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Deutschland Asyl-Debatte

Palmer nennt Merz' Vorstoß zum Asylrecht einen „schweren Fehler“

Friedrich Merz stellt Asylrecht infrage

Beim Kandidaten-Rennen um den CDU-Vorsitz überrascht er mit einem kontroversen Vorstoß. Friedrich Merz stellt das deutsche Grundrecht auf Asyl infrage.

Quelle: WELT

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In der von ihm ausgelösten Asyl-Debatte erntet Friedrich Merz viel Kritik. Boris Palmer findet es falsch, „jetzt am Grundrecht auf Asyl zu rütteln“. Claudia Roth wirft Merz vor, die Ressentiments von Rechten zu bedienen.

Im Rennen um den CDU-Vorsitz hat Mitbewerber Friedrich Merz eine Debatte über das deutsche Asylrecht gefordert und damit Kritik auf sich gezogen. Deutschland sei das einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen habe, sagte Merz während der dritten CDU-Regionalkonferenz im thüringischen Seebach bei Eisenach. Es müsse offen darüber geredet werden, ob dieses Grundrecht in dieser Form fortbestehen könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt sei.

„Wir müssen irgendwann einmal eine große öffentliche Debatte darüber führen, ob man einen gesetzlichen Vorbehalt ins Grundgesetz schreibt“, sagte Merz in Seebach. Zugleich betonte er, durch den UN-Migrationspakt dürften keine neuen Asylgründe geschaffen werden. Zum Beispiel dürfe der Klimawandel nicht als politische Verfolgung und damit als Asylgrund gelten. „Das sind Dinge, die wir in Deutschland auch durch die Hintertür nicht akzeptieren können.“

Sein Konkurrent um den CDU-Vorsitz, Jens Spahn, äußerte gegenüber WELT Kritik an dem Vorstoß, betonte aber, dass das „Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, von großem Leid und Vertreibungen eine große Errungenschaft unseres Grundgesetzes ist“. Das Problem sei, dass es heute zu oft ausgenutzt werde und zu ungesteuerter Migration führe.

„Um Akzeptanz für dieses wichtige Grundrecht zu erhalten, müssen wir zuallererst unsere EU-Außengrenze wirksam schützen und unsere Asylverfahren beschleunigen“, legte Spahn seine Position dar. Er halte es für wichtig, dass diese Debatten endlich breit geführt werden. Jedes Argument müsse offen auf den Tisch.

Claudia Roth: Friedrich Merz läuft Hetzern hinterher

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) äußerte scharfe Kritik an Merz‘ Forderung. „Mit seinem Angriff auf das individuelle Grundrecht auf Asyl beweist Merz nicht nur, dass er sich mit den Details deutscher und europäischer Asylpolitik in den letzten Jahren offenbar wenig befasst hat. Er stellt auch die Lehren aus der deutschen Geschichte offen infrage“, sagte Roth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Roth warf Merz vor, die Ressentiments von Rechten und Rechtsextremen zu bedienen. „Die Demokratieverächter und Rechtsstaatsfeinde wähnen sich im Aufwind – in Deutschland, in Europa, weltweit“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie stellten die Politik in Deutschland vor die Frage, ob sie den moralischen Imperativ des Grundgesetzes verteidige oder den Hetzern hinterherlaufe. „In einem parteiinternen Machtkampf hat sich Friedrich Merz offenbar für Letzteres entschieden.“

Kritik kam auch von Ex-Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne): „Wettlauf um den CDU-Vorsitz: Jens Spahn redet wie auf einer Pegida-Demo, Merz stellt Grundrecht auf Asyl infrage. Und der Gewinner ist … die AfD“, twitterte der Grünen-Politiker. Eben jene feierte Merz für seine Forderung: „Merz liest … anscheinend auch das Grundsatzprogramm der AfD (Seite 119)“, twitterte die AfD Essen.

„Das geht nicht. Das halte ich für einen schweren Fehler, jetzt das Grundrecht auf Asyl zur Disposition zu stellen“, sagte Boris Palmer, Grünen-OB in Tübingen. Er sei „inhaltlich strikt dagegen, daran zu rütteln“. Die Debatte müsse aber „konservativ und rechts“ geführt werden, sagte Palmer. „Jetzt kann ich wieder die CDU von links kritisieren, wie ich mir das eigentlich immer gewünscht habe.“

Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, hat Friedrich Merz' Vorstoß zu einer Debatte über das individuelle Grundrecht auf Asyl scharf verurteilt. "Es befremdet uns, wie geschichtsvergessen das Grundrecht auf Asyl infrage gestellt wird", sagte Amtsberg WELT. "Gerade wir Deutsche haben auf Grund unserer Geschichte eine besondere Verantwortung. Das Grundrecht auf Asyl ist historisch aus den Gräueltaten des Nationalsozialismus erwachsen." Es zu verteidigen, sollte für jeden Demokrat und jede Demokratin eine Selbstverständlichkeit sein.

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"Friedrich Merz täuscht mit seinem Vorschlag über die Probleme hinweg, die wir in Europa haben", sagte Amtsberg. "Wir brauchen ein solidarisches europäisches Asylsystem, dass die besondere Belastung der Außengrenzländer anerkennt und eine gerechte Verteilung innerhalb der EU organisiert. Gerade die zunehmende Kleinstaaterei von rechtspopulistischen Regierungen in Ungarn, Italien und Österreich macht es aber notwendig, dass Deutschland weiterhin seiner Verantwortung für humanitäre Aufgaben gerecht wird." Darüber hinaus ignoriere die Aussage von Merz "bewusst, dass das Grundrecht auf Asyl bereits Anfang der 90er-Jahre eingeschränkt wurde. Für uns Grüne ist das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar."

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl und die Linke sehen das ähnlich: Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt warf Merz vor, „im Heuhaufen ahnungslos tuend zu zündeln“. Er warnte die Union, „Parolen und Zerrbilder der extremen Rechten zu übernehmen und damit die Fundamente des Rechtsstaates in Europa und in Deutschland zu unterminieren“.

Rechtspopulisten in Deutschland und in der EU instrumentalisierten Flüchtlinge und das Asylrecht, um auf Stimmenfang zu gehen, sagte Burkhardt. Dabei würden Angstszenarien bedient und Scheinprobleme als real dargestellt. „Wahr ist, dass das internationale und europäische Flüchtlingsrecht Vorrang haben vor dem deutschen Grundgesetz. Vor Zurückweisung in Verfolgungssituationen schützen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Spitzenpolitiker muss dies wissen.“

Niema Movassat, verfassungspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion im Bundestag, sagte WELT: „Friedrich Merz legt die Axt an die letzten Reste des Asylrechts an und will sich so offensichtlich an AfD-Wähler anbiedern“, so Movassat. „Davon profitiert am Ende aber nur die AfD. Offenbar haben weite Teile der Union nur noch ein Thema: Migrationsabwehr.“ Die Bevölkerung erwartet aber Konzepte gegen Altersarmut, teure Mieten und den Pflegenotstand. „Da hat kein einziger der Kandidaten der Union Antworten.“

„Was kommt als Nächstes – die Menschenwürde?“

Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel attackierte Merz. „Das Individualrecht auf Asyl infrage zu stellen ist geschichtsvergessener Unfug“, sagte Schäfer-Gümbel WELT. Er ergänzte: „Im CDU-internen Wettrennen wer populistischer daherredet, hat Friedrich Merz jetzt unsere Verfassung attackiert. Was kommt als Nächstes – die Menschenwürde oder die Religionsfreiheit?“ Schäfer-Gümbel nannte es erstaunlich, dass es im Wettstreit um den CDU-Vorsitz fast gar nicht „um die Zukunft“ des Landes gehe.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat CDU-Vorsitzkandidat Friedrich Merz wegen dessen Vorstoß zu einer Debatte über das Grundrecht auf Asyl scharf kritisiert. „Ich finde es fragwürdig, wenn Friedrich Merz aus einem Kalkül für den innerparteilichen Wahlkampf heraus das Grundgesetz als Steinbruch für Argumente benutzt", sagte Pistorius WELT. „Das Asylrecht leitet sich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen von Artikel eins des Grundgesetzes ab, von der Menschenwürde. Daran jetzt Hand anzulegen, ist nicht nur falsch, sondern geht auch an der tatsächlichen Problemlage weit vorbei.“

Noch schärfere Kritik kam von Aziz Bozkurt (SPD), Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt. „Der Drang nach verfassungsfeindlichen Vorschlägen scheint mit Friedrich Merz von der CSU nun auch auf die CDU geschwappt zu sein.“ Bozkurt führte gegenüber WELT aus: „Der geschichtsvergessene Quatsch zum Grundrecht auf Asyl hat allein das Ziel, auf der Welle der Rechtsextremen ins Kanzleramt zu surfen.“

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SPD-Vize Ralf Stegner stellte sich ebenfalls gegen Merz. „Wir Sozialdemokraten kämpfen für eine gemeinsame humanitäre Flüchtlingspolitik in Europa“, sagte Stegner dem Berliner „Tagesspiegel“. Wenn Merz deshalb das Grundgesetz angreife, verlasse er „den demokratischen Grundkonsens“. In der CDU gebe es einen „nach rechts driftenden Profilierungswettbewerb“ der drei Vorsitzkandidaten.

Kritik aus CDU-Reihen

Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), kritisierte den Vorstoß. „Eine Begrenzung der Asylzahlen erreichen wir nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes, sondern indem wir Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsam mit unseren Partnern an einem solidarischen Asylsystem arbeiten und eine faire Lastenverteilung in Europa vorantreiben“, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte davor, das Grundrecht auf Asyl infrage zu stellen. Es sei aus gutem Grund in der Verfassung verankert, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

Das habe auch mit der Geschichte der Bundesrepublik zu tun. Reul bezeichnete die Regelung als wertvoll, von einer Änderung halte er nichts. Man könne lediglich darüber nachdenken, das Verfahren praktikabler zu machen.

Günther kritisiert CDU-Kandidaten für Themen-Fokussierung

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther begrüßt eine klare Positionierung der Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Gleichzeitig warnt er die Kontrahenten jedoch davor, zu stark auf Einwanderungsthemen zu setzen.

Quelle: WELT

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte die Kandidaten für den CDU-Vorsitz generell davor, im Wettbewerb zu stark auf Einwanderungsthemen wie den UN-Migrationspakt zu setzen. „Ich glaube, dass andere Zukunftsherausforderungen für die Menschen eine größere Rolle spielen“, sagte Günther.

AfD und CSU begrüßen Merz‘ Vorstoß

Zustimmung erhielt Merz dagegen aus der CSU und AfD: „Der Vorschlag von Friedrich Merz zur Einschränkung des Asylrechts ist völlig richtig“, sagte AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland WELT. Er freue sich, dass Merz „damit eine alte Forderung der AfD-Fraktion“ aufgreift. „Merz kann bei einer Änderung des Asylrechts im Grundgesetz auf die Unterstützung der AfD-Fraktion zählen“, so Gauland, der auch Bundesvorsitzender seiner Partei ist.

Nach Ansicht von Gauland darf jene Diskussion „allerdings nicht wie von Merz vorgeschlagen ‚irgendwann einmal‘ geführt werden“, sondern müsse „sofort beginnen“. Man habe „angesichts der anhaltenden Masseneinwanderung und der Politik der offenen Grenzen keine Zeit zu verlieren“. Deutschland könne sich das Asylrecht in seiner jetzigen Form nicht länger leisten. „Angesichts der anhaltenden weltweiten Flüchtlingsströme überfordert das aktuelle Asylrecht Deutschland und macht es zum Anziehungspunkt für Millionen Menschen, die nicht hierher gehören“ sagte Gauland. „Das Asylrecht muss wie in anderen Ländern auch endlich von einem individuell einklagbaren Recht in eine institutionelle Garantie umgewandelt werden.“

Der Europa-Abgeordneten Markus Ferber (CSU) sagte im rbb, Merz stelle „nicht das Grundrecht auf Asyl infrage, sondern das individuelle Grundrecht auf Asyl“. Es sei tatsächlich eine Besonderheit, dass hierzulande Asylbewerber aus sogenannten sicheren Drittstaaten nicht pauschal abgelehnt werden könnten, sondern jeder Fall einzeln geprüft werde.

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Der umstrittene UN-Pakt, gegen den sich in mehreren Ländern zum Teil vehementer Widerstand regt, soll am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden. Das Recht auf Asyl ist im Artikel 16a des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es in Absatz eins: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Tatsächlich wird das Asylrecht in der Bundesrepublik damit – anders als in vielen anderen Staaten – nicht allein aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt, sondern hat Verfassungsrang.

In der Praxis bekommen Menschen, die heute vor Krieg und Krisen nach Deutschland fliehen, nur selten eine Asylberechtigung nach Artikel 16a des Grundgesetzes. Die meisten erhalten Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder einen eingeschränkten (subsidiären) Schutz. Das gilt für Menschen, die nicht als politisch verfolgt gelten, aber trotzdem bleiben dürfen, weil ihnen in der Heimat „ernsthafter Schaden“ droht – wie Folter, Todesstrafe oder willkürliche Gewalt in einem bewaffneten Konflikt.

Merz rudert zurück

Am Donnerstag bemühte sich Merz, die Aufregung über seinen Vorstoß zu einer Diskussion über das Grundrecht auf Asyl zu dämpfen. „Ich stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht infrage, weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte machen“, teilte Merz mit. „Für mich steht aber fest, dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können“, ergänzte er. „Ich kenne kaum jemanden, der das ernsthaft bezweifelt.“

Angesichts einer Anerkennungsquote bei den Asylanträgen „von deutlich unter zehn Prozent ist es erforderlich, dass wir uns mit der Frage beschäftigen, wie das Grundrecht auf Asyl und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken können“, betonte Merz. Diese Debatte müsse „in aller Ruhe und Sachlichkeit von der CDU geführt werden“.

dpa/KNA/sst/RA/mka/vwe/mnd/toh/uex

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