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  4. Trailer&Kritik: Peter Simonischek im Zeitgeschichts-Roadmovie „Der Dolmetscher“

Film „Der Dolmetscher“

Eine Reise ins Herz des Fliegenschisses

Redakteur Feuilleton
„Der Dolmetscher“ - Nachkriegsdrama mit Peter Simonischek

Ali sucht nach einem ehemaligen Nazi-Schergen, der im Zweiten Weltkrieg an der Ermordung seiner Eltern mitgewirkt haben soll. Er trifft aber nur auf den Sohn. Die beiden Männer beschließen gemeinsam einen Ausflug zu machen.

Quelle: WELT/ Film Kino Text

Autoplay
Was machst du, wenn ein Mann, dessen Eltern dein Vater im Holocaust ermordet hat, vor der Tür steht? Losfahren, erinnern, verstehen. Das tut Martin Šulíks Zeitgeschichtsroadmovie „Der Dolmetscher“.

Unsere Vergangenheit ist nur so lange vergangen, bis jemand vor unserer Tür steht, für den sie nie vergehen kann. Zum Beispiel – so geht es in Martin Šulíks zeitgeschichtlichem Roadmovie „Der Dolmetscher“ los – ein feiner älterer Herr im Trenchcoat, der einen Aktenkoffer dabeihat, in dem eine Pistole steckt.

Mit der will der Mann aus der Slowakei in Wien notfalls einen Mann erschießen, wenn der ihm krumm kommt. Den will er erinnern an dessen Vergangenheit.

Und er will ihn auf gar keinen Fall sterben lassen, bevor der ihm erzählt hat: Wie seine Eltern ermordet wurden, damals im Holocaust, will er wissen und sehen, was der Mörder dazu sagt, dass die Nemesis ihn doch noch einholt.

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Es kann ja gegenwärtig gar nicht genug Hinweise darauf geben, dass mit einiger Sicherheit jeder Deutsche eine Vergangenheit hat, die eigentlich nicht so ganz vergangen ist. Dass es kein Fliegenschiss ist, den man einfach mal wegfeudeln, wegleugnen kann.

Und so tun, als sei es schon damit getan, dass man sich irgendwann – in den späten Sechzigern beispielsweise, als man alles Vergangene über die Reling der Geschichte warf, statt sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen – sehr deutlich distanziert hat von dem, was passiert war, was einen schuldig machte.

Mein Vater, der Mörder

Georg Graubner zum Beispiel scheint sich ganz wohlzufühlen in dieser Distanz, jener jetzt 70-jährige Alt-68er, vor dessen Tür im „Dolmetscher“ der melancholische, pulvertrockene Vergangenheitsapostel und Übersetzer Ali Ungár auftaucht mit Aktenkoffer und Pistole.

Dass sein Vater, mit dem er vor Jahrzehnten gebrochen hat und von dem er sagt, er sei gerade gestorben, ein schlimmer Kerl war, das weiß Georg schon. Als SS-Offizier hat er Tausende im Osten Europas ermordet oder ermorden lassen.

Jetzt will Georg den Juden – dem ist zufällig die nicht eben selbstkritische Autobiografie von Graubner senior in die Hände gefallen – nicht in die Wohnung lassen.

Übermensch, Schwein

Weil sie beide ein bisschen starrsinnig sind, explodiert schon mal gleich, was sich wie eine rote Lunte durch diesen Film zieht: ihr prinzipiell unterschiedlicher Umgang mit Mord und Gedächtnis, mit dem, was wir tief im Sediment unserer Seele und Geschichte mit uns herumschleppen.

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„Sie sind einfach nur ein antisemitisches Schwein“, ruft der Opfersohn, da ist der Film gerade mal eine Viertelstunde alt. „Und Sie ein zionistischer Übermensch“, schreit der zurück.

Und weil man nirgends besser Distanzen loswerden kann, weil man sich nirgends weniger aus dem Weg gehen kann, als eingedost nebeneinander auf den Vordersitzen eines Autos, setzt Šulík die beiden grumpy old men in einen roten Mercedes. Und dann fahren sie los.

Durch den grauen Nachwinter unserer anscheinend unendlichen Nachkriegszeit. Nach Osten. An die Orte der Taten und des Gedächtnisses. Der Tätersohn zahlt den Opfersohn für seine Dolmetschertätigkeit 100 Euro am Tag.

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Es ist ein doppeltes Dolmetschen, weil Ali die Geschichte vermitteln muss und die Geschichten der Leute, die ihnen über den Weg laufen, zu denen Ali den erst gehassten, dann gemochten Hedonisten am Steuer führt.

Was sich da im fahrenden Dampfkochtopf der Vergangenheit abspielt, ist zwar ziemlich voraussehbar. Das Ziel ist es auch, weil „Der Dolmetscher“ natürlich ein moralischer Film ist, der sein Herz am richtigen Fleck hat. Aber so naiv, dass er es uns und seinen beiden Helden so leicht macht, wie die es sich manchmal selbst, ist er dann auch nicht.

Er umkurvt zielsicher beinahe alle Falltüren ins Klischee. Behält sich eine beeindruckende Serpentine für den Schluss vor. Und baut Widerhaken ein, an denen man sich seine eigene abgesicherte Geschichtshaut aufreißt.

DER DOLMETSCHER (Ein Film von MARTIN ŠULÍK, 2018) jirji menzel
Ganz feiner Kerl: Jiri Menzel will als Dolmetscher wissen, wie seine Eltern starben
Quelle: film kino text /barbora jancarova

Irgendwie versucht sich zum Beispiel Georg im Gespräch mit Alis Tochter um Äquidistanz zu deren Vater, seien sie sich doch sehr ähnlich. Sie hätten beide ihre Eltern verloren. Da stockt der Frau der Atem. Und uns auch.

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Man muss auf dieser Gedächtnisfahrt über diverse randpädagogische Dialogschlaglöcher hinweg und durch holperige Dramaturgieholzwege kommen. Das geht schon. Die Bilder helfen.

Und die Luftfederung, auf die sich Šulík selbst in den falbesten Momenten seines Plots verlassen kann: Das scheinbar federleichte Spiel des seltsamen Paars, das mehr oder weniger die Not zusammengebracht hat.

Toni und die Echokammer

Peter Simonischeks Georg ist ein entfernter Verwandter von Toni Erdmann, ein großes Kind, der alles so lange leicht nimmt, sich von seinem lebenslustigen inneren Navigationssystem so lange auf den Weg des geringsten Geschichtswiderstands führen lässt, bis er am Grab auch seines Lebensentwurfs steht.

Jiří Menzel, der bedeutende Kameramann und Regisseur der tschechischen Neuen Welle ist das perfekte Gegenstück, die Echokammer, ein Mann, dem man ansieht, wie Geschichte einem Menschen die Schultern nach unten drücken kann, der nie wirklich frei war, es aber jetzt ein bisschen lernt.

Mit Simonischek und Menzel gewinnt Martin Šulík diese Rallye durch die Vergangenheit. Mit ihnen gewinnt man jedes Rennen.

„Toni Erdmann“

Unternehmensberaterin Ines wird von ihrem ahnungslosen Vater in Bukarest besucht. Der 65-Jährige ist entsetzt, in welche Kreise sie geraten ist. Dann verwandelt er sich in sein Alter ego „Toni Erdmann“.

Quelle: Die Welt

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