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China Peking ordnet Untersuchung wegen angeblich genmanipulierter Babys an

Ein Forscher in China behauptet, zwei Kinder als Embryos gentechnisch verändert zu haben. Die Wissenschaft reagiert schockiert, die Versuche waren offenbar nicht angemeldet. Nun schreitet die Regierung ein.
Forscher He Jiankui

Forscher He Jiankui

Foto: Mark Scheifelbein/ DPA

Chinas Regierung hat eine "unverzüglichen Untersuchung" angeordnet, nachdem ein chinesischer Wissenschaftler die weltweit erste Geburt genmanipulierter Babys verkündet hat. Der Fall müsse in Übereinstimmung mit den Gesetzen behandelt werden, die auf dem Grundsatz basieren, für die Gesundheit der Menschen Verantwortung zu tragen, teilte die Nationale Gesundheitskommission in Peking am Dienstag mit.

Der Forscher He Jiankui hatte am Vortag einen weltweiten Aufschrei der Empörung unter Wissenschaftlern und Ethikern ausgelöst, als er die Geburt der ersten genmanipulierten Babys verkündete. Ob seine Behauptung stimmt, ist unklar. "Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt", sagt der Forscher He Jiankui in einem auf YouTube verbreiteten Video.

Das Besondere an der genetischen Veränderung von Embryonen ist, dass später alle Zellen des Körpers diese Veränderung tragen - also auch Keimzellen wie Ei- und Samenzelle. Die genetische Veränderung wird so an Folgegenerationen vererbt. Werden zu einem späteren Zeitpunkt im Leben nur einzelne Körperzellen verändert, hat das dagegen keinen Einfluss auf die Keimzellen.

"Ernsthaft gegen die akademische Ethik verstoßen"

Der Wissenschaftler habe für seine Versuche in der südchinesischen Stadt Shenzhen keine Genehmigung bei den Behörden eingeholt, berichtete die staatliche Zeitung "China Daily" am Dienstag. Die städtische Kommission für Familienplanung und Gesundheit sei nicht informiert worden, obwohl sie zunächst das Projekt hätte ethisch bewerten müssen.

Zuvor hatte bereits Hes Universität in Shenzhen mitgeteilt, nichts von den Versuchen gewusst zu haben. Sie wies am Montag jedes Wissen über seine Experimente zurück. "Wir sind zutiefst schockiert", hieß es in einer auf der Webseite der Hochschule veröffentlichten Mitteilung .

Die Forschungsarbeiten wurden demnach außerhalb der Universität durchgeführt. Auch habe He die Hochschule nicht über seine Arbeit unterrichtet. He habe "ernsthaft gegen die akademische Ethik und akademische Normen" verstoßen. Ein Gremium sei damit beauftragt worden, eine eingehende Untersuchungen des Falls durchzuführen.

Keine Belege für den Versuch

Die an Embryonen vorgenommene Manipulation mit dem noch sehr jungen Verfahren Crispr/Cas9 sollte nach Hes Angaben die Kinder resistent gegen HIV machen. Mit dem Mini-Werkzeug können Gene verändert, an- oder ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden. Eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu dem Eingriff gibt es nicht.


Wie funktioniert Crispr/Cas9?

Die Technik stammt aus dem Immunsystem von Bakterien. Sie nutzen das Crispr/Cas9-System, um Viren abzuwehren: Infiziert ein Virus ein Bakterium, baut es Schnipsel seines Erbguts in die Bakterien-DNA ein. Diese Stelle heißt Crispr. Die Bakterienzelle produziert automatisch Kopien dieses Erbgutabschnittes - die sogenannte Crispr-RNA.

Die Crispr-RNA hängt sich an das Protein Cas9. Cas9 kann DNA zerschneiden. Greift das gleiche Virus das Bakterium erneut an, erkennt die Crispr-RNA dessen Erbgut und führt die Gen-Schere an die entsprechende Stelle. Cas9 schneidet die feindliche Viren-DNA treffsicher aus der Zelle heraus.

Forscher können Crispr-RNA im Labor herstellen - beispielsweise Kopien menschlicher Erbgutabschnitte. Diese führen die Gen-Schere Cas9 dann genau zu der Stelle, an der geschnitten werden soll. Mit Crispr/Cas9 kann Erbgut so günstig, schnell und präzise verändert werden, wie nie zuvor.

Foto: DER SPIEGEL


Laut dem Eintrag in einem chinesischen Register brachte das chinesische Team ungewollt kinderlose Paare mit einer gesunden Mutter und einem HIV-infizierten Vater dazu, bei den Versuchen mitzumachen. Mittels künstlicher Befruchtung wurden mehrere Embryos geschaffen, deren Erbgut verändert wurde.

Dabei hätten die Kinder auch auf anderem Wege vor einer Infektion geschützt werden können: Zum einen besteht das Risiko einer Weitergabe von HIV vor allem durch die Mutter während der Geburt, nicht durch den Vater. Außerdem ist es heute mit Medikamenten möglich, Kinder HIV-infizierter Eltern sicher vor einer Infektion zu schützen.

"Grundlagenversuch an Menschen"

"Die Rede vom Super-Gau ist in verschiedener Hinsicht berechtigt", sagte Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk. Schließlich seien die Risiken des angewendeten Verfahrens "noch unkalkulierbar, Neben- und Spätfolgen für Kinder, Kindeskinder und die Betroffenen sind unabsehbar".

Dabrock hob hervor, dass es sich nicht um ein Experiment zur Heilung von kranken Menschen gehandelt habe. "Es ging eigentlich um einen Grundlagenversuch, den man anhand lebender Menschen durchgeführt hat." Dies sei "klassisch das, was man als Würdeverletzung bezeichnet".

Er befürchte nun, dass andere Länder dem Beispiel folgen und ebenfalls diese rote Linie überschreiten könnten, und forderte "eine globale Initiative" unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, um ethische Leitlinien für Genmanipulationen am Menschen festzulegen.

Auch von chinesischen Forschern kam massive Kritik: "Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden", hieß es in einem am Montag veröffentlichten Schreiben, das 122 Forscher unterzeichneten. Die Versuche seien ein "schwerer Schlag für die weltweite Reputation der chinesischen Wissenschaft". In Deutschland ist die gentechnische Veränderung von Embryonen verboten.

jme/dpa/AFP