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Autogramm Mercedes GLE Ein Tanzbär macht sich locker

Dieses SUV ist ein Traum für Poser: Mercedes' neuer GLE rauscht in Neigestellung um enge Kurven und wackelt auf Befehl mit dem Hintern. Dabei hat der Wagen noch einmal deutlich an Volumen zugelegt.

Der erste Eindruck: Eine runde Sache. Weniger Ecken und Kanten und noch weniger Blechlinien lassen den GLE glatter und geschmeidiger erscheinen, ohne dass er an Präsenz einbüßt. Jetzt sieht er nicht mehr so nach Panzer aus, und es hilft der Aerodynamik. Mercedes reklamiert für den GLE den niedrigsten Luftwiderstandsbeiwert dieser Klasse (cW 0,29).

Das sagt der Hersteller: Beim Debüt 1997, damals unter dem Kürzel ML, war der SUV noch allein. "Mit der M-Klasse haben wir das Segment der Premium-SUV begründet", sagt Mercedes-Entwicklungschef Ola Källenius. Bisher wurde das Auto etwa zwei Millionen Mal verkauft. Doch mit BMW X5, Audi Q7, VW Touareg, Porsche Cayenne und jeder Menge Importmodellen ist diese einträgliche Klasse inzwischen dicht besetzt. Deshalb haben die Schwaben beim Generationswechsel das SUV laut Källenius "komplett neu gedacht". Mercedes treibt großen Aufwand mit dem Wagen und hegt entsprechend große Hoffnungen: "Mit neuem Bedienkonzept, innovativen Fahrassistenten, einer neuen Motorenpalette und deutlich mehr Platz soll der neue GLE die Erfolgsgeschichte fortschreiben."

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Autogramm Mercedes GLE: Luxusteil auf Abwegen

Foto: Daimler

Das ist uns aufgefallen: Auch dem neuen GLE fehlt es nicht an Durchzugs- und Durchsetzungskraft, dennoch wirkt das neue Modell bei allem Elan viel geschmeidiger. Das liegt nicht allein an der Ruhe, die an Bord herrscht, weil der Wagen dank seiner Schlüpfrigkeit vom Winde verschmäht wird. Es liegt auch an der sanfter schaltenden Neun-Stufen-Automatik. Und an den langen Segelphasen, in denen sich der Motor auch bei hohem Tempo abschaltet - bevor der 48-Volt-Startergenerator des Mild-Hybrid-Antriebs ihn später kaum merklich wieder anwirft.

Es liegt vor allem auch am neuen Fahrwerk. Es kombiniert eine ohnehin schon komfortable Luftfederung mit vier elektrohydraulischen Stellmotoren und einer Kamera, die den Fahrbahnverlauf abtastet. So erkennt sie Unebenheiten und kann das Fahrwerk aktiv darauf einstellen, bevor der Wagen sie passiert. Einzelne Räder heben sich vor einer Bodenwelle oder senken sich vor einer Delle und das Auto schwebt geradezu darüber hinweg.

Im Prinzip ist das von der S-Klasse bekannt. Doch mit den elektrischen Stellern arbeitet das System im GLE schneller und feinfühliger. Der Wagen lässt sich je sechs Zentimeter abheben und absenken, so dass sich die Bodenfreiheit um insgesamt zwölf Zentimeter ändern lässt. Davon macht Mercedes nicht nur im Gelände Gebrauch, sondern je nach Fahrprogramm auch beim Beschleunigen und Bremsen, wenn das System das übliche Aufbäumen und Einnicken verhindert, und vor allem in Kurven. Dann arbeitet das Fahrwerk der Fliehkraft entgegen und das Auto kratzt die Kurven wie ein Skifahrer. Diese Neigehaltung sieht von hinten spektakulär aus und fühlt sich von innen unglaublich entspannt an. So wird der GLE zu einer Limousine für den Schlamm und lockt mit dem luxuriösesten Fahrgefühl, das man - von Rolls-Royce Cullinan oder Range Rover abgesehen - in einem SUV genießen kann.

Das alles, obwohl der Wagen deutlich an Volumen gewonnen hat. Weil Mercedes den Wagen in der Länge um zehn und im Radstand um acht Zentimeter gestreckt hat, gibt es innen deutlich mehr Platz. In der zweiten Reihe sitzt man jetzt genauso gut wie in der ersten, und der Kofferraum ist mit 630 bis 2055 Litern so groß, dass Mercedes auf Wunsch erstmals eine dritte Rückbank anbieten kann.

Auch Komfortdetails hat der Hersteller verbessert. Die Becherhalter heizen und kühlen jetzt. Beheizbar sind auch die Armauflagen auf der Mittelkonsole und in den Türen. Im Infotainmentsystem gibt es eine Wellnessberatung, und erstmals in dieser Klasse ist die Rückbank voll elektrisch verstell- und verschiebbar.

Den vielleicht größten Schritt macht der GLE bei der Bedienung. Wie bisher nur die A-Klasse bekommt er eine Benutzeroberfläche mit Breitbildschirm-Cockpit, großem Touchscreen, Sprachsteuerung auf dem Niveau von Siri und Co. sowie einer Navigationsdarstellung, die Kartenmaterial und Videobilder mischt. Mercedes bringt auch die nächste Generation des Head-up-Anzeigesystem in den Wagen. Es ist größer, löst höher auf und schwebt weiter vorn in der Blickachse.

Das muss man wissen: Die Produktion im US-Werk Tuscaloosa läuft gerade an, die ersten Autos werden Mitte Februar bei den Händlern stehen. Der Grundpreis wird bei 65.807 Euro liegen, zur Wahl stehen zunächst drei Dieselmotorisierungen vom Vierzylinder im GLE 300d mit 245 PS bis zum Reihensechszylinder mit 272 PS im GLE 350d und 330 PS im GLE 400d; dazu kommt der 450er-Benziner, der auch in unserem Testwagen verbaut war. Der schöpft aus drei Liter Hubraum 367 PS Leistung, weitere 22 PS steuert der elektrische Booster bei. Das maximale Drehmoment liegt bei 500 Nm plus 250 Nm.

Während der Benziner auf einen Normverbrauch von 8,3 Liter kommt, weist Mercedes dank Leichtbau und aerodynamischem Feinschliff für die Diesel im besten Fall 6,1 Liter aus und wehrt sich so gegen das Image vom SUV als Säufer. Es sind allerdings 36 Prozent mehr als die offiziell 4,5 Liter, die eine E-Klassen-Limousine auf 100 Kilometern schluckt. Immerhin ist der Sechszylinder-Diesel im GLE der erste in einem SUV, der die Schadstoffnorm Euro 6d ohne die Einschränkung "Temp" erfüllt. Er darf also höchstens 120 statt 168 Milligramm Stickoxide pro Kilometer im realen Fahrbetrieb ausstoßen.

Dem schlechten Image der Dickschiffe tritt Mercedes obendrein mit einem Plug-in-Hybrid-Antrieb mit angeblich deutlich mehr als 50 Kilometer elektrischer Reichweite entgegen, der bald folgen soll. Allerdings wird auch die traditionelle Bleifußfraktion bedient - mit einem V8-Ballermann, den es zudem in einer AMG-Variante geben soll.

Zwar ist der GLE deutlich gewachsen. Doch weil bei den SUV groß scheinbar nie groß genug ist, bietet Mercedes bald noch mehr: Im Sommer 2019 folgt der GLS - quasi eine S-Klasse fürs Grobe. Und wem wiederum der GLE als gelutschter Klops nicht schnittig genug ist, kann auf ein GLE Coupé warten.

Das werden wir nicht vergessen: Den Tanz, den der Wagen mit dem elektrisch geregelten Fahrwerk im Stand aufführen kann, wenn ihn die Stellmotoren an den Rädern in immer kürzeren Abständen aufbocken und absenken. Gedacht ist das zwar, um das Auto in Sand oder Schnee freizuschaukeln, wenn man sich festgefahren hat. Doch so spektakulär wie das Gejuckel aussieht, wird es wohl viel häufiger am Samstagabend vor der Disco oder an der roten Ampel zu sehen sein.

Hersteller:Mercedes
Typ:GLE 450
Karosserie:SUV
Motor:Reihensechszylinder-Turbo-Benzindirekteinspritzer
Getriebe:Neungang-Automatik
Antrieb:Allrad
Hubraum:2.998 ccm
Leistung PS:367 PS
Leistung kW:270 kW
Drehmoment:500 Nm
Von 0 auf 100:5,7 Sek.
Höchstgeschw.:250 km/h
Verbrauch (ECE):8,3 Liter
CO2-Ausstoß:190 g/km
Kofferraum:630 Liter
umgebaut:2.055 Liter
Gewicht:2.220 kg
Maße:4924 / 1947 / 1772
Preis:72.650 €