WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geld
  3. Immobilien
  4. Kredite: Der Immobilienboom zwingt die Deutschen ins Risiko

Immobilien Kredite

Der Immobilienboom zwingt die Deutschen ins Risiko

Immobilienboom zwingt die Deutschen zur Risikofreude

Die steigenden Preise für Häuser und Wohnungen treiben die Deutschen immer mehr in die Verschuldung. Für den Traum von den eigenen vier Wänden müssen sie hohe Kredite aufnehmen.

Quelle: WELT/ Lukas Axiopoulos

Autoplay
Die Bundesbürger gelten als vorsichtig. Doch durch die steigenden Preise für Häuser und Wohnungen verschulden sie sich immer höher. Bei einer Sache im Umgang mit Krediten bleiben sich die Deutschen jedoch treu.

Normalerweise verschulden sich die Deutschen nur ungern. Doch wenn es um die eigenen vier Wände geht, müssen sie ihren Urinstinkt immer häufiger ablegen. Statt „nur nicht Verschulden“ heißt das neue Credo „keine Angst vor hohen Krediten“. Zwangsweise. Der Boom am Immobilienmarkt und die stetig steigenden Mieten lassen ihnen keine andere Wahl.

Im vergangenen Monat hat die durchschnittliche Darlehenshöhe für Baufinanzierungen einen Rekordwert erreicht. Um den Wunsch von den eigenen vier Wänden Wirklichkeit werden zu lassen, mussten sich Immobilienkäufer im Durchschnitt mit 234.000 Euro verschulden. Das waren rund 30.000 Euro mehr als im Vorjahresmonat und sogar rund 40.000 als noch im Jahr 2016.

Den Trend zu höheren Schulden zeigen Zahlen des Finanzdienstleisters Dr. Klein. Das Unternehmen gehört hierzulande zu den größten Vermittlern für Baufinanzierungen und hat daher einen guten Überblick über den deutschen Immobilienmarkt.

Quelle: Infografik WELT

Wer kaufen will, braucht einen Kredit

Die Statistiken offenbaren noch etwas anderes. Die Bundesbürger müssen ihre Immobilie immer stärker beleihen. Der fremdfinanzierte Anteil am Immobilienwert, der sogenannte Beleihungsauslauf, liegt mit 81,6 Prozent nun über der Marke von 80 Prozent. Noch 2016 brachten Bauherren und Käufer im Schnitt deutlich mehr als 20 Prozent Eigenkapital in ihre Finanzierung ein, der durchschnittliche Beleihungsauslauf lag zwischen 76 und 78 Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Damit trifft der Immobilienboom nun mit voller Wucht die neuen Käufer. In den vergangenen zehn Jahren sind die Immobilienpreise hierzulande im Schnitt um fast 50 Prozent gestiegen. Noch heftiger fiel der Anstieg in den gefragten Monopolen München, Frankfurt oder Berlin aus. Hier haben sich die Preise binnen einer Dekade im Schnitt annähernd verdoppelt.

Wer jetzt noch kaufen will, muss deutlich höhere Kredite aufnehmen. Wie stark das die Käufer trifft, macht die Situation in der Berlin deutlich. Im Jahr 2013 wurden durchschnittlich 193.000 Euro nachgefragt, um eine private Immobilie zu finanzieren.

Lesen Sie auch

Nur fünf Jahre später waren es im Schnitt schon 325.000 Euro, hat das Portal Immobilienscout24 aufgrund von Kreditanfragen auf seiner Website ermittelt. „2013 sollte etwa das 50-Fache eines durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens für die eigenen vier Wände kreditfinanziert werden. 2018 war es schon das 90-Fache“, sagt Ralf Weitz, Geschäftsführer von Immobilienscout24.

Grund sind auch hier die explodierenden Immobilienpreise. In einzelnen Stadtteilen der Hauptstadt vervielfachten sich die Preise. Den stärksten Anstieg seit 2007 gab es laut dem Immobilienportal im Stadtteil Neukölln, wo der Preis pro Quadratmeter von knapp 989 Euro auf 3969 Euro kletterte. Das entspricht einem Plus von 301 Prozent. In Kreuzberg (plus 219 Prozent auf 4463 Euro je Quadratmeter), Tiergarten (plus 211 Prozent, 3785 Euro, Wedding (plus 210 Prozent, 3276 Euro) und Schöneberg (plus 193 Prozent, 4027 Euro) wurden ebenfalls deutliche Zuwächse verzeichnet.

Quelle: Infografik WELT

Weitz will dennoch nicht von einer Immobilienblase sprechen. Aufgrund einer erwarteten Zinswende sei der Blick in die Zukunft zwar etwas eingetrübt. Doch die Nachfrage nach Wohnraum in Berlin bleibe hoch, weil der Zubau noch längst nicht den Umfang erreicht habe, der gebraucht werde.

Anzeige

Und auch die Experten von Dr. Klein sehen noch keine Anzeichen dafür, dass sich der deutsche Immobilienkäufer übernehme. Sie sprechen von einer weiter soliden Finanzierung. Darauf ließen die Tilgungsraten von 2,71 Prozent schließen, die aber weit über der empfohlenen Zwei-Prozent-Marke liege.

Lesen Sie auch

Dennoch steigen die Risiken. Denn mit der tendenziell schrumpfenden Eigenkapitalquote sinkt auch der Sicherheitspuffer bei etwaigen Preisrückgängen, die nach Jahren des Booms durchaus möglich sind. Die Bundesbank beispielsweise hält Immobilien in den angesagten Metropolen für 15 bis 30 Prozent überteuert. Es bestehe die Gefahr der Überschätzung von Kreditsicherheiten, schrieben die Bundesbanker erst zuletzt in ihrem Finanzstabilitätsbericht.

Kredite so planbar wie möglich halten

Immerhin stehen die Bundesbürger im internationalen Vergleich noch solide da. In den vergangenen Jahren sind die durchschnittlichen Schulden von rund 110 Prozent der verfügbaren Einkommen auf rund 90 Prozent gefallen, der Anteil der Wohnungsbaukredite von gut 70 Prozent der verfügbaren Einkommen auf rund 65 Prozent gefallen. Doch der Trend hat inzwischen deutlich gedreht. Die Last der Baudarlehen gemessen an den Einkommen nimmt wieder zu.

Sichtbar wird das auch am Wachstum der Baufis, wie die Kredite im Jargon heißen. Das Volumen steigt inzwischen um rund fünf Prozent und damit so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. 2009 war das Wachstum noch negativ.

Lesen Sie auch

Auch den Bundesbürgern scheint angesichts der immer höheren Immobilienschulden etwas mulmig zumute. Sie versuchen, die Kredite so planbar wie möglich zu machen. Sie wählen bei den Darlehen lange Laufzeiten, um sich die niedrigen Zinsen möglichst langfristig zu sichern. Sie wollen nicht in die Refinanzierungsfalle tappen, sollten die Konditionen nach Auslaufen der Kredite dann deutlich höher liegen.

Nach Zahlen von Dr. Klein lassen sich die Darlehensnehmer die jetzigen Zinsen für über 14 Jahre festschreiben. Das ist so lang wie seit zwei Jahren nicht mehr. Insofern bleiben die Deutschen zumindest in Sachen Planbarkeit ihrem alten Urinstinkt treu.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema