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Grundgesetz in Magazinform: "Nicht von der Zielgruppe her denken"

Grundgesetz als Zeitschrift "Das pure Gold"

Oliver Wurm hat bisher Fußballzeitschriften publiziert und die Bibel als Magazin herausgebracht. Jetzt veröffentlicht er das Grundgesetz als Zeitschrift - mit einer erstaunlichen Begründung.

SPIEGEL ONLINE: Herr Wurm, durchs Grundgesetz kann man sich gratis im Internet scrollen , es gibt das Gesetz als PDF , man kann es sich von der Bundesregierung kostenlos gedruckt schicken lassen  oder als App  laden. Sie bringen das Gesetz nun als Magazin für zehn Euro an den Kiosk - warum?

Wurm: Genau aus diesem Grund: Weil ich es im Internet las, mir die gedruckte Fassung bestellte - und daran total gescheitert bin. Diese Bleiwüste war unlesbar! Ich kam dazu, weil ich eines Abends im Fernsehen zuhörte, wie der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar schwärmte, wir hätten die schönste Verfassung der Welt. Und da das Grundgesetz damals in meinem Umfeld immer häufiger auftauchte, Freunde es zitierten, ich auf der Anti-Rechts-Demo in Chemnitz an einer Hauswand ein großes Banner sah mit dem Satz: "Die Würde des Menschen ist antastbar", dachte ich vor dem Fernseher: Ok, dann nehme ich mir das auch mal vor.

SPIEGEL ONLINE: Sie hatten das Grundgesetz vorher noch nie gelesen?

Wurm: Doch, aber zuletzt in der Schule. Und mit Lebenserfahrung sieht man vieles ja nochmal ganz neu. Allein die ganzen brillanten Formulierungen haben mich umgehauen. Umso stärker empfand ich die Diskrepanz zwischen dem Geschenk, das uns der Parlamentarische Rat 1949 beschert hatte, und dieser Bleiwüste. Es machte einfach keinen Spaß. Ich bin nun einmal Magazinmacher: Bei meinen Fußballheften geht es darum, dass man Freude daran hat, zu blättern, an einem Foto und an Textzeilen hängen zu bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Sie interpretierten den Text nun, haben einzelne Sätze auf Seitengröße gezogen - wie kamen Sie zu Ihrer Auswahl?

Wurm: Es war die Grundidee, Mut zur Größe zu zeigen. Den Werkzeugkasten dazu hatte ich noch, weil ich das Neue Testament 2010 als Zeitschrift herausbrachte und etwa "Jesus" auf eine Doppelseite druckte, als der Name erstmals im Text auftauchte. Worte und Sätze groß zu zeigen, dient dazu, das Auge zu lenken. Es soll kein Wertesystem sein.

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Grundgesetz in Magazinform: "Nicht von der Zielgruppe her denken"

SPIEGEL ONLINE: Sie setzen auf ein schickes Layout zu einem teurem Preis. Die, die sie damit erreichen, müssen Sie vom Grundgesetz eher nicht überzeugen, oder?

Wurm: Der größte Fehler eines Medienmachers ist es, von der Zielgruppe her zu denken. Ich will, dass möglichst viele ins Gespräch kommen, dass etwas in Bewegung gesetzt wird, viele mit dem Text in Berührung kommen.

SPIEGEL ONLINE: Wieso dann keine Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung, damit die das Ding günstig unter die Leute bringen?

Wurm: Wenn ich eine Idee habe, will ich sie schnell umsetzen, und 2019 feiert das Grundgesetz ja seinen 70. Geburtstag. Mit einer Behörde zu arbeiten, dauert vermutlich länger. Aber bitte: Diese Startauflage ist jetzt ein erstes Angebot. Wenn es einen Weg gibt, das Ganze für zwei Euro zu produzieren: gerne!

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie jetzt Verfassungspatriot?

Wurm: Das ist ein großes Wort. Wenn es heißt, das Grundgesetz mit Freude nach außen zu vertreten und stolz darauf zu sein, dann ja.

SPIEGEL ONLINE: Welcher Artikel hat Sie besonders berührt?

Wurm: Die Passage, in der beschrieben wird, was passiert, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg rechneten die Verfassungsväter fest damit, dass das bald eintreten könnte. Ich bin 1970 geboren, ich habe eine solche Situation nie erlebt. Und als Journalist möchte ich mir natürlich den Satz "Eine Zensur findet nicht statt" groß ausdrucken. Es tut gut, das zu lesen.

SPIEGEL ONLINE: Sie bringen den Text quasi nackt, ohne Kommentierung. Weshalb?

Wurm: Es sollte das pure Gold bleiben. Aber wir haben Fotos großformatig eingebunden, die der Astronaut Alexander Gerst vom All aus gemacht hat. Sie wirken wie Aquarelle. Es ist, als ob die Deutschen von oben herunterschauen und mit Abstand sehen, dass wir mitten in einem grenzenlosen Europa leben. Gerst hat dazu getwittert: "Vom All aus ist es ziemlich offensichtlich, dass Europa zusammengehört."

SPIEGEL ONLINE: Von den vielen Fotos, die Sie abdrucken, zeigt eines die Ostsee, eines Berlin - fast alle anderen aber eindeutig Westdeutschland. Sonderlich gesamtdeutsch wirkt Ihr Grundgesetz nicht.

Wurm: Wir haben mit den Bildern gearbeitet, die wir hatten. Drehen Sie mir keinen politischen Strick daraus. Aber ja, Sie haben Recht, vielleicht sollten wir Gerst für eine Neuauflage fragen, ob er noch andere Motive hat.


Das Grundgesetz als Magazin, 10 Euro, erhältlich im Bahnhofsbuchhandel, bei ausgewählten Kiosken oder online. 

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