WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. Kinoklassiker en masse: Drehbuchautor William Goldman tot

Film William Goldman †

Er schrieb mehr Kinoklassiker als jeder andere

Filmredakteur
Der Marathon Man, (MARATHON MAN) USA 1976, Regie: John Schlesinger, LAURENCE OLIVIER + DUSTIN HOFFMAN, Stichwort: Folter [ Rechtehinweis: picture alliance/United Archives ] Der Marathon Man, (MARATHON MAN) USA 1976, Regie: John Schlesinger, LAURENCE OLIVIER + DUSTIN HOFFMAN, Stichwort: Folter [ Rechtehinweis: picture alliance/United Archives ]
Laurence Olivier "behandelt" Dustin Hoffman in Goldmans "Marathon-Mann" (1976)
Quelle: picture alliance / United Archiv
„Butch Cassidy“, „Marathon-Mann“, „Die Unbestechlichen“: William Goldman war der wichtigste Drehbuchautor des New Hollywood – und erfand die postmoderne Fantasy. Nun ist er 87-jährig gestorben.

Ohne ihn wären Butch Cassidy und das Sundance Kid kaum von dem hohen Fels in den reißenden Fluss gesprungen. Ohne ihn hätte der Zahnarzt Laurence Olivier seinen Patienten Dustin Hoffman nicht mit einer Bohrmaschine gefoltert. Ohne ihn wäre die schöne Buttercup nie zur Braut des Prinzen geworden.

William Goldman, der im Alter von 87 Jahren in New York gestorben ist, war der wichtigste Drehbuchautor dessen, was wir als „New Hollywood“ kennen – jener Ära in den Siebzigerjahren, als das alte Studiosystem zusammengebrochen war, die Spielbergs, Lucas’ und Coppolas die Macht übernahmen und ein Goldenes Jahrzehnt lang das Filmemachen im Sinn der Aufklärung neu erfanden (bevor sie sich dann der Macht der Blockbuster ergaben).

Der Mann, der ihnen die Stoffe lieferte, war William Goldman. Er hatte mit dem Romanschreiben begonnen und lebte mit seinem Bruder James (von ihm stammt das Buch zum „Löwen im Winter“ mit Katharine Hepburn und Peter O’Toole) und seinem Freund John Kander (dem Komponisten von „Chicago“) in einer New Yorker WG. Goldman hatte bereits einige fremde Bücher fürs Kino adaptiert, als er beschloss, einen eigenen Stoff anzubieten: über „Zwei Banditen“, die im Wilden Westen jahrelang erfolgreich Banken berauben, bevor sie in eine Falle gehen.

400.000 Dollar für sein erstes Drehbuch

Die Fox riss ihm das Drehbuch für 400.000 Dollar – der höchsten Summe, die bis dahin für ein Skript bezahlt worden war – aus den Händen, Paul Newman und Robert Redford wurden zu Superstars, und am Ende der Saison hielt Goldman seinen ersten Oscar in der Hand.

Danach hatte Goldman zwanzig Jahre lang einen unglaublichen Lauf. Aus seiner Feder kamen, als Originalmanuskript oder als Adaption: „Die Frauen von Stepford“, ein Lehrstück über patriarchale Strukturen im Science-Fiction-Gewand, inzwischen ein Klassiker des Gehirnwäschekinos; der Watergate-Politthriller „Die Unbestechlichen“, mit der von Goldman ersonnenen, unsterblichen Zeile „Follow the money!“; der Nazi-Verschwörungsthriller „Marathon-Mann“ mit der ebenso memorablen Frage nach den versteckten Juwelenschatz – „Is it safe?“ –, welche die Dr. Mengele-Figur ein halb Dutzend Mal wiederholt, bevor sie das Zahnfolterbesteck auspackt; „Die Brücke von Arnheim“, ein Zweiter-Weltkriegs-Epos; die erste Version seines Romans „Heat“, nicht die berühmte mit De Niro und Pacino, sondern die erste zehn Jahre davor; „Misery“, die vielleicht erste gelungene Verfilmung eines Stephen-King-Romans; „Chaplin“, die Filmbiografie mit Robert Downey jr.

Die Unbestechlichen, (ALL THE PRESIDENT'S MEN) USA 1976, Regie: Alan J. Pakula, DUSTIN HOFFMAN, ROBERT REDFORD, JASON ROBARDS, JACK WARDEN, MARTIN BALSAM [ Rechtehinweis: picture alliance/United Archives ]
Dustin Hoffman, Robert Redford und Jason Robards (v.l.) in Goldmans "Die Unbestechlichen"
Quelle: picture alliance / United Archiv

Bei Goldman lohnt auch ein Blick auf seine aus diversen Gründen nicht verfilmten Drehbücher, selbst das ist eine imposante Liste: „Papillon“, „Grand Hotel“ (ein Remake des Garbo-Klassikers „Menschen im Hotel“), „Der Stoff, aus dem die Helden sind“, „Mission Impossible 2“. Und man kann sogar über die Projekte staunen, wo er nicht im Vorspann steht, aber entscheidend am Buch mitgedoktert hat: „Twins - Zwillinge“ (die erste Schwarzenegger-Komödie), „Eine Frage der Ehre“, „Ein unmoralisches Angebot“, „Good Will Hunting“, „Wilde Kreaturen“.

Goldman petzte aus der Cannes-Jury

Eine Weile lang garantierte der Name „Goldman“ für den Erfolg eines Films, so wie „Robert Redford“ oder „Steven Spielberg“ als Erfolgsgaranten betrachtet wurden. Er war vielleicht der erste seiner Zunft, der diesen Promi-Status erreichte, vor Joe Eszterhas, der zwar mit Drehbüchern wie „Basic Instinct“ fünfmal soviel verdiente wie Goldman für „Cassidy“, aber immer den Ruch des Hasardeurs mit sich trug.

1987 wurde Goldman in die Jury von Cannes berufen, eine rare Ehre für einen US-Drehbuchautor, und er beschrieb seine Erfahrungen später in dem Buch „Hype and Glory“, einer der raren Schilderungen dessen, was innerhalb dieser Jury vor sich geht. Er erzählt von den Fraktionsbildungen und von seinem Versuch, Clint Eastwoods „Bird“ als Gewinner durchzusetzen.

Und er schildert sein Scheitern, denn die Goldene Palme ging an „Pelle der Eroberer“ und „Bird“ blieb nur der Bester-Darsteller-Preis für Forest Whitaker. Wer Goldmans Erinnerungen liest, begreift auch seinen Status besser: Er mag Hollywood kritisch gegenüber gestanden sein, aber seine Distanz zu der Erzählweise des europäischen Kinos war noch größer, er war eben ein klassischer Geschichtenerzähler.

„Du kannst reich werden, aber nicht glücklich“

Anzeige

Goldman war Establishment, Ostküsten-Establishment, er blieb immer in New York wohnen, er nannte sich lieber Romancier als Filmautor, er betrachtete das Drehbuchschreiben nicht als Kunstform: „Es ist eine Fertigkeit, es ist Schreinern, es ist Struktur“, sagte er einmal. „Ich will den Beruf nicht herabsetzen, aber letztendlich fügt es deiner Seele Schaden zu, wenn du nur Drehbücher schreibst. Du kannst vielleicht reich werden, aber es macht dich nicht glücklich.“

Der Ostküstenmensch behielt stets seine Distanz zu dem Lametta der Ostküste, und diese Skepsis zieht sich auch durch sein berühmtes Buch „Das Hollywood-Geschäft“, in dem er seine Erfahrungen in der Filmfabrik schildert. Generationen von Möchtegern-Drehbuchautoren haben es gelesen, und es enthält die wahrscheinlich meistzitierte Beschreibung des Hollywood-Geschäfts: „Nobody knows anything“ (Niemand weiß irgendetwas). Oder, in Langform: „Niemand in dem gesamten Bereich des Film-Business weiß mit Sicherheit, was eigentlich funktioniert.“

FILE - In this March 28, 1977 file photo, William Goldman accepts his Oscar at Academy Awards in Los Angeles, for screenplay from other medium for "All The President's Men." Goldman, the Oscar-winning screenplay writer of “Butch Cassidy and the Sundance Kid” and “All the President’s Men” William Goldman died, Friday, Nov. 16, 2018. He was 87. (AP Photo, File)
Goldman 1977 bei der Dankesrede für seinen zweiten Oscar für "Die Unbestechlichen"
Quelle: AP

Die Feststellung war Trost für all die Produzenten, die Millionen in Rohrkrepierer investiert hatten, sie war auch Beruhigung für Kritiker, die fürchteten, Hollywood könnte eines Tages die absolut sichere Erfolgsformel entdecken und in Zukunft nur noch Kopien dieser Formel auf den Markt werfen.

„Niemand weiß irgendetwas“

Es gibt ja seit einigen Jahren den erneuten Versuch, den Heiligen Gral zu finden, Streamingdienste wie Netflix analysieren exzessiv die Sehgewohnheits-Daten, die ihre Kunden ihnen frei Haus liefern. Das absolute Erfolgsrezept scheinen sie trotzdem nicht gefunden zu haben, auch bei ihnen sind vier von fünf Produktionen Blindgänger, und vielleicht hat Goldman wirklich ein Naturgesetz entdeckt. Anders als die Industrie glaubt, ist dieses „Niemand weiß irgendetwas“ nämlich die Formel für ihr Überleben, der Auslöser von Zweifel und damit die Basis von Kreativität.

William Goldman hielt sich für keinen besonders begabten Schriftsteller. Und trotzdem werden nicht nur seine Filme überleben, sondern auch ein Roman: „Die Brautprinzessin“, worin sich ein Prinz, eine Prinzessin, ein Stalljunge, ein Wunderheiler und Piraten tummeln. Es ist eigentlich ein Fantasy-Märchen, doch Goldmans Dreh besteht darin, dass er die Erzählung immer wieder mit einer Rahmenhandlung bricht, worin der vorlesende Vater sich meldet, bissige Kommentare abgibt oder die Kürzung von Textstellen begründet; wenn man so will, der Beginn der postmodernen Fantasy, und Goldman wusste um den Wert dessen, was er da geschaffen hatte.

Im Jahr 2012, zum 25-jährigen Jubiläum der „Braut des Prinzen“-Verfilmung, kam er zu einem Klassentreffen der damals Beteiligten. Nach einem Sequel befragt, gestand er: „Ich würde so gerne eines schreiben – aber ich weiß nicht, wie. Solch eine Fortsetzung würde ich lieber schreiben als alles andere, was ich nicht geschrieben habe.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema