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Angeblich manipulierte Embryonen Der Tabubruch des Herrn He

Wissenschaftler weltweit kritisieren einen chinesischen Forscher, der behauptet, menschliche Embryonen mit einer Genschere verändert zu haben. Was genau ist da passiert? Und warum ist das so problematisch?
He Jiankui im August 2016

He Jiankui im August 2016

Foto: China Network / REUTERS

He Jiankui behauptet, vor ein paar Wochen seien Zwillinge zur Welt gekommen, deren Erbgut er gentechnisch verändert habe. Ob seine Aussage stimmt, ist bislang unklar. Es ist keine Publikation dazu öffentlich, die von unabhängigen Experten geprüft wurde, es gibt keine Bilder der Kinder, keinen Kontakt zu den vermeintlichen Eltern. Und trotzdem ist die Aufregung groß.

Was ist passiert?

He behauptet, Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung mit der Genschere Crispr/Cas9 genetisch verändert zu haben. Im Erbgut der Kinder will er einen Rezeptor deaktiviert haben, der für eine HIV-Infektion benötigt wird. So habe er die Kinder resistent gegenüber dem Erreger gemacht, sie könnten sich nicht mehr mit HIV infizieren.

Insgesamt sei die Prozedur bei sieben Paaren angewendet worden. Die Väter seien HIV-positiv gewesen. Vor wenigen Wochen seien auf diese Weise genetisch veränderte Zwillinge zur Welt gekommen.

Was ist das Besondere daran?

Das eingesetzte Genwerkzeug - die Genschere Crispr/Cas9 - wird inzwischen breit in der Forschung eingesetzt. Sie besteht aus einem RNA-Strang, der ein Schneideenzym zielgenau an eine bestimmte Stelle im Erbgut führt. Auf diese Weise können Gene schnell, sicher und günstig verändert oder abgeschaltet werden.

Genwerkzeuge wie diese werden seit längerer Zeit auch in Patienten getestet. Vor ungefähr einem Jahr haben US-Forscher beispielsweise einen an Morbus Hunter erkrankten Mann mit Genscheren behandelt. Die Werkzeuge sollten einen genetischen Defekt in seinen Leberzellen reparieren.

Der Unterschied zu dem aktuellen Fall ist, dass die Babys als Embryonen verändert wurden. Aus embryonalen Zellen entwickeln sich im Mutterleib alle Zellen des Körpers: die Haut, die Organe, Knochen und Muskeln. Eine Genveränderung im Embryo ist später in allen Zellen zu finden, auch in Ei- und Samenzellen.

Die gerade geborenen Zwillinge werden, wenn die Geschichte wahr ist, ihre Genveränderung also an ihre Nachkommen weitergeben. Experten sprechen von einem Eingriff in die menschliche Keimbahn. Das hat es bislang noch nie gegeben. In Deutschland sind solche Eingriffe verboten.

Was wäre schlimm daran?

Ethiker kritisieren, dass auf diese Weise Änderungen an Menschen vorgenommen werden, denen diese nicht zustimmen können - weder die Embryonen noch folgende Generationen haben ein Mitspracherecht.

Andere Experten stehen der Anwendung der Technik grundsätzlich offener gegenüber: Dass sich Erbgut verändert, sei normal, argumentieren sie. Auch natürlich gebe es Genveränderungen in Ei- und Samenzellen.

Nach dieser Logik sind in Zukunft wenige, sehr seltene Fälle denkbar, in denen es vertretbar sein könnte, das Erbgut von Embryonen zu verändern. Beispielsweise, wenn beide Elternteile den gleichen, für ein gemeinsames Kind schädlichen Gendefekt tragen und diesen stets vererben.

Wie sicher ist das Verfahren?

Auch für dieses vorstellbare Szenario wäre die Sicherheit des Eingriffs jedoch Grundvoraussetzung. Forscher müssten sich einig sein, dass keine unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut entstehen, die in der nächsten oder übernächsten Generation Krankheiten hervorrufen. Das ist bislang nicht der Fall.

Im Juni 2018 zeigten Laborversuche  beispielsweise, dass Crispr beim Einsatz in menschlichen Zellen das Krebsrisiko erhöht. Das Erbgut von Menschen unter diesen Voraussetzungen über Generationen hinweg zu verändern, halten die allermeisten Wissenschaftler für zu gefährlich und ethisch nicht vertretbar.

Ist der HIV-Schutz nicht wichtiger?

Bei den aktuellen Babyversuchen kommt - falls es sie tatsächlich gab - noch ein Problem in der Abwägung von Nutzen und Risiken hinzu: Es handelt sich nicht um den seltenen Fall, in dem sich Eltern mit genau dem gleichen Gendefekt ein gesundes Kind wünschen und dies auf anderem Wege nicht möglich wäre.

Stattdessen will He die Babys von HIV-positiven Vätern resistent gegen das Virus gemacht haben. Allerdings benötigen die Kinder keinen besonderen HIV-Schutz. Das größte Risiko für einen Säugling von HIV-positiven Eltern besteht durch die Übertragung von der Mutter bei der Geburt. Dieser Gefahr können Ärzte bereits verlässlich vorbeugen.

Mit Medikamenten lässt sich die Viruslast der Eltern so stark senken, dass sie sich gegenseitig nicht anstecken und - im Falle einer Infektion der Mutter - auch das Kind bei der Geburt geschützt ist.

Den hohen Risiken eines Eingriffs in die Keimbahn steht bei der nun behaupteten Anwendung somit ein geringer Nutzen für die Patienten gegenüber. In den kommenden Tagen will He seine Arbeit bei einer Konferenz zum "Human Genome Editing" in Hongkong genauer erklären.