Gershwin, Brexit und Brekshit

Nigel Kennedy macht seinem Ärger über den „Brekshit“ Luft und erklärt, wieso er im Gasteig Bach mit Gershwin kombiniert
| Christoph Forsthoff
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Nigel Kennedy.
Carl Hyde Nigel Kennedy.

Am Ende des Interviews steht fest: Nigel Kennedy will mit dem Journalisten unbedingt ein Fußballspiel des FC St. Pauli am legendären Hamburger Millerntor besuchen. Doch zuvor hat der auch mit 61 Jahren noch den Punk gebende englische Geiger im Interview seinen Unmut über den „Brekshit“ kundgetan, seinen Gang ins Exil angekündigt, fehlenden Rebellionsgeist in der jungen Musikergeneration konstatiert und erklärt, warum bei seinem Auftritt in München Bach und Gershwin einfach wunderbar zueinander passen.

AZ: Dieses Mal reisen Sie noch ohne Grenzkontrollen nach München – Freude Sie sich auf den Brexit?
NIGEL KENNEDY: Oh nein, Mann – ich bin seit 40 Jahren ein Bürger Europas! Als am 20. Oktober in London fast 700 000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um für ein zweites Referendum zu demonstrieren, fand ich das wunderbar – und das obwohl es so viel an Falschinformationen gegeben hat, was der ‚Brekshit‘ letztlich für die Briten bedeutet. Viele wissen doch gar nicht, was sie da anrichten mit ihrem Votum. Ich bin von diesem ganzen Szenario wirklich peinlich berührt.

Inwiefern?
Mir ist es peinlich, britisch zu sein – obwohl ich ja ein halber Ire bin ... Doch gerade als Musiker gehören wir alle zu einer internationalen Gemeinschaft und unterscheiden nicht zwischen Indern und Franzosen, Juden und Heiden. Bei uns gibt es keine Ausgrenzung, als Musiker lernen wir überall auf der Welt voneinander – und insofern bin ich stolz darauf, ein Bürger Europas zu sein. Wahrscheinlich werde ich Großbritannien verlassen.

Sie planen auszuwandern?
Ich werde Großbritannien verlassen und dann schauen, wer mich in seinem Land aufnimmt – vielleicht lasst ihr Guys mich ja nach Berlin ziehen. Eine andere Möglichkeit wäre Polen, da meine Frau ja Polin ist, doch das Land hat natürlich seine eigenen Probleme.

Aber für ein paar Konzerte werden Sie schon nach Großbritannien zurückkehren?
Wir werden uns bemühen – schließlich kann ich all die Affen dort ja nicht für immer allein lassen, obwohl ich eigentlich nicht länger Bürger eines Staates sein möchte, der von solch einem engstirnigen Denken geprägt ist.

Der „Brekshit“ scheint Sie wirklich aufzuregen.
Es ist doch ein Trauerspiel für diese Gesellschaft, dass Menschen so vorurteilsbeladen sein können gegenüber anderen Menschen, mit denen uns so viel verbindet! Briten und Deutsche sind sich wahrscheinlich am nächsten in ganz Europa – und nun wollen wir auf einmal nicht mehr, dass diese Menschen in unser Land kommen. Dabei hat das alles so gar nichts mit den Ursachen unserer Probleme in Großbritannien zu tun.

Wo liegen diese nach Ihrer Ansicht?
In der ungerechten Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft! Die Probleme entspringen dem Modell des Kapitalismus, der Arbeitsplätze in Großbritannien vernichtet hat – stattdessen beziehen wir nun etwa unsere Sneakers aus Billiglohnländern, wo die Arbeiter ausgebeutet werden, ohne Rücksicht auf deren Gesundheit. Insofern machen wir für die Probleme in unserem Land die falschen Menschen verantwortlich – und das ist wirklich traurig.

Wie konnte es dazu kommen?
Es gibt eine Menge Neid in der Gesellschaft – sei es, wenn Menschen auf Kosten des Wohlfahrtstaats leben oder auch aus anderen Teilen der Welt nach Großbritannien kommen und dort beruflich erfolgreich sind. Leider macht sich diese Neigung, nur an sein eigenes Land zu denken, ein neuer Nationalismus in immer mehr Ländern Europas breit: in Ungarn, Österreich, Polen oder in Frankreich, wo Marine Le Pen beinahe die Präsidentenwahl gewonnen hätte – es scheint ein Trend, um sich herum wieder Mauern aufzubauen.

Welche politischen Folgen befürchten Sie für Europa?
Europa droht eine langsame Zersplitterung, denn andere Länder könnten Großbritannien folgen – oder doch zumindest den Gedanken der Zusammenarbeit aufgeben. Schauen Sie etwa, wie viele Flüchtlinge Polen bislang aufgenommen hat: null – dabei ist dies Bestandteil europäischer Politik. Doch die Polen ignorieren dies und machen, was sie wollen. Und wenn wir solche Länder wie Österreich, Ungarn oder Polen haben, wird es für uns verdammt schwer, weiterhin miteinander als gute Nachbarn zu leben.

Zurück zur Musik – warum gibt es heute keine jungen rebellischen Geiger mehr, wie sie einst einer waren?
Heute ist alles Business – die eigene Karriere und das Geschäft sind weit wichtiger als die Musik. Mir war es damals als junger Geiger gleich, ob ich nun mein Geld auf der Straße verdienen oder eine große Karriere machen würde – ich wusste, es genügt zum Überleben und das hat mir gereicht.

Nun, schlecht bezahlt hätten Sie zweifellos auch nicht gespielt.
Aber heute geht es vielen Musikern vor allem um ihre Karriere, und das Geld hat eine weit höhere Bedeutung als alles andere. Was nicht bedeutet, dass nicht auch ich für mein Spiel bezahlt werden möchte – und wenn jemand mit mir Geld macht, will ich davon auch meinen Teil haben. Aber für mich war das Geld nie die Motivation, während heute viele Musiker sich vor allem um ein möglichst effektives wirtschaftliches Netzwerk kümmern, anstatt sich um die Musik zu bemühen.

Woran liegt das?
In der Klassik hat sich eine gewisse Selbstzufriedenheit breit gemacht, nicht zuletzt ob der Beschäftigungsgarantie für viele Musiker, deren Jobs vom Steuerzahler finanziert werden. Was nicht heißt, dass sie schlecht musizieren, denn es gibt nach wie vor wunderbare Musiker – aber um zu rebellieren, braucht es einen Anstoß. Und in der heutigen Welt der Klassik gibt es keinen wirklichen Grund mehr zur Rebellion.

War das bei Ihnen anders?
Ich wusste damals, als ich Anfang 20 war, dass ich die klassische Szene um mich herum nicht wirklich mochte – ich wollte mein Leben leben und nicht unter der Kontrolle anderer Leute stehen. Musik hat für mich immer Freiheit bedeutet, und zwar auch Freiheit in puncto Begeisterungsfähigkeit: Die aber gab es nicht in der damaligen Klassikszene – insofern hatte ich einen Grund zur Rebellion, schon um mir selbst treu zu bleiben.

Hatten Sie keine Angst, sich mit solch einer Rebellion selbst den K.O.-Schlag für die Klassik zu verpassen?
Hätte ich in einer Klassik-Welt wie der damaligen leben und spielen müssen, ich hätte das Genre gewechselt – zumal ich das Glück hatte, schon immer auch andere Musikgenres beherrscht zu haben und insofern nicht gezwungen war, der Klassik treu zu bleiben. Der einzige Grund, sich der Klassik oder auch jeder anderen Art von Musik zu widmen, sollte immer die Liebe zur Musik sein – und nicht, weil es der Job ist. Musik ist kein Job, sondern Berufung.

Was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass sich im fehlenden Rebellentum vieler Musiker heute eher ein Jobdenken ausdrückt.
Woher das mangelnde rebellische Element rührt, vermag ich nicht zu sagen – vielleicht liegt es ja an den zahlreichen Ablenkungen durch die Welt der Neuen Medien. Ich selbst hasse Computer, und das ist kein Scherz: Ich nutze weder Twitter noch Facebook, all dieser Shit interessiert mich nicht. Leider pflegt meine Frau all diesen Shit – ich ziehe es vor, eine Runde spazieren zu gehen.

Und denken dabei dann über neue Programme nach – entsinnen Sie sich noch Ihrer ersten Begegnung mit der Musik Gershwins, dem Sie sich nun in München widmen?
Zu meiner Teenager-Zeit gab es großartige Jazzer wie den Geiger Stephane Grappelli, die Gershwins Musik spielten – mit ihm habe ich auch erstmals diese Musik gespielt. Ohne dass mir bewusst war, dass es Werke von Gershwin waren: Für mich sind es einfach nur Stücke gewesen, die ich gern mit ihm musiziert habe.

Und was haben Sie über diese Musik gedacht – auch wenn Sie nicht wussten, dass es sich um Gershwin handelte?
Für mich waren es bezaubernde Melodien, gespielt von einem der charmantesten Geiger der Welt. Was ich an Gershwin mag, ist die Kombination aus Jazz, Klezmer und Klassik, der eine große Natürlichkeit innewohnt. Natürlich ist es immer Gershwin, doch zugleich ist diese Musik so flexibel, dass sie sich der Persönlichkeit eines jeden Musiker anpassen kann.

In München mischen Sie Gershwin mit Bach – passt das?
In mancher Hinsicht sind sich die beiden sehr ähnlich, in anderer sehr verschieden. Doch die Tatsache, dass beide vollendete Tastenkünstler waren und vom Klavier her komponierten, verbindet sie ebenso wie die harmonische Entwicklung und die originelle Behandlung der Architektur in ihren Werken – und beide waren ebenso originell wie originär in Sachen Harmonie und musikalischer Struktur.

Und was unterscheidet sie?
Mit Bachs Musik improvisiere ich nicht – während ich mich Gershwin schon auf eine sehr improvisierende Art nähere.

Philharmonie im Gasteig, Sonntag 18. November, 20 Uhr,
Restkarten von 42,80 bis 111,80 Euro an der Abendkasse ab 19 Uhr. Kennedys Gershwin-CD erschien bei Warner

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