Hartz-IV-Talk bei „Anne Will“: Spahn zofft sich mit Wagenknecht

Sahra Wagenknecht, Franktionschefin der „Linken“, und Gesundheitsminister Jens Spahn streiten sich bei „Anne Will“

Sahra Wagenknecht, Franktionschefin der „Linken“, und Gesundheitsminister Jens Spahn streiten sich bei „Anne Will“

Foto: ARD
Von: Josef Nyary

Der eine schraubt am Job-Motor, der andere schmeißt den Hammer ins Hartz-IV-Getriebe. Anne Will fragt: „Arbeitswelt im Wandel – wie muss der Sozialstaat reformiert werden?“

Die Gäste

▶ Jens Spahn (38, CDU). Der Gesundheitsminister liegt im Rennen um den CDU-Vorsitz nur auf Bronze, braucht dringend einen Zwischenspurt!

▶ Lars Klingbeil (40, SPD). Der Generalsekretär klebte im Debattencamp neue Etiketten: Hartz IV pfui, Arbeitslosengeld Q hui!

▶ Sahra Wagenknecht (49, Linke). Die Fraktionschefin findet die Vorschläge der SPD „leider wenig glaubwürdig“, solange Nahles & Co. mit der Union regieren.

▶ Simone Menne (58). Die Unternehmensberaterin war Finanzchefin der Lufthansa, bläst jetzt zur sozialpolitischen Revolution.

Unternehmensberaterin Simone Menne

Unternehmensberaterin Simone Menne

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▶ Michael Bohmeyer (34). Der Unternehmer ging 2014 mit einem Crowdfunding-Video online. Sein Verein „Mein Grundeinkommen e.V.“ verlost regelmäßig Geld aus Spenden.

Einer will Kanzler werden, zwei möchten das verhindern. Was sagt das Zoff-o-Meter dazu?

Zahnloseste Drohung

Klingbeil steigt als erster in den Ring: Er will künftig mehr fördern als fordern und warnt, durch die Digitalisierung „werden bald ganze Branchen verschwinden, z.B. die Dolmetscher.“

„Wir werden in den nächsten Wochen unser Konzept vorstellen“, kündigt er an und hofft, dass „Jens Spahn und die Union mitmachen“. Und wenn nicht? Windelweiche Antwort: „Dann heben wir uns das für die nächste Legislaturperiode auf.“

Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD

Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD

Foto: ARD

Schärfste Attacke

Neben ihm sitzt Wagenknecht ganz in Weiß wie eine Koalitionsbraut in spe und nimmt Spahn auf die Hörner: „Unerträglich, Arbeitslose unter den Generalverdacht zu stellen, sie seien alles Faulpelze!“ Dafür gibt‘s den ersten Beifall.

Der CDU-Kandidat behält die Ruhe: „Es geht nicht darum, möglichst lange zu zahlen, sondern den Menschen eine Perspektive zu geben“, stellt er klar.

Der ultimative Hotshit

Bohmeyer will erst mal 1000 Euro für jeden Deutschen, denn „die Gehirnforschung zeigt: Wenn man Menschen einen Vertrauensvorschuss gibt, lernen sie besser.“

„Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen“, meint der Berliner, der sich nach einem Startup-Erfolg ein solches selber zahlen kann, „käme mehr Menschlichkeit, mehr Luft zum Atmen in unseren Gesellschaftsvertrag.“

Populismus-Anfall des Abends

Spahn kann der idealistischen These nicht ganz folgen: „Dass wir Exportweltmeister sind, kommt ja eher daher, dass wir uns anstrengen“, zweifelt er.

Die Unternehmensberaterin setzt auf Fanfarenklänge: Mit der Digitalisierung kommt „die nächste industrielle Revolution“, deshalb bräuchten wir „radikale Änderungen im Sozialsystem!“ Betrüger gebe es nicht nur bei Hartz IV, sondern auch „in höheren Einkommensschichten“. Dafür prompt Szenenapplaus.

Dann rotiert das Zoff-o-Meter

Klingbeil hat das Visier so offen wie den Hemdkragen: „Jens Spahn

schaut nur zurück!“ schimpft er. Wer junge Hartz-IV-Empfänger für Lappalien bestrafe, riskiere, dass sie frustriert sind und dem Arbeitsmarkt am Ende ganz verlorengehen.

„Da bin ich fundamental anderer Meinung!“ kontert Spahn. „Wir erwarten, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten einbringt. Das ist nur fair.“ Deal!

Klügster Rat

Außerdem sei es für junge Leute sicher leichter, sein Leben wieder in die richtige Spur zu bringen, als etwa für einen Mittfünfziger, meint der CDU-Politiker.

Zur Digitalisierung sagt Spahn: „Wir sollten ein bisschen mehr Zukunftsoptimismus verbreiten!“

Schnellstes Debatten-MG

Wagenknecht nimmt das Wort und gibt es nicht wieder her: „Gigantische Gehälter in der Finanzbranche! Chronischer Lehrermangel! Rüstungsausgaben begrenzen!“ ledert sie los.

Doch Spahn kontert sie locker aus: „Jetzt gehen Sie wieder Ihre ganzen Applaus-Klassiker durch!“

Parteiischste Retourkutsche

Die „Linke“-Chefin will mit dem Beispiel eines Hartz-IV-Empfängers punkten, der trotz aller Anstrengungen keinen Job finde.

Spahn fühlt ihr auf den Zahn: Er würde in diesem Fall gern persönlich bei der Jobsuche helfen, sagt er mit Pudelblick. Das passt der Talkmasterin nicht ins Konzept und sie erhebt sofort Einspruch: „Das ist auch so ein Applaus-Klassiker!“

Interessanteste Story

Unternehmer Bohmeyer kommt mit dem Beispiel eines „Reichsbürgers“ um die Ecke, der als alternder Industrieverlierer jetzt von ihm jeden Monat 1000 Euro bekomme und seither keine Gefahr mehr für Staat und Gesellschaft darstelle.

Michael Bohmeyer ist Unternehmer und Begründer von „Mein Grundeinkommen e.V.

Michael Bohmeyer ist Unternehmer und Begründer von „Mein Grundeinkommen e.V.

Foto: ARD

Klingbeil findet das Menschenbild, das hinter Bohmeyers Idee steckt, „spannend“, ist aber „nicht überzeugt, dass es funktioniert.“

Verblüffendster Gleichschritt

„Ich bin ja vielleicht ein langweiliger Typ“, sagt Spahn, „aber ich frage mich die ganze Zeit: Wer bezahlt das? Das sind ja Milliarden! Dass diese Frage in der ganzen Diskussion keine Rolle spielt, finde ich irgendwie irritierend.“

Da ist er nicht der einzige. „Für mich“, sagt Wagenknecht über das bedingungslose Grundeinkommen, „ist das eine Mogelpackung!“

Zitat des Abends

„Es muss noch einen Sinn machen, arbeiten zu gehen!“ (Spahn).

Fazit

Viel Zoff, viel Glaskugel, viel Idealismus und viele Phrasen, aber leider nur wenige praktikable Vorschläge in einer für das Thema viel zu aufgeheizten Stimmung. Das war ein Talk der Kategorie „Sozialpolitisches Waterboarding für wehrlose Zuschauer“.

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