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Wissenschaft Friese fragt

Gibt es Intuition und, wenn ja, was ist das?

Die Autorin glaubt, eine sehr gute Intuition zu besitzen, ihre Freunde sind da eher skeptisch Die Autorin glaubt, eine sehr gute Intuition zu besitzen, ihre Freunde sind da eher skeptisch
Die Autorin glaubt, eine sehr gute Intuition zu besitzen, ihre Freunde sind da eher skeptisch
Quelle: Moritz Thau/Getty Images; CSA Images RF
Was sagt eigentlich die Wissenschaft zum Thema Vorahnungen? Gibt es sie, oder ist das Quatsch? Und wenn es die Vorahnung gibt, wo kommt die eigentlich her, und warum hat man sie manchmal und dann wieder nicht? Können Vorahnungen auch irren? So viele Fragen!

Folgende Situation: Sie geben einer Person die Hand und wissen instinktiv, diese Hand wird Ihnen noch häufiger gegeben werden, und zwar nicht, weil Ihre Lebensumstände das notgedrungen so erfordern, also weil diese Hand eben einer neuen Arbeitskollegin oder Schwiegermutter gehört, dann nämlich wäre die Eingebung, dass Sie diese Hand noch häufiger schütteln werden, gar keine Eingebung, sondern einfach nur eine sehr naheliegende Feststellung, die wirklich kaum jemand jemals denkt.

Genau wie man beim täglichen Kaffee eben nicht denkt: Das wird nicht der letzte Kaffee sein, nein, es werden weitere Kaffees folgen. Täglich. Solche an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeitsbanalitäten spart sich unser Gehirn dankenswerterweise. Man kann ja auch nicht alles denken. Nicht auszudenken, wie das wäre, wenn es nicht so wäre.

Nein, die Rede ist hier von einer Situation, in der Sie jemandem die Hand geben, der jederzeit wieder durch die Maschen Ihres Lebens fallen könnte, weil sie eben nicht familiär oder arbeitstechnisch verstrickt sind. Es ist ein Gefühl, oder die Wahrnehmung, dass eine Begegnung nicht folgenlos bleiben wird, obwohl Sie die begegnete Person erst seit wenigen Sekunden kennen.

Ich hatte so einen speziellen Moment Anfang dieses Jahres auf einem Konzert, zu dem ich bereits in Begleitung war, als sich eine Frau neben mich setzte, die eigentlich neben jemand anderes hatte sitzen wollen, diesen jemand aber nicht wiederfand, also sah sie mich unsicher an, ob sie hier nun sitzen bleiben solle, und ich sagte, bleib nur sitzen, und in dem Moment, in dem ich das sagte, wusste ich, dass diese Person allgemein in meinem Leben sitzen bleiben wird.

Und ich hatte recht. Die Frau vom Konzert ist mir heute eine sehr, sehr gute Freundin.

Ich hatte solche Situationen schon ein paar Mal in meinem Leben. Nicht täglich. Nicht jeden Monat. Aber wenn ich sie habe, machen sie meist einen ziemlichen Eindruck auf mich. Und wenn Dinge einen ziemlichen Eindruck auf mich machen, muss ich meist ziemlich viel darüber reden. Also sage ich den Menschen um mich herum, dass ich eine sehr gute Intuition habe, aber diese Menschen, die ich wirklich schätze, schauen dann meist sehr schief. Sie sagen mir trocken: Na, dann spiel doch Lotto. Manchmal folgt auch nur ein Augenverdrehen. Das Wort „Intuition“ scheint im Wortschatz also ziemlich nah neben „Glaskugel“ zu liegen. Dabei ist es durchaus ein Begriff, mit dem sich sowohl Psychologie als auch Neurobiologie auseinandersetzen.

Der Psychologe Markus Hänsel etwa hat an der Uni Heidelberg zu dem Thema geforscht. Ich rufe ihn an und frage ihn, Herr Hänsel, Intuition, was ist das eigentlich? Und er sagt, das ist etwas Unwillkürliches. Nichts, was man bewusst herbeiführen kann. Und ich sage, ja, ja. Aber geht das auch genauer? Und Hänsel sagt, er braucht ein Beispiel, und ich erzähle ihm von dem Konzert, und er erzählt mir daraufhin von der erfahrungsbasierten Intuition. Sie ist das unbewusste Schöpfen aus dem Vergangenen. Was magischer klingt, als es ist.

Denn man könne es zum Beispiel mit dem Autofahren vergleichen. Haben wir es einmal erlernt, ist es gespeichert und somit erfahrungsbasiertes Wissen, das wir automatisch – also intuitiv – abrufen können. Ähnlich wie das Gehen, versuchen Sie mal, Frau Friese, bewusst zu gehen, sagt Hänsel, also die für das Gehen nötigen Handlungsschritte bewusst einzuleiten. Es geht kaum. Intuition, das ist der Gebrauch von impliziten Wissen. Wenn Sie für eine Entscheidung wenig Zeit haben, sagt Hänsel, dann handeln Sie intuitiv, was meist bedeutet, dass Sie sich für das entscheiden, für das Sie sich schon mal entschieden haben und womit Sie keine schlechte Erfahrung gemacht haben. Sie entwickeln also eigene, intuitive Faustregeln.

Das heißt, sage ich, Intuition sind subjektive Regelwerke, die wir unbewusst anwenden, um im schnellen Alltag nicht überfordert zu sein.

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Ja, sagt Hänsel. Wenn man ein Ergebnis berechnen kann, dann braucht man keine Intuition. Es gibt aber in unserer hochkomplexen Welt viele Situationen, zu denen einem zwar Fakten vorliegen, dennoch ist die ganze Situation nicht überblickbar, da sie vielleicht auch ein Wetten auf die Zukunft ist. Wenn Sie zum Beispiel jemanden einstellen, sagt Hänsel, dann zählen dessen Zeugnisse, aber es zählt auch Ihre Intuition: Passt diese Person zu meinem Team? Ist sie verlässlich?

Ist denn die Intuition verlässlich, frage ich. Und Hänsel sagt, dass Sie etwas aus dem Gespür heraus entscheiden, heißt nicht zwingend, dass Sie sich richtig entscheiden, nein. Deswegen sei es auch ratsam, Bewerbungsgespräche zu zweit zu führen, dann habe man immerhin zwei gespürte Einschätzungen. Diese gespürte Einschätzung, sage ich, ist dann ein unterbewusst stattfindendes Lesen von Mimik und Körpersprache, ja?! Wir bewerten, ob diese zum verbal Geäußerten passt. Wir bewerten, ob die Person uns sympathisch ist. Vielleicht auch, weil ihre Körpersprache und Mimik anderer Körpersprache und Mimik ähnelt, mit der wir bereits gute Erfahrungen gesammelt haben. Richtig, sagt Hänsel.

Wenn ich also jemanden kennenlerne, bei dem ich denke, ah, diese Person wird mir eine Freundin werden, und sie wird es in Folge, dann ist das im Weiteren auch eine „self-fulfilling prophecy“, denn natürlich gehe ich mit der Person, die ich intuitiv mag, und intuitiv als Freundin gewinnen will, sehr wohlwollend um, was wiederum eine Freundschaft begünstigt.

So könnte es sein, sagt Hänsel. Wir nehmen sehr viele Informationen unbewusst auf. Das, was wir als Intuition wahrnehmen, ist die Bewertung dieses unbewusst Wahrgenommen. Und daran, dass uns nicht alles, was wir wahrnehmen, bewusst ist, ist nichts Übernatürliches.

Ich sage danke, lege auf, mache mir einen Kaffee, von dem ich bewusst weiß, dass er nicht mein letzter sein wird, und denke, an Intuition nicht zu glauben, das ist die Arroganz des Bewusstseins. Immer glaubt es, alles unter Kontrolle zu haben. Ich lache ein bisschen irr vor mich hin. Noch nicht mal mein Gehen steuerst du, liebes Bewusstsein, dann vergesse ich den Kaffee. Ganz unbewusst.

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