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Sebastian Fischer

Merz und das Asylrecht Grundrecht auf Quatsch

Hat Friedrich Merz etwa am Grundrecht auf Asyl gerüttelt? Aber nicht doch, sagt er. Der konservative CDU-Kandidat wollte also nur mal reden. Es ist die Simulation einer Debatte.
Friedrich Merz

Friedrich Merz

Foto: Silas Stein/ dpa

Er sei schon seit langer Zeit der Meinung, dass über das deutsche Grundrecht auf Asyl offen geredet werden müsse: "Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat." So hat es Friedrich Merz am Mittwochabend vor CDU-Publikum gesagt, in einer seiner Bewerbungsreden um den Parteivorsitz.

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Ein paar Leute im Publikum haben Bravo gerufen, andere waren ein bisschen überrascht. Und viele fragen jetzt, am Tag danach: Was ist denn mit dem los? Darf der das?

Immerhin geht es doch um ein Grundrecht.

Natürlich darf Merz das. In einer freiheitlich-demokratisch verfassten Republik darf selbstverständlich auch über den Inhalt einzelner Verfassungsartikel debattiert werden. Zumindest dann, wenn diese nicht als unabänderliche Verfassungsprinzipien festgeschrieben sind. Und der Asyl-Artikel 16a fällt eben nicht in diese Kategorie. Er ist mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu verändern, die weitreichendste Änderung stammt aus dem Jahr 1993.

Und wer jetzt spottet, was denn bitteschön Merz als nächstes debattieren wolle, vielleicht die Menschenwürde? Dem sei die Lektüre von Artikel 79 angeraten. Da steht nämlich drin, was mit keiner Mehrheit zu verändernder Wesenskern der Verfassung ist: unter anderem die Menschenwürde in Artikel 1.

Aber um all das geht es Friedrich Merz wohl gar nicht. Ihm geht es um die Debatte als Selbstzweck. Um den Eindruck, dass mit ihm ein frischer Wind wehte in der CDU, dass unter und mit ihm wieder Debatten geführt werden könnten, sozusagen nach dem Verlassen der Merkelschen Ruhezone.

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Wenn Merz also sagt, dass "offen geredet" werden müsse, dann will er einen Bruch, einen Tabubruch suggerieren. Es entsteht das Bild: Der Merz ist einer, der sich traut. Der auch die heißen Eisen anfasst.

Ein Klassiker der Politrhetorik.

Tatsächlich hindert ihn natürlich niemand daran, "offen" über das deutsche Asylrecht zu sprechen. Die Verfassung schon gar nicht. Er darf auch offen über die Herauslösung des Sauerlands aus Nordrhein-Westfalen und eine Angliederung an Hessen sprechen, wenn er mag.

Alles möglich in unserer Demokratie.

Wir kennen dieses Debatten-Schema natürlich bereits: Merz' Rivale Jens Spahn hat es vor ein paar Tagen im Zusammenhang mit dem Uno-Migrationspakt eingesetzt. Spahn hat die CDU aufgefordert, den Pakt zu diskutieren. Nötigenfalls solle die Bundesregierung lieber erst einmal nicht unterschreiben. Spahn selbst hat gar nicht gesagt, was er vom Pakt hält. Er hat scharf rechts geblinkt, ohne sich auf die schmutzige Seite der Straße zu begeben.

Merz und Spahn konkurrieren um die Stimmen der Konservativeren in der CDU, in diesen Tagen liefern sie sich deshalb einen Überbietungswettbewerb. Spahn dürfte von Merz' Vorstoß mit dem Asylrecht reichlich überrascht worden sein. Merz hat sich vielleicht sogar selbst überrascht, denn am Tag danach stellt er einiges klar.

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"Ich stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht infrage", schreibt er auf Twitter. Es gehe ihm um - genau! - eine ruhige und sachliche Debatte, wie das deutsche Asylgrundrecht "und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken können".

Okay, bitte schön. Diese Debatte ist leicht zu führen.

Tatsächlich hatte Deutschland einst ein sehr weitgefasstes Asylrecht: "Politisch verfolgte genießen Asylrecht." Punkt. So stand es bis 1993 im Grundgesetz, dann wurde im sogenannten Asylkompromiss zwischen Union und SPD der Artikel 16a geschaffen. Da steht jetzt zwar noch immer dieser eine, klare Satz - aber danach folgen mehrere Absätze mit Festlegungen, wer sich eben nicht auf diesen ersten Satz berufen darf. Kurz gesagt: Nur noch jene Menschen dürfen sich in Deutschland aufs Asylrecht berufen, die nicht aus sicheren Drittstaaten einreisen.

Dieser Verschärfung vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion, insbesondere in den Unionsparteien. Der damalige bayerische Innenminister Edmund Stoiber zum Beispiel sagte dem SPIEGEL im November 1990: "Die CSU will den individuell einklagbaren Anspruch beseitigen. Den gibt es in der ganzen Welt nirgendwo."

Es ist diese Uralt-Debatte, an die Friedrich Merz heute anschließt. Obwohl wir längst viel weiter sind, auch auf europäischer Ebene.

Natürlich, gerade in den letzten Jahren sind Hunderttausende nach Deutschland eingereist. Doch die Anerkennungsquoten nach Artikel 16a liegen seit der Verschärfung sehr niedrig. Die meisten Schutzsuchenden erhalten Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder einen eingeschränkten, sogenannten subsidiären Schutz - oder müssen das Land eben wieder verlassen.

Das individuelle Grundrecht auf Asyl ist und bleibt eine große zivilisatorische Errungenschaft nach der Nazi-Herrschaft und ihren Folgen. Wir sollten es verteidigen.

Und zugleich keine Debatte scheuen. Denn auch Friedrich Merz hat ein individuelles Grundrecht auf Quatsch.