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Städtereisen Nancy

Frankreichs Hauptstadt der Schleckermäuler

Kuchen, Bonbons, Kekse, wer das mag, ist in Lothringen goldrichtig. Nirgends in Frankreich waren die Bäcker so erfindungsreich wie hier. Schuld daran ist ein Herzog, der versessen auf Süßigkeiten war.
Benannt nach einem Herzog mit Sinn für Süßes: Place Stanislas in Nancy. Benannt nach einem Herzog mit Sinn für Süßes: Place Stanislas in Nancy.
Benannt nach einem Herzog mit Sinn für Süßes: Place Stanislas in Nancy
Quelle: Getty Images/Hemis.fr/RIEGER Bertrand

Es ist nicht überliefert, in welcher Stimmung sich Lothringens Herzog Stanislaus an diesem kulinarisch durchaus historischen Mittag irgendwann im 18. Jahrhundert befand. War er betrübt, dachte er an seine Heimat, die Steppe Galiziens, die er verlassen musste? Oder war er in Feierlaune, im Wissen, seine Tochter bald auf dem Thron Frankreichs zu sehen?

Überliefert ist indes diese Szene: Als der Diener dem Herzog ein Stück Hefekuchen servierte, so trocken, dass es nicht munden wollte, kam Stanislaus eine Idee. Warum den Kuchen nicht mit Tokajer tränken, seinem geliebten Süßwein? Als er den feuchten Kuchen zum Gaumen führte, gab der saftig vollgesogene Teig den Wein wieder preis – und mundete köstlich! Die Kreation war gelungen, der Baba geboren.

Im 19. Jahrhundert wurde er mit Rumsirup statt mit Wein begossen, daraus wurde der berühmte Baba au rhum, heute in ganz Frankreich begehrt, zu hohen Feiertagen wie zum Kaffeeklatsch am Nachmittag. René Goscinny, Schöpfer von „Asterix“, hat dem Baba mit seinem Comic-Römerlager Babaorum ein Denkmal gesetzt. Es sollte nicht die letzte Süßspeise bleiben, bei der Stanislaus I. Leszczyński die Hände im Spiel hatte.

Der exilierte polnische Monarch blickte auf eine abenteuerliche Vita zurück. Einem alten Lemberger Adelsgeschlecht entstammend, wurde er zwei Mal zum König Polens gekrönt, beide Male vom Thron gestoßen, außer Landes gejagt und schließlich, durch Einflussnahme seiner Tochter, Frau von Ludwig XV. und Königin von Frankreich, 1737 zum Herzog Lothringens gekürt.

Völlerei auf dem Herzogschloss

Anstatt in Bitternis zu verfallen, schwang er sich in Lothringen zum Baumeister und Kunstförderer auf. Der Hauptstadt Nancy verhalf er mit dem Place Royale, heute Place Stanislas, zu einem der prächtigsten Plätze Europas. Er gründete Universitäten und Bibliotheken, Spitäler und Armenhäuser. Und seine Naschsucht führte dazu, dass Lothringen wie kaum eine andere Region in Frankreich bis heute berühmt ist für traditionelle Süßigkeiten und Kekse, was reihenweise Gourmets anlockt.

Seine Residenz, Schloss Lunéville, ließ er in barockem Prunk zum Versailles Lothringens ausbauen. Beim Tafeln durfte es dort natürlich an nichts fehlen. Obwohl der viel beschäftigte Herzog lediglich mittags zu speisen pflegte, artete seine Nahrungsaufnahme häufig in Völlerei aus.

Ein großer Schluck Rum, damit der Kuchen nicht mehr so trocken ist: Baba au Rhum
Ein großer Schluck Rumsirup, damit der Kuchen nicht mehr so trocken ist: Baba au Rhum
Quelle: Getty Images

Stanislaus’ Vorliebe für Süßspeisen wurde vor allem von seinem Hofzuckerbäcker Joseph Gilliers befriedigt, einem der frühen Meister seines Handwerks. Der Nachwelt hinterließ er mit dem „Cannaméliste Français“ eines der ersten großen Standardwerke der französischen Kochliteratur. Darin beschreibt Gilliers zum Beispiel meterhohe Tischdekorationen aus Zuckermasse, ganz nach dem Geschmack des lothringischen Herzogs, und er schwärmt von Speiseeis, das zu Pfirsichen und Melonen, Gürkchen und Spargelstangen, Schweinsköpfen und Rinderzungen geformt wird.

Diese Spezialitäten von Stanislaus’ Tafel sind in der Versenkung verschwunden, andere seiner Kreationen sind noch heute in ganz Frankreich bekannt. Etwa luftig-feine Makronen aus „Süßmandeln […], Zucker und Eiweiß“, wie Gilliers in seinem Kochbuch schreibt. Diese hellbraunen Macarons wurden von den Köchen Katharina von Medicis, französische Königin von florentinischem Adel und blutrünstige Schlächterin der Hugenotten, im 16.Jahrhundert nach Frankreich gebracht. Katharinas Enkelin machte das Gebäck in den Klöstern Lothringens bekannt, von wo aus das Rezept schließlich auch zu Stanislaus’ Zuckerbäcker Gilliers gelangte.

Nonnen verkauften die Macarons

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Als in den Nachwehen der Revolution von 1789 die Klöster aufgelöst wurden, kamen zwei Benediktinerschwestern auf die Idee, das Klostergebäck in den Straßen Nancys zu verkaufen. Aus diesen mythischen Anfängen erwuchs die Manufaktur „Les Sœurs Macarons“, 1793 gegründet, sie besteht bis heute. 1952, die Macarons de Nancy waren längst zum Wahrzeichen der Stadt geworden, wurde die Straße, in der die Keksöfen der Manufaktur glühten, zu Ehren der Schwestern in Rue des Sœurs Macarons umgetauft. Später rückten die Verkaufsräume näher an den Place Stanislas heran – in Sichtweite der Statue des Herzogs, die die Manchmal trägt der Wind den Duft der frischen Makronen bis zu Stanilaus’ bronzener Nase. Unter dieser wölbt sich ein üppiger Leib.

Stanislaus’ Zuckerbäcker ließen sich einiges einfallen, um den rundlichen Monarchen bei Laune zu halten. So verwendete Gilliers gern Bergamotte, eine Kreuzung aus Bitterorange und süßer Limette. In seinem Buch beschreibt er, wie er mit der Schale der Bergamotte „Zitronenschnee“, also Zitronensorbet, exquisit verfeinert hat. Mit dem leicht bitteren Bergamotteöl dagegen, das schon auf schwachen Druck hin aus der Schale dringt, aromatisierte der Zuckerbäcker Bonbons für seinen zuckersüchtigen Herrscher.

Nancy bietet nicht nur Süßigkeiten. Sondern auch schöne Orte, um sie zu verspeisen, wie etwa den Place Stanislas
Nancy bietet nicht nur Süßigkeiten. Sondern auch schöne Orte, um sie zu verspeisen, wie etwa den Place Stanislas
Quelle: UIG via Getty Images

Rund hundert Jahre später, das Rezept war längst in Vergessenheit geraten, gab der lothringische Konditor Jean-Frédéric Godefroy Lillich auf den Tipp eines befreundeten Parfümeurs hin Bergamotteöl zu kochendem Zucker. Die zitronengelbe Masse verteilte er auf einer geölten Marmorplatte, um sie dann auf einige Millimeter Dicke auszuwalzen und in quadratische Bonbons zu zerteilen. Bald wurden die Bonbons, der Einfachheit halber Bergamottes genannt, zu einer weiteren süßen Spezialität Nancys.

Der schönste Ort, wo sie unserer Tage zu erwerben sind, ist die Confiserie Lefèvre-Lemoine. 1840 gegründet, seitdem in Familienhand, residiert sie seit 1930 in der Rue Henri-Poincaré 47 in Nancy. Beim Eintreten wähnt man sich im Appartement einer betuchten Großmutter: Rosen ranken sich die Tapete entlang, davor stehen hohe, dunkle Vitrinen voller antikem Porzellan. Auf Theken und Tischen türmen sich Fruchtkonfekt und Pastillen, Lutscher und Gewürzbrot. Die rotgoldenen Bergamotte-Dosen der Confiserie haben es sogar zu filmischem Weltruhm gebracht. Als Hommage an seine Studienzeit in Nancy verewigte Regisseur und Drehbuchautor Jean-Pierre Jeunet eine der Dosen in seiner „Fabelhaften Welt der Amélie“.

Eine Küchenmagd namens Madeleine

Nicht auf Zelluloid, sondern auf Papier ist eine weitere Süßigkeit Lothringens zu finden: die Madeleine. Das Küchlein in Form einer Jakobsmuschel, dessen Teig an luftig-lockeren Sandkuchen erinnert, erlangte Weltruhm durch Marcel Prousts Jahrhundertwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Prousts Alter Ego wird durch den Genuss einer in Tee getauchten Madeleine zurückversetzt in seine frühe Kindheit – Auslöser für eine sieben Bände füllende Kontemplation über das Dasein und die Vergänglichkeit.

Stanislaus, dem unermüdlichen Förderer der schönen Künste, hätte die literarische Prominenz der Madeleine sicher gefallen. Zumal er selbst für den Namen verantwortlich war. Auf Schloss Commercy, Stanislaus’ Zweitsitz, geriet der Schlossverwalter der Legende nach eines schönen Sommertages in Streit mit dem Zuckerbäcker. Letzterer warf verärgert das Handtuch und stürmte davon, das Mittagsmahl für den Herzog drohte ohne Dessert zu enden. Eine Katastrophe!

Eine ziemlich gute Notlösung: Madeleines
Eine ziemlich gute Notlösung: Madeleines
Quelle: De Agostini/Getty Images

Zum Glück erinnerte sich eine der Küchenmägde an ein Rezept ihrer Großmutter und ging sofort ans Werk. Zur Nachspeise wurden goldbraune, duftende Küchlein serviert – die Tafelnden waren begeistert. Stanislaus erkundigte sich nach dem Namen der Köstlichkeit. Da die Magd keinen nennen konnte, taufte er das Gebäck kurzerhand nach seiner Bäckerin: Madeleine.

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Heute gibt es in der Stadt noch vier Betriebe, die die Küchlein herstellen. Allerdings munkelt man in Nancy, dass die Madeleines aus dem nahe gelegenen Liverdun die besseren seien.

Die Mirabelle ist Lothringens Superfrucht

Und wo bleiben bei all dem Zuckerwerk die Vitamine? Auf Schloss Lunéville ließ Stanislaus eine eigene Melonensorte züchten: die Melon de Lunéville, außen tannengrün, innen leuchtend orange. Zur Düngung lieferte die örtliche Kavallerie Berge an Pferdemist, die Ernte war reichlich, die Frucht herrlich süß; der maßlose Herzog überfraß sich regelrecht an ihr, sodass er in der Melonensaison meist auf sein sonst obligatorisches Pfeifchen nach dem Mittagsmahl verzichten und sich zur Erholung in seine Gemächer zurückziehen musste. Heute werden die königlichen Melonen in Lothringen gern zu Marmelade verarbeitet, werden an Ruhm aber bei Weitem überstrahlt von der Mirabelle – der lothringischen Spezialität schlechthin.

Erschien sie in Gilliers Kochbuch nur am Rande, spielt die Frucht heute eine Hauptrolle in Lothringen: 250.000 Bäume, meldet der regionale Erzeugerverband, tragen unglaubliche 80 bis 90 Prozent der globalen Mirabellen-Ernte. Dabei legen die Bauern größten Wert auf Qualität: Die nur sechs Wochen kurze Saison im August und September wird nicht ausgeweitet, um den sonnenprallen Geschmack nicht zu verwässern. 200 Bäume je Hektar sind das Maximum, so soll das Ökosystem Obstbaumwiese geschützt werden. Dies, kombiniert mit ihrem vorzüglichen Geschmack, hat der Mirabelle de Lorraine die „IGP“, die begehrte geschützte Herkunftsbezeichnung Frankreichs, eingetragen – als erster Frucht überhaupt.

Leider hat nicht jeder die Möglichkeit, in der Saison vor Ort zu verweilen, um etwa die klassische Tarte aux Mirabelles zu kosten, mit frischen Mirabellenhälften, gebettet auf Mürbeteig und einer fluffigen Vanillecreme. Doch auch hierfür haben die Confiseure Nancys, würdige Nachfahren Gilliers, eine Lösung gefunden. Außerhalb der Saison offerieren sie kunstvolle Gelee-Mirabellen, gefüllt mit Mirabellenlikör, extrahiert aus heimischen Früchten.

Mirabellen sind eine Spezialität der Region Lothringen
Mirabellen sind eine Spezialität der Region Lothringen
Quelle: Getty Images

Bäckermeister Fabrice Gwizdak ist einen anderen Weg gegangen, Lothringens Superfrucht ganzjährig anzubieten: mit seinem Gâteau Lorrain. Der grobporige Kuchen aus Mehl, Mandeln, Butter, Zucker und Eiern verdankt seine köstlich-krümelige Saftigkeit einem Schuss Mirabellengeist. Stolz trägt er das lothringische Doppelkreuz auf der Oberseite, aus Puderzucker.

Gwizdak, der seine Backstube in der Rue Raugraff in Nancy betreibt, hat sein Handwerk in Sterneküchen perfektioniert. Seit er seinen Betrieb vor gut 20 Jahren eröffnete, wurde er mit Ehrungen überschüttet: Vom „Französischen Bäcker des Jahres“ bis zum „Besten Bäcker Lothringens“ konnte er sich eine Reihe von Titeln an seine Schürze heften.

Auch wenn er sich tief verwurzelt fühlt im Osten Frankreichs – Gwizdaks Vater, selbst Bäcker, stammt aus Polen. Einer der Gründe, warum der Sohn sich in gewisser Weise als ein Erbe Stanislaus’ I. Leszczyńskis sieht. Das hätte den naschsüchtigen Regenten sicher gefreut.

Quelle: Infografik WELT

Tipps und Informationen zu Nancy

Wie kommt man hin? Bahn: Zum Beispiel mit dem ICE bis Straßburg, dort umsteigen in die Regionalbahn nach Nancy. Nächstgelegener Flughafen ist Metz-Nancy-Lorraine (ETZ), von dort in 45 Minuten mit dem Taxi bis Stadtzentrum Nancy.

Wo wohnt man gut? „Maison d’Hôte de Myon“, restauriertes Herrenhaus, zehn Gehminuten zum Place Stanislas, DZ/F ab 140 Euro, maisondemyon.com. „Cœur de City Hotel Nancy Stanislas“, poppiges Hotel in Bahnhofsnähe, DZ/F ab 50 Euro, http://de.hotel-nancy-stanislas.com

Tipp der Redaktion Nancy gilt mit mehr als 350 einschlägigen Gebäuden als Zentrum des französischen Jugendstils. Das Musée de l’École de Nancy (36-38 Rue du Sergent-Blandan, Mi–So 10–18 Uhr) zeigt wunderbar erhaltene Innenarchitektur und Kunsthandwerk der Epoche.

Weitere Infos Offizielle Tourismus-Webseite in deutscher Sprache: de.nancy-tourisme.fr/

Bretagne – süß, salzig, fett!

Wer in die Bretagne kommt, sollte vorher seine Weight-Watchers-Mitgliedschaft kündigen. Im äußersten Nordwesten Frankreichs gehören jede Menge Mehl, Zucker und gesalzene Butter zum kulinarischen Pflichtprogramm.

Quelle: WELT/Laura Fritsch/Jörg Malitzki

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