Er schrieb Filmgeschichte und sorgte immer wieder für Skandale: Italiens Filmregisseur Bernardo Bertolucci ist mit 77 Jahren gestorben.

Sein opulentes Epos über das 20. Jahrhundert, „Novecento“, begann Bernardo Bertolucci 1976 mit dem Klageruf, den einfache Bauern übers Land trugen, dass der große Komponist Verdi gestorben ist: der Beginn eines neuen Jahrhunderts erst mal als Zäsur, als Ende einer Epoche. Nun, da der italienische Filmregisseur am 26. November mit 77 Jahren nach langer Krankheit in seinem Haus in Rom gestorben ist, könnte man auch vom Ende einer Epoche sprechen. „La Repubblica“ würdigte ihn als „letzten Meister des italienischen Kinos“. Man könnte das sogar ausweiten auf zumindest einen der letzten Titanen des europäischen Films.

Bertolucci war eine prägende Figur des Autorenfilms. Ein Mann, der in Bildern dachte und ihnen eine ganz eigene Signatur aufdrückte. Er hat Filmgeschichte geschrieben, allein sein wohl berühmtestes Werk „Der letzte Kaiser“ (1987) heimste neun Oscars ein. Gleichzeitig hat er aber auch immer wieder sein Publikum herausgefordert, hat für Skandale und Polemiken gesorgt. Ein Mann, an dem man sich abarbeiten musste.

Seine Themen waren stets das Verborgene und Verbotene

Bertolucci, 1944 in Parma geboren, entstamme einem großbürgerlichen Hause. Geprägt hat ihn sein Vater, der Dichter Attilio Bertolucci: Ihm wollte der Sohn mit eigenen Gedichten nachfolgen, der Vater schrieb aber auch Filmkritiken und hat den Sohn schon früh mit ins Kino genommen. Die zweite prägende Figur war Pier Paolo Pasolini, auch ein dichtender Filmemacher, bei dessen Kinodebüt „Accatone“ Bertolucci assistieren durfte und dessen eigenes Debüt „La commare secca“ 1962 auf einem Drehbuch Pasolinis basierte. Der Ältere hat ihn auch politisch geprägt, früh hat sich der Großbürger Bertolucci dem Marxismus verschrieben, 1968 trat er in die Kommunistische Partei ein.

Sein größter Erfolg: „Der letzte Kaiser“ (1987) gewann neun Oscars
Sein größter Erfolg: „Der letzte Kaiser“ (1987) gewann neun Oscars © picture-alliance / dpa | Peter Zander

Mit „Vor der Revolution“, einem Inzestdrama vor politischer Kulisse, feierte der Regisseur 1964 erste Triumphe in Cannes, mit „Der große Irrtum“ (der im Original viel treffender „Il conformista“ hieß) gelang ihm 1970 der Durchbruch. International berühmt – und berüchtigt – wurde er freilich mit einem anderen Werk: dem Sexdrama „Der letzte Tango in Paris“ (1972) mit Marlon Brando und der damals noch unbekannten Maria Schneider. Der Film wurde als Edelporno verschrien, war in Italiens Kinos erst mal verboten, den Darstellern und dem Regisseur drohten sogar Haftstrafen. Das hat den Siegeszug des Films aber wohl nur beschleunigt. Lange Zeit war „Der letzte Tango in Paris“ der erfolgreichste europäische Film in den USA.

Bertoluccis Themen waren stete das Verborgene und das Verbotene, das konnte politischer, aber auch sexueller Natur sein. „Auf der Suche nach dem Geheimnis“ heißt der einzige Gedichtband, den er je publiziert hat, das könnte aber ebenso gut über seinem Oeuvre stehen. „Bertoluccis Protagonisten“, schrieb der Filmhistoriker Karsten Witte 1982 in einer Monographie, „sind Gefangene, die aus ihrer Heimat ausbrechen können, aber noch in der Fremde Gefangene ihrer Sehnsucht werden“.

Sein größter Skandal: „Der letzte Tango in Paris“ (1972) mit Marlon Brando und Maria Schneider
Sein größter Skandal: „Der letzte Tango in Paris“ (1972) mit Marlon Brando und Maria Schneider © picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection

Dabei überraschte der Regisseur immer wieder mit neuen Genres und Themen, für die er aber einen ganz eigenen visuellen Stil entwickelte, mit langen Kamerafahrten, bewusster Farbgebung, Bezügen zur Malerei und melodramatischen, oft opernhaften Zügen. Film-Auteur, das bedeutete bei Bertolucci nicht nur die Einheit von Autor und Regisseur, sondern wirklich eine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift.

Sein größter Erfolg läutete allerdings eine Wende in seinem Werk ein, als Bertolucci sich anderen Kulturkreisen zuwandte und in internationalem Monumentalkino schwelgte. Quasi als neuer David Lean. Für die absurd-tragische Geschichte über den letzten Kaiser von China durfte Bertolucci als erster westlicher Regisseur in der Verbotenen Stadt Pekings drehen. In „Der Himmel über der Wüste“ (1990) erzählte er von der Flucht vor der westlichen Zivilisation, in „Little Buddha“ (1993) von Buddhismus und Reinkarnation. Mit „Die Träumer“, wieder ein Inzestdrama, gelang Bertolucci 2002 noch mal ein Comeback, sein letztes Werk, „Ich und du“, drehte er zehn Jahre später.

Spätes Comeback: „DIe Träumer“ (2003) mit Louis Garrel und Eva Green
Spätes Comeback: „DIe Träumer“ (2003) mit Louis Garrel und Eva Green © picture alliance / Everett Collection | Peter Zander

Zeit seines Lebens wurde Bertolucci mehrfach für sein Lebenswerk ausgezeichnet, 2007 mit dem Ehrenlöwen in Venedig, 2008 mit einem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, 2011 mit der Ehrenpalme in Cannes. Zuletzt freilich machte der Filemacher, der wegen einer misslungener Bandscheiben-OP seit Jahren am Rollstuhl gefesselt war, mit einem Skandal von sich reden, den er nicht beabsichtigt hatte. Da gab er zu, die Vergewaltigungsszene in „Die letzte Tango in Paris“ mit Marlon Brando besprochen zu haben, nicht aber mit Maria Schneider: „Ich wollte ihre Reaktion als Mädchen, nicht als Schauspielerin.“

Ihre Tränen im Film sind echt, die damals 19-Jährige hat ihm das nie verzeihen. Bertolucci hat erst nach ihrem Tod von seinem schlechten Gewissen darüber gesprochen. Das löste in den USA vor zwei Jahren, lange vor #MeToo, zu Recht eine Welle der Empörung aus. Das hat das Ansehen des letzten großen Meisters stark beschädigt. Viele Stars haben sich öffentlich von Bertolucci distanziert. Noch über seinen Tod hinaus wird sein Werk das Publikum spalten.