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  4. Trailer&Kritik zur Fortsetzung der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson: Fede Alvarez verfilmt „Verschwörung“

Film Verfilmung von „Verschwörung“

Hirnzellen in der inneren Emigration

Redakteur Feuilleton
„Verschwörung“

Lisbeth Salander streift nachts als Rächerin der Frauen, die von Männern verletzt wurden, durch die Straßen Schwedens. Außerdem ist sie eine berühmt-berüchtigte Hackerin.

Quelle: Sony Pictures

Autoplay
Der Horrorexperte Fede Alvarez hat „Verschwörung“ verfilmt, die Fortsetzung der Millennium-Trilogie. Claire Foy macht aus Lisbeth Salander eine schwedische Lara Croft. Das ist nicht das Schlimmste.

Wir müssen Sie leider bitten, schon an dieser Stelle Ihr Gehirn auszuschalten. Wie Sie jetzt weiterlesen sollen, ist uns zwar auch ein Rätsel. Aber es ist zu Ihrem Besten.

Der Gegenstand nämlich, mit dem sich die folgenden Zeilen beschäftigen werden, könnte zu ernsten Ausfallerscheinung in Ihrem zentralen Nervensystem führen. Dabei war er, das ist etwas mehr als zwölf Jahre her, gar nicht so doof.

Da legte ein schwedischer Journalist, der ziemlich gut vernetzt war und mehr von dem Schweden ahnte, das es jetzt ist, als möglicherweise viele andere, Kriminalromane hin, mit denen die lange und durchaus ehrenvolle Tradition des gesellschaftskritischen skandinavischen Krimis auf eine neue Eskalationsstufe gebracht wurde.

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Stieg Larsson hieß der Journalist. „Millennium“ hieß sein Projekt. Zehn Romane – das ist die heilige Zahl des schwedischen Thrillers – sollte die Serie haben. Nachdem er den dritten Band fertig hatte, lief Larsson irgendwann die Treppe zu seinen Redaktionsräumen hoch und starb.

Den vierten Band hat Larsson angeblich abgeschlossen, als sein Herz nicht mehr mitmachte. Den Rest der Reihe konzipiert. Weniger das Gesellschaftsbild seines Heimatlandes – ungefähr so hinfällig wie ein 30 Jahre überbelastetes Billy-Regal – war das Neue an „Millennium“. Auch nicht Mikael Blomkvist, der investigative Journalist, der als Larsson-Idealisierung eigentlich Held der Reihe hätte sein sollen. Sondern Lisbeth Salander.

Eine Frau, wie es sie noch nie gab im Kriminalroman. Eine randautistische Hackerin, gebrochen von Missbrauch und Einsamkeit, knallhart, wahllos in ihrer sexuellen Präferenz, eine einsame Wölfin im Kampf für die verfolgten, misshandelten Frauen, die härter, besser, klüger, schneller war als jeder der Männer um sie herum.

Lisbeth Salander trat die Tür auf für inzwischen mehr als ein Dutzend Verbrecher jagende Frauen. Das feministische Action-Role-Model, erfunden von einem Mann. Es ist ihm wahrscheinlich eher so passiert.

Zurück zum Auslöser unseres Hirninfarkts. Der heißt „Verschwörung“. Und ist die Verfilmung des vierten Lisbeth-Salander-Romans, der nach einigem weltweit verfolgten Gezerre vom schwedischen David Lagercrantz geschrieben wurde.

Der große Schredder

Beziehungsweise – und das ist die nächste große Komplikation – es ist das, was davon übrig blieb, nachdem der Roman auf dem Weg zur Drehbuchfassung für „Evil Dead“-Regisseur Fede Alvarez offensichtlich in einen großen Schredder gefallen war.

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Dass nach Noomi Rapace in den schwedischen „Millennium“-Filmen und Rooney Mara in den amerikanischen Remakes jetzt mit Claire Foy, die mal die Queen war in einer Serie, die dritte Lisbeth Salander losgelassen wird, ist das geringste aller Übel in diesem üblen Horrorfilm.

Claire Foy hat sich in eine Kampfmaschine verwandelt mit einem wahrscheinlich irritierenden Body-Mass-Index. Sie ist großartig.

Sie foltert Volker „Babylon Berlin“ Bruch, weil dessen Figur gern Frauen schlug. Sie rast wahlweise mit einem Motorrad oder einem schwarzen Lamborghini durch Stockholm und angrenzende Kaltregionen. Sie hat eine mit der Handkante geschnittene Frisur, überlebt durch einen beherzten Sprung in ihre Badewanne die Komplettzerbombung ihrer Bude.

VERSCHWÖRUNG (Originaltitel: THE GIRL IN THE SPIDER'S WEB, 2018) Lisbeth Salander (CLAIRE FOY) in Sony Pictures' VERSCHWÖRUNG
Alles so schön kalt hier: Lisbeth Salander (Claire Foy) verfolgt die Verschwörer
Quelle: © 2018 Sony Pictures Entertainment

Sollte noch jemand eine europäische Lara Croft suchen, Claire Foy wäre die Idealbesetzung. Mit Larssons Salander verbindet sie bloß noch das Drachen-Tattoo auf dem Rücken.

Mit so etwas Läppischem wie Realität verbindet sie eigentlich gar nichts mehr. Was einem schon dämmert, wenn es losgeht. In einem Geisterhaus und Lisbeths Vater und Lisbeths Schwester.

„Verschwörung“ ist natürlich, wie viele Horrorfilme, ein Familiendrama. Der Vater, ein Russe, der aussieht wie der schwedischste aller schwedischen Kriminalkommissare, weil Mikael Persbrandt ihn spielt, der Vater lädt die Schwestern Salander ein zum sexuellen Missbrauch mit einer Art Staubsauger und einem Ganzkörpergummianzug.

Lisbeth will nicht, springt von einem Erker des gothic Elternhauses in eine Tiefe, an deren Ende jeder außer Lisbeth tot sein müsste. Die Schwester bleibt zurück.

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Dann kommt ein Vorspann, angesichts dessen einem dämmert, dass Lisbeth Salander als Gegenentwurf von James Bond aufgebaut werden soll. Und dann sind wir in einer Parallelwelt unserer Gegenwart, in der alles so ist wie in schlechten Fieberträumen

Eine Welt, in der Computerprogrammierer eine Möglichkeit entwickeln, sämtliche Atomsprengköpfe weltweit mit einem einzigen Programm zu steuern, dieses Programm aber in nur einer Kopie mit sich herumschleppen.

In Lisbeths Stiefel

Eine Welt, in der klandestine Kreise versuchen, das Programm in ihre Gewalt zu kriegen und alles Lisbeth in die Motorradstiefel zu schieben.

Eine Welt, in der ein hohes Tier in der NSA nicht nur Hacker-Legende ist, sondern auch exquisiter Sniper, der vor nichts zurückzuckt und mit einem Präzisionsgewehr immer und beinahe aus jeder Entfernung zu treffen in der Lage ist. Weil der Drehbuchschreiber das so braucht.

Dass die Schwester noch einmal auftaucht und sich dann die Spinne endgültig erklärt, die im Vorspann rumspinnt und sich nur vom englischen Titel her erklärt („The Girl in the Spider‘s Web“) – das bekommt nur mit, wessen Hirnzellen sich bis dahin nicht schon in die innere Emigration verabschiedet haben.

VERSCHWÖRUNG (Originaltitel: THE GIRL IN THE SPIDER'S WEB, 2018) V.l.n.r.: Ed Needham (LAKEITH STANFIELD), Lisbeth Salander (CLAIRE FOY), Mikael Blomkvist (SVERRIR GUDNASON) und Plague (CAMERON BRITTON) in Sony Pictures' VERSCHWÖRUNG
Die einsame Wölfin und ihr Team: NSA-Mann Ed Needham (Lakeith Stanfield), Lisbeth Salander (Claire Foy), Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason) und der Hacker Plague (Cameron Britton)
Quelle: © 2018 Sony Pictures Entertainment

Man sieht Menschen, die sich ihr komplettes Gesicht vom ausgehöhlten Schädel ziehen können. Mikael Blomkvist kommt auch vor, aber eigentlich nur noch als Gespenst. Dass Vicky Krieps seine Verlegerin und Gelegenheitsgeliebte spielt, ist einer der Höhepunkte der Schauspielressourcenverschwendung in diesem Jahr.

Wie man in so viel großartiger Kulisse, so schicken kalten Räumen und Bildern einen derartigen (mit eklatanten Continuity-Fehlern und medizinischem Aberwitz vollgestelltem) Unsinn inszenieren kann, wird Fede Alvarez‘ wohl hoffentlich gut gehütetes Geheimnis bleiben.

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Quelle: New Regency / Fingerprint Releasing in Association with Bleecker Street

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