliebtesten Berufen bei den Mädchen. Vermutlich liegt das an den Fernsehkommissarinnen“, sagt sie. „Mit einer guten Soap oder einer Fernsehserie, die an einer Berufsschule spielt, könnte man Schüler auch mit diesem Beruf bekannt machen.“

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