Feuerwehrautos müssen sofort anspringen, im Notfall kommt es auf Sekunden an. Aber ein Leichenwagen? Paul Knopf ist entspannt, als sein alter Mercedes 220 SB, Baujahr 1962, mal wieder Startschwierigkeiten hat. Vielleicht liegt es an der nasskalten Novemberluft.
Oder der langen Standzeit. Luft scheint in der Benzinleitung zu sein, Knopf muss leiern und leiern. Aber dann springt der Motor doch an, und auf dem Gesicht des Berliners breitet sich ein Lächeln aus. „Wenn der einmal läuft, dann läuft er. Wie ein Uhrwerk.“
Dieses Uhrwerk ist ein 2,2 Liter großer Reihensechszylinder von Mercedes’ Baureihe W111, unter Heckflossen-Freunden auch „große Flosse“ genannt. Das Auto begleitet Paul Knopf schon seit 30 Jahren. Zur Feier des Tages hat er zu einer Spritztour durch seinen Kiez eingeladen. Das ist der Stadtteil Kreuzberg, Bergmannstraßen-Viertel.
Bei den Leuten am Straßenrand gehen sofort die Daumen hoch. Nicht nur, dass die Mercedes-Heckflosse aus der Wirtschaftswunderzeit ein selten gewordenes Auto geworden ist und Aufsehen erregt. Es handelt sich überdies um einen Bestattungswagen, der Sonderaufbau stammt von der Firma Pollmann.
Leichen werden mit Paul Knopfs altem Benz aber schon lange nicht mehr transportiert. Nein, der Berliner ist, wie der Name bereits nahelegt, Knopfhändler. Und vielleicht der bekannteste Knopfhändler in ganz Berlin.
Die Sammlung in seinem Laden in Kreuzberg umfasst mehrere Hunderttausend Knöpfe. Aber auch Glasperlen, Pailletten, Ohrdekos und Manschettenknöpfe. Im Grunde ist sein Laden eine Art Museum: „Ich führe Knöpfe aus 100 Jahren Knopfgeschichte.“
Übernachten im früheren Leichenwagen
Den Leichenwagen kaufte sich Paul Knopf Ende der 80er-Jahre, weil er einen geräumigen Kombi brauchte. Damals fuhr der Berliner mit seinen Knöpfen regelmäßig auf Märkte, um seine Ware anzubieten. Und im Fond des ausrangierten Bestatters fand er genug Platz, um seine Knöpfe zu transportieren.
Über die Schienen für die Sarghalterung zimmerte er eine hölzerne Ladefläche von beträchtlichem Ausmaß. „Um das Auto zu zivilisieren“, erzählt Paul Knopf, ließ er den W111 außerdem umlackieren: von Schwarz, wie es sich für einen Bestattungswagen gehört, in das freundlichere Lichtgrau eines Knöpfetransporters.
Wenn der exotische Kombinationswagen ausgeräumt ist, kann man auf der Ebene auch wunderbar schlafen, sofern man Matratze und Decken auslegt. Schon oft ist Paul Knopf mit seinem W111 in den Urlaub gefahren, bis nach England und in die Bretagne.
Seine Frau habe sich zunächst geweigert, dort zu nächtigen, wo früher Tote lagen, erzählt Knopf grinsend. Die Alternative wäre die Übernachtung im Zelt gewesen, neben vielen anderen Zelten auf dem Campingplatz. Doch dann haben beide doch gemeinsam im Auto geschlafen. „Das ist gemütlicher. Und wir sind für uns“, erzählt Paul Knopf.
Er selbst hatte nie Gruselgefühle wegen der Vorgeschichte seines Ex-Bestatterwagens. Der Vater war Arzt, die Mutter Krankenschwester. Berührungsängste mit Krankheit und Tod sind dem Berliner daher fremd. Passenderweise ist „Harold und Maude“ einer seiner Lieblingsfilme. Die schwarze Komödie handelt von einem Millionärssohn, der es liebt, Selbstmorde zu inszenieren und auf Beerdigungen zu gehen.
Dass Paul Knopfs alte Heckflosse das Zeitliche segnet, ist nicht abzusehen – trotz ihres Alters und einer astronomischen Laufleistung. Der Kilometerstand werde wohl bei etwa einer Million liegen, sagt Paul Knopf. Genau weiß er es nicht, vor Jahren wurde einmal der Tacho ausgetauscht.
Den Mercedes-Stern haben Idioten einfach abgebrochen
Auch der TÜV-Prüfer hatte beim letzten Mal nicht viel zu meckern. Um die nächste Hauptuntersuchung zu bestehen, seien allerdings einige Schweißarbeiten nötig, sagt Paul Knopf.
Kleinere Mängel behebt der Einzelhändler in Eigenregie, denn so ein 60er-Jahre-Benz ist relativ reparaturfreundlich. Wenn man vorne die Haube öffnet, der Stern auf dem Kühlergrill wurde von Vandalen abgebrochen, denkt man: Unglaublich, wie aufgeräumt früher Motorräume aussahen.
In der Mitte der Sechszylinder, daneben Vergaser, eine Batterie – das war’s auch fast schon. Heute sind die Autos ausgefüllt bis auf den Zentimeter, Kabel, Sensoren und Steuergeräte, wohin man blickt.
Auf Märkte fährt Paul Knopf heute nicht mehr. Er bleibt lieber in seinem gemütlichen Laden in der Zossener Straße, die Kundschaft reicht bis zu Prominenten, die bei ihm Manschettenknöpfe in Sonderanfertigung bestellen. Auch Film- und Fernsehproduktionen ordern gerne bei dem 61-Jährigen für die Requisite.
Die große Heckflosse steht daher oft längere Zeit am Straßenrand und wird selten bewegt. „Eigentlich zu selten“, sagt Paul Knopf etwas wehmütig. Umso mehr genießt er es deshalb, wenn mal wieder eine Spritztour ansteht.
Mit dem 110 PS starken Sechszylinder kann die große Heckflosse auch im modernen Stadtverkehr noch bequem mitschwimmen. „Irre drehfreudig“ sei das Aggregat, schwärmt Paul Knopf. Ob dieses Auto jemals das Zeitliche segnet? Eher nicht. Wie sein Besitzer schon sagte: „Wenn der einmal läuft, dann läuft er.“