Angefangen hat alles mit einem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen im September 2016. Damals fassten die Vereinten Nationen im Schatten der Flüchtlingskrise in Europa den Plan, eine kollektive Absichtserklärung zu verfassen, den UN-Migrationspakt. Im Juli 2018 billigten alle UN-Mitglieder außer den USA, also 192 Staaten, einen rechtlich nicht bindenden Entwurf. Das Schriftstück formuliert Standards im Umgang mit Arbeitsmigranten. Den Umgang mit Flüchtlingen soll ein weiterer Pakts regeln. Nun ist der Pakt im marokkanischen Marrakesch verabschiedet worden - doch längst nicht alle Nationen fuhren hin.
Eine Übersicht über die Kritiker des Pakts und ihre Gründe:
USA
Die USA stiegen schon im Dezember 2017 vor der Einigung auf eine Endfassung als erste aus dem Pakt aus - und das nicht überraschend. Der Amtsvorgänger von US-Präsident Donald Trump, der Demokrat Barack Obama, hatte zwar mit der Einladung zu einem UN-Gipfeltreffen zu Flucht und Migration maßgeblich zur Entstehung des Pakts beigetragen. Doch im Januar 2017 übernahm Trump das Weiße Haus - und die Eindämmung der Migration gehörte zu den Kernversprechen seines Wahlkampfes.
Ungarn
Im Juli 2018 folgte Ungarn dem US-amerikanischen Beispiel. Die nationalkonservative Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán ist für ihre harte Flüchtlingspolitik bekannt. Außenminister Peter Szijjarto nannte den Pakt „die schlechtmöglichste Antwort, die die UNO auf die Herausforderungen der Migration geben kann“. Ungarn fürchtet wie andere Kritiker, dass der Pakt die Zahl der Migranten steigen lassen könnte.
Österreich
Österreich stieg Ende Oktober unter Bundeskanzler Sebastian Kurz aus dem Pakt aus. Kurz‘ ÖVP regiert mit der rechtspopulistischen FPÖ. Einer der Kritikpunkte aus Wien lautet, der Pakt schaffe ein „Menschenrecht auf Migration“. Das ist eine Falschbehauptung, da der Pakt keine rechtliche Bindung hat. Auslegungen, ob der unverbindliche Pakt auf Umwegen zum Gewohnheitsrecht werden könnte, wenn sich etwa Gerichte auf seine Inhalte beriefen, sind strittig. Rechtsexperten halten das für höchst unwahrscheinlich, weil dafür eine überwiegende Mehrheit der Staaten die Regelungen als rechtsverbindlich erachten müsste.
Tschechien
Umweltminister Richard Brabec begründete den Entschluss am 14. November damit, dass die tschechische Republik zwischen legaler und illegaler Migration unterscheide. Der Pakt tue das nicht. Ziel der Regierung in Prag sei es, „alle möglichen Schritte zu unternehmen, um zu verhindern, dass die illegale Migration weitergeht oder unterstützt wird“.
Polen
Die nationalkonservative Regierung in Warschau teilte am 20. November mit, sie werde das Abkommen nicht unterstützen, weil es „Polen keine Sicherheit garantiert und ein Anreiz zu illegaler Einwanderung sein kann“. Trotzdem wird das Land eine Delegation nach Marrakesch schicken.
Israel
„Wir fühlen uns dem Schutz unserer Grenzen vor illegalen Einwanderern verpflichtet“, begründete auch am 20. November Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Absage Israels an den Migrationspakt. Israels Regierung steht wegen der etwa 42.000 Einwanderer aus Eritrea und dem Sudan unter Druck, die in den letzten zehn Jahren über Ägypten ins Land kamen. Seitdem zog Israel einen fünf Meter hohen Grenzzaun, um weitere illegale Einwanderung zu stoppen.
Australien
Australiens konservative Regierung erklärte am 21. November, dem Pakt nicht zuzustimmen. Er könnte zur „illegalen“ Einwanderung in das Land ermutigen. Dies bedrohe hart erkämpfte Erfolge im Kampf gegen den Menschenschmuggel.
Premierminister Scott Morrison steht für eine harte Einwanderungs- und Asylpolitik. Die Regierung fängt Flüchtlinge ab, die Australien auf Booten ohne Einreisevisum erreichen wollen, und hält sie in Internierungslagern auf Pazifikinseln fest. Im Pakt steht allerdings, dass „Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel“ erlaubt sein soll.
Slowakei
Der sozialdemokratische Ministerpräsident Peter Pellegrini sagte am 25. November, dass er als Regierungschef den Text des Migrationspakts ablehne. „Die Slowakei ist nicht einverstanden damit, dass es keinen Unterschied zwischen legaler und illegaler Migration gibt, und wir betrachten Wirtschaftsmigration als illegal, schädlich und als ein Sicherheitsrisiko“, erklärte er.
Das Parlament stimmte am 29. November mit großer Mehrheit gegen die Annahme. Der globale Pakt stehe in seiner derzeitigen Fassung „nicht im Einklang mit der Sicherheits- und Migrationspolitik der Slowakischen Republik“, heißt es in einer Parlamentserklärung dazu.
Bulgarien
Knapp eine Woche vor Beginn des Marrakesch-Gipfels beschloss das Kabinett in Sofia einen Verzicht auf den Beitritt des Landes zu dem globalen Pakt. Wie die konservative Regierung mitteilte, wird Bulgarien nicht an der UN-Konferenz in Marrakesch teilnehmen.
Das Land hatte zuvor bereits Bedenken angemeldet und seine Ablehnung erwogen. Ein Beitritt zu dem Pakt laufe Bulgariens nationalen Interessen zuwider, erklärte die Regierung nun. Sofia werde seinen internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte weiter nachkommen und zugleich die Kontrollen an seinen Grenzen erhöhen. Bulgarien gehörte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zu den Transitländer auf der Balkan-Route.
Lettland
Hier hat sich die Volksvertretung mehrheitlich gegen den Migrationspakt ausgesrpochen.
Wo wird diskutiert?
Belgien: Hier ist die Regierung zerbrochen, weil die flämischen Nationalisten aus Protest gegen den Pakt die Koalition verließen. Die Minister der der N-VA, der größten Partei im Parlament, erklärten einen Tag vor Beginn der UN-Konferenz ihren Rücktritt. Das Land steht trotzdem weiter hinter dem Abkommen, Premierminister Charles Michel reist nach Marrakesch und will mit einer Minderheitsregierung weitermachen. Die nun nur noch aus Michels eigener liberaler Partei MR und zwei Mitte-Rechts-Parteien bestehende Allianz verfügt lediglich über 52 von 150 Sitzen. Kritiker sehen im Vorgehen der N-VA ein Wahlkampfmanöver. Im Mai stehen in Belgien Parlamentswahlen an.
Schweiz: Nach Widerständen aus dem Parlament hat die Schweizer Regierung ihre endgültige Entscheidung über den Beitritt zum UN-Migrationspakt verschoben. Die Regierung ist nach eigenen Angaben zwar weiterhin davon „überzeugt“, dass der Vertrag „den Interessen der Schweiz entspricht“. Allerdings will sie vor ihrer Entscheidung zunächst das Ende der Parlamentsdebatte abwarten. Einige Schweizer Abgeordnete kritisieren, dass Migration „verherrlicht“ und begünstigt werde, statt sie zu regeln. Die Schweiz wird deshalb nicht an der Konferenz in Marrakesch am 10. und 11. Dezember teilnehmen, wo der Vertrag unterzeichnet werden soll.
Italien: Auch aus Rom werden keine Regierungsvertreter nach Marrakesch fahren, erst soll das Parlament entscheiden. Denn Ziel 8 („Rettung von Menschenleben“) verlangt jene Rettungseinsätze, die Italien im Mittelmeer blockiert. Italiens Vize-Regierungschef und Innenminister Matteo Salvini sprach sich deutlich gegen den UN-Migrationspakt aus. „Ich sehe nicht ein, warum man sogenannte Wirtschaftsmigranten und politische Flüchtlinge auf die gleiche Ebene stellen soll“, sagte der Chef der rechten Lega. Salvini fügte hinzu: „Papst Benedikt sagte: Vor dem Recht zur Auswanderung gibt es das Recht, im eigenen Land zu bleiben“.
Estland: In Estland hatte die Diskussion um den Pakt eine Regierungskrise ausgeglöst. Das Dreierbündnis von Regierungschef Jüri Ratas war ins Wanken geraten, nachdem sich seine beiden Koalitionspartner über den Pakt zerstritten hatten. Die Regierung konnte sich deshalb nicht darauf einigen, das Abkommen zu unterstützen. Dies wurde von Präsidentin Kersti Kaljulaid als Abkehr von der außenpolitischen Linie Estlands kritisiert. Nun will der Baltenstaat den UN-Migrationspakt aber doch unterstützen. „Wenn das Parlament einen Standpunkt formuliert, dann ist dies Estlands Position“, sagte Ratas nach einem Treffen mit Präsidentin Kaljulaid dem estnischen Rundfunk.
Der Pakt wurde außerdem auch in den Niederlanden, in Slowenien, Kroatien und Japan diskutiert. Auch in Dänemark gab es Bedenken. Das zuständige Ministerium für Migration und Integration teilte WELT jedoch mit, dass die Regierung trotzdem beabsichtige, dem Pakt beizutreten.