Elektromotorräder auf der EICMA

Klartext: Electric EICMA

Bei elektrischen Motorrädern tut sich endlich wieder was, das zeigte sich auf der EICMA vom Anfang des Novembers. Wo vorher Skepsis zur Eignung elektrischer Antriebe zum Streunern überwog, lassen die diesjährigen Ideen der Hersteller Freude und Hoffnung aufkommen

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 322 Kommentare lesen
Klartext 16 Bilder
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ich hasse Messebesuche. Wenn in Deutschland die Branche zur Intermot pilgert, nehme ich immer die Gegenrichtung in die Alpen, Motorrad fahren, und auf der EICMA in Mailand war ich überhaupt noch nie. Ich hasse aber nicht die Messen an sich, sondern sitze wie jeder Hobby-Interessent mit Popcorn am Bildschirm und genieße eine konzentrierte Dosis Branchen-Nachrichten. Das gibt immer einen ganz guten Snapshot vom Zustand der Szene. Dieses Jahr machte mir die EICMA Hoffnung auf die Zukunft des elektrischen Motorrads.

Über das elektrische Motorrad haben wir hier schon viel geschrieben, im Hintergrund viel darüber geredet. Viele haben KTM-CEO Stefan Pierer dafür ausgebuht, als er sagte, dass elektrische Antriebe bei großen Motorrädern kein relevanter Markt seien, dass sie sich eher für kleine Motorräder mit möglichst definierten Einsatzgebieten eignen. Jetzt bin ich sicher niemand, der Pierer besonders mag, aber als er das sagte, stimmte es halt ganz einfach.

Die fette Eva streunert

Der Redundanz halber noch einmal die Schwierigkeit zusammengefasst: Motorräder werden häufig streunernd durch die Gegend gefahren, und wenn man das mit 500 Kilometern am Tag tun will, wie es das eben heute gibt, dann vergisst man am besten den Gedanken daran, das mit einer Batterie als Energieträger zu tun. Beim Auto lösen die Hersteller das Energiedichtenproblem dadurch, dass sie gigantische Batterien in Gravitationslinsen von Autos bauen.

Das geht am Motorrad so nicht. Die Energica Eva (Test) oder Ego (sind ja fast gleich unter den Verkleidungsteilen) liegen schon hart an der Grenze dessen, was als Roadster noch Spaß macht. Die fette Eva mit ihren 290 kg braucht ihren Rückwärtsgang, wird Besitzern mit weniger dicken Stampfern dennoch häufiger kentern auf Kies-Parkplätzen und wird mit über 30.000 Euro zwangsläufig selten bleiben. Überhaupt finden wir in der Firma Energica ein exemplarisches Lehrbeispiel des Themas „batterieelektrisches Serienmotorrad“.

Energica ist damals vorgeprescht mit einem Motorrad, das zeigte, wie ein elektrischer Roadster sein kann, und ich verstehe, dass die anderen Hersteller da erstmal reagierten mit „Ach so, ja, nein, danke“. Eigentlich hat Energica sich alles richtig von Tesla abgeguckt: Erst das Teure, dann vielleicht irgendwann herunterbrechen auf günstigere Modelle. Nur wollte schon das Teure kaum jemand haben, und so langsam muss Energica mal Geld verdienen, weil sie den zweiten Tesla-Teil (Finanzierung durch PR auftreiben) nicht einmal ansatzweise vergleichbar beherrschen. Energica erinnert mich an ein Motorradmagazin, denn die Firma muss mit Brotkrumen von Tag zu Tag kommen, mit dem Damoklesschwert, dass ihnen die Mutterfirma den Hahn abdreht, denn Motorräder braucht auch herstellerseitig kaufmännisch gesehen kein Mensch. Wenn, dann WILL sie jemand trotz allem.

Pipi raus, Benzin rein

Mittlerweile sind allerdings viele Tränen über die Laufstege Mailands geflossen, und eine Frage hat sich dabei allen Motorradfahrern gestellt: MUSS es denn sein wie immer? Antwort wie immer: natürlich nicht. Es geht freilich auch anders, es ist nur die Frage, ob es dann besser wäre oder wenigstens genauso gut oder auf andere Art gut. Und ich glaube mittlerweile, dass es durchaus einen Markt für elektrische Roadster geben könnte, und zwar über den der kleineren Nachmittagsrunde hinaus. Nein, du wirst nicht dieselben Strecken am Tag fahren wie mit dem Benziner.

Aber das wollen viele eh nicht. Auch die Anfahrt erledigen immer mehr Einspurfahrzeugurlauber mit Transportern. Wenn das eh so ist, kannst du auch eine leichte Enduro mitnehmen, oder eben ein Elektrokrad. Dann muss die Gruppe eben etwas längere Pausen einplanen statt nur „Pipi raus, Benzin rein“ und – paf! – können Elektrische mitfahren. Sicherlich passt das nicht jedem in den Alpenurlaub und muss es auch nicht. Ich glaube aber, es kann einen relevanten Markt für solche Fahrzeuge geben, wenn sie denn nicht wieder über 30 Tausis kosten.

Harley-Davidson mit CCS

Das stimmigste Angebot dazu macht Harley-Davidson mit der Livewire. Vom Prototypen damals unterscheidet sich die Gestaltung hauptsächlich durch eine Lampenmaske. Nennenswerteste technische Änderung: Unter einem Deckel liegt in der Tankattrappe ein Auto-CCS-Stecker, damit die Livewire an europäische Schnelllader passt. Sehr gut. Geblieben ist der schick in Szene gesetzte, längs liegende Motor mit brutal lauter Umlenkung auf den Zahnriemen-Endantrieb.

Kein anderer Hersteller hat es geschafft, einen elektrischen Antrieb optisch schöner in Szene zu setzen. Ob das mit dem Lärm die richtige Entscheidung war, muss die Zeit zeigen. Ich zweifle daran, dass Folgegenerationen Lärm so wichtig ist wie den Alten. Die Livewire soll schon 2019 bei den Händlern stehen. Preis: offen. Ich habe erste Schätzungen von rund 25.000 Euro gelesen, was leider gar nicht so unrealistisch klingt.

Münch Mammut 2020

Wir fanden auch Grenzfälle auf der Messe. Curtiss (früher: „Confederate“) zeigte ihr klobiges Designstück „Zeus“ in zwei Gestaltungs-Geschmacksrichtungen. Eine neue Firma namens Arc will mit ihrer Studie Vector den Weg in die Motorradzukunft weisen: Augmented Reality im Helm-HUD, Vibrationsmelder in der aufladbaren Jacke, CFK-Chassis mit Doppellängslenker vorn und ein Preis von über 100.000 Euro. Flashbacks an die Münch Mammut 2000 kommen mir hoch, wenn ich auch daran zweifle, dass es von der Vector wie von der Münch überhaupt 15 Stück aus der Fabrik heraus schaffen – trotz aller Investoren-Prominenz.