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  4. Karawane: Mexiko bietet Migranten Rückführung in ihre Heimat an

Ausland Flüchtlinge in Mexiko

Der gescheiterte Plan der Migranten und ihrer Helfer

Polizei in Tijuana nimmt zahlreiche Migranten fest

Tausende Migranten - viele aus Honduras und Guatemala - hoffen in Tijuana auf eine Möglichkeit, in die USA reisen zu können. Hunderte weitere sind noch auf dem Weg und ziehen derzeit durch Mexiko.

Quelle: Reuters

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Die Menschen im Flüchtlingslager in Tijuana sind frustriert. Die Grenze zu den USA bleibt für sie unüberwindbar. Jetzt macht ihnen die mexikanische Migrationsbehörde ein verlockendes Angebot.

Eduardo Avila kennt die besten Plätze. Wann immer irgendwo ein internationales Fernsehteam seine Kameras aufbaut, sucht sich der Honduraner im Hintergrund ein Plätzchen, um seine Botschaft zu platzieren. Dann nimmt er sein oranges Plakat in die Hand: „Keine Papiere zu haben ist kein Verbrechen und nimmt einem nicht die Menschenrechte“, steht darauf mit der Hand geschrieben.

Am Sonntag stand er in der ersten Reihe bei der Demonstration in Tijuana, die mit einem Grenzsturm endete. Nun ist der 40-Jährige tief enttäuscht. Von seinen Mitstreitern, von den USA, von den Nichtregierungsorganisationen.

„Die Stimmung im Lager ist so, dass wir das als eine Niederlage empfinden. Wir haben verloren. Wir haben die Ziele, die wir uns gesteckt haben, nicht erreicht“, sagt er im Gespräch mit WELT. Das nüchterne Fazit des ehemaligen Polizisten, der mit der Karawane aus Honduras vor mehr als einem Monat in Richtung USA aufbrach: „Der Sonntag war eine Zäsur. Die Dinge sind außer Kontrolle geraten, die eine Gruppe ist dahin gelaufen, die andere dorthin. Dabei hatte doch alles friedlich begonnen.“

Avila hatte einen Plan. Er hatte sogar 1000 US-Dollar in eine Umschulung investiert um sich als Fischer und Einzelhändler zu spezialisieren, in den USA wollte er nicht als Ungelernter anfangen. Der Grenzsturm hat nun bei ihm und bei vielen anderen Migranten Spuren hinterlassen. Die Mauer scheint auf diesem Weg unüberwindbar. Vor allem die heftige Reaktion der US-Sicherheitskräfte hat viele erschreckt.

Mexiko und USA verschärfen Kurs gegen Migranten

Chaotische Szenen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko: Hunderte Menschen versuchen, über die Grenze zu gelangen. Jetzt soll konsequent abgeschoben werden.

Quelle: WELT / Steffen Schwarzkopf

Fast überall vor den Toren des Lagers bilden sich Gruppen, wenn wieder einmal ein Vertreter einer Nichtregierungsorganisation vorbeischaut. Der Hunger nach zuverlässigen Informationen ist riesig. Die Migranten versuchen zu unterscheiden zwischen den Ideologen unter den Aktivisten, die eigene politische Ziele verfolgen und die Karawane nur als Mittel zum Zweck ihres Kampfes für offene Grenzen benutzen.

Und jenen, die tatsächlich Hilfe leisten, wie Arturo Lizcano. Der Amerikaner ist Mitglied der Anwaltsorganisation National Lawyers. Auf seiner Schirmmütze steht „Unterstützung USA Asyl“. Den Grenzbehörden wirft er Gesetzesbruch vor.

Jene Migranten, denen es gelungen sei, beim Grenzsturm amerikanischen Boden zu betreten, hätten eigentlich das Recht gehabt, einen Asylantrag zu stellen. Es hätte ihnen ein fairer Prozess zugestanden, sagt Lizcano WELT. Die Zurückdrängung nach Mexiko sei illegal gewesen. Ob die Migranten tatsächlich die USA erreicht haben, ist allerdings umstritten.

Doch die Kraft des Faktischen ist ohnehin stärker. Viele Migranten haben seit Sonntag den Glauben an eine Chance auf einen Grenzübertritt verloren. Die von Aktivisten verbreiteten Gerüchte über Solidaritätsmärsche in den USA und eine breite Unterstützung in der amerikanischen Bevölkerung sind geplatzt.

„Vielleicht reicht uns Deutschland eine Hand“

Stattdessen bekamen die Migranten die ganze Wucht der amerikanischen Grenztruppen zu spüren: Hubschrauber, Tränengas, Stacheldraht und eine zeitweilige Sperre des Grenzübergangs. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt.

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Nun beginnt die Suche nach Alternativen. Avila hätte eine Idee, die er auch gern vortragen würde, wenn es denn innerhalb der Karawane eine funktionierende Organisation gäbe. „Wir haben keinen Anführer, wir haben keine Koordination. Uns fehlt die Struktur.“ Die umstrittene Nichtregierungsorganisation Pueblo sin Fronteras (“Volk ohne Grenzen“) zieht sich mehr und mehr zurück.

Ihr werfen lokale Helfer vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen, nachdem sie die Karawane bis an die Grenze geführt hat. Solange es vorwärtsging, ein Tagesziel gab, die nächste Stadt, wurde auf ihre Aktivisten gehört. Doch nun fehlt ein Konzept, wie es weitergehen soll. Avila schlägt einen Dialog mit den USA und anderen Ländern vor.

„Vielleicht gibt es eine Chance, dass Länder wie Panama oder Costa Rica, Italien, England oder Deutschland uns eine freundschaftliche Hand reichen und Kontingente von 400, 500 Menschen aufnehmen, die alle arbeiten wollen.“ Doch wem soll er seine Ideen vortragen? Was bleibt, ist die Suche nach der nächsten Kamera, um wenigstens sein Plakat mit der Botschaft zu zeigen.

Ein paar Meter weiter ist das Gedränge so groß wie bei Asylberater Lizcano. Doch am gemeinsamen Stand von mexikanischer Migrationsbehörde und UN geht es um die Rückkehr in die Heimat. Eine Mitarbeitern schlägt einen recht lockeren Ton an, als sie mit ihrem Megafon zur Menge spricht: „Also, Jungs, um halb vier am weißen Bus. Da könnt ihr euch eintragen.“

An dem Stand hängen zwei Botschaften: „Migration ist ein Gewinn für alle“ steht auf einem professionell gestalteten Banner. Daneben steht, per Hand und Drucker gebastelt, „Assistierte Rückkehr“. „Wir sorgen dafür, dass ihr sicher nach Hause gebracht werdet. Per Bus, mit Verpflegung und Unterstützung für einen Neustart in euren Heimatländern“, erläutert die Frau mit dem Megafon.

Als einer aus der Gruppe fragt, ob man nicht noch eine Woche warten könne, antwortet sie, sie wisse nicht, wie lange es dieses Angebot noch geben werde. Es sind Frauen mit jungen Kindern, die sich hier anstellen, weil es in dem völlig überfüllten Lager immer prekärer wird. Auf 5800 ist die Zahl der Flüchtlinge angewachsen, viele sind wegen der schlechten hygienischen Verhältnisse erkrankt.

Am Abend ist klar, wie viele Migranten auf das Angebot eingegangen sind: 81 Mittelamerikaner haben sich für eine freiwillige Rückkehr in die Heimat registrieren lassen. Weitere machen sich ernsthafte Gedanken, die meisten aber warten auf den Samstag. Dann beginnt die Amtszeit von Andrés Manuel López Obrador, dem künftigen Präsidenten Mexikos.

Von der Rede des Linkspolitikers wird viel abhängen, seine Botschaft an die Migranten wird entscheidend sein für die Zukunft des Lagers von Tijuana und auch für die gesamte Migration aus Mittelamerika in Richtung Norden. „Ich glaube, dass viele in Mexiko bleiben werden“, sagt Eduardo Avila. „Aber unser Kampf muss friedlich bleiben. Sonst besteht die Gefahr, dass uns die Mexikaner als Gruppe komplett abschieben.“

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