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SPIEGEL ONLINE
Julia Merlot

Angeblich gentechnisch veränderte Babys Der Einschnitt

Mit seiner Behauptung, Embryonen gentechnisch verändert zu haben, bringt He Jiankui sein Forschungsfeld in Verruf. So bremst er den medizinischen Fortschritt und gefährdet die Entwicklung neuer Therapien.

Wenn der Mensch in die Natur eingreift, bekommen viele Angst. Das gilt insbesondere bei Veränderungen des Erbguts. "Wir spielen Gott" heißt es oft im Zusammenhang mit Gentechnik. Nun behauptet der Forscher He Jiankui aus China, menschliche Embryonen mit der Genschere Crispr/Cas9 manipuliert zu haben. Die Zwillinge seien vor wenigen Wochen geboren worden. Die Rede ist von "Designer-Babys".

Wenn die Geschichte stimmt, ist das ein Skandal. Das liegt allerdings nicht daran, dass Gentechnik im Menschen angewendet wurde. Das Problem ist die Art und Weise, wie das geschehen ist.

He behauptet, er habe die Mädchen von HIV-positiven Vätern durch die Erbgutveränderung resistent gegenüber einer Infektion mit dem Virus gemacht. Der Eingriff dürfte den Mädchen allerdings nur wenig nutzen. Dass sie sich beim Vater anstecken, wäre ohnehin sehr unwahrscheinlich (mehr dazu lesen sie hier).

Erhöhtes Krebsrisiko befürchtet

Dem gegenüber stehen hohe Risiken für die Kinder. Die meisten Forscher halten moderne Genscheren, wie sie He eingesetzt hat, noch nicht für sicher genug, um sie in Embryonen einzusetzen. Die Veränderungen sind anschließend in allen Zellen des Körpers zu finden und werden über Generationen weitergegeben. Experten befürchten, dass durch den Einsatz der Genschere im Menschen das Krebsrisiko steigt.

Möglich war der Versuch, weil He die Arbeit - wenn sie tatsächlich stattgefunden hat - im Verborgenen machte. Seine Uni will nichts davon gewusst haben. Sein angebliches Resultat verkündete er über ein YouTube-Video. Es gibt keine von Kollegen geprüfte Veröffentlichung. Anscheinend hat auch keine Ethikkommission zugestimmt.

Das Auftreten des Forschers ist auch eine Machtdemonstration. Denn man muss kein Genie sein, um Erbgut mit Genscheren zu schneiden. Jeder Biotechnologe ist dazu in der Lage. Auch deshalb diskutiert die Branche seit Jahren über die ethischen Grenzen der Anwendung. He hat eine solche nun einfach überschritten - und bringt damit das gesamte Forschungsfeld der Gentechnik in Verruf.

Es wäre unethisch, nicht weiter zu forschen

Dabei sind Genveränderungen per se nicht schlimm oder gefährlich. Gene verändern sich ständig auf ganz natürliche Weise - auch im Menschen. So funktioniert Evolution. Seit einigen Jahrzehnten haben Forscher die technischen Mittel, um gezielt ins Erbgut einzugreifen. Wie jede neue Technik, bergen die Verfahren Risiken, aber auch Chancen.

Mit neuen Genscheren, die auch He genutzt hat, könnten sich möglicherweise eines Tages Embryonen von tödlichen Erbgutdefekten befreien lassen. Relevant ist das vor allem für den extrem seltenen Fall, dass bei einem Paar Mutter und Vater den gleichen, schwerwiegenden Gendefekt tragen und diesen an all ihre Nachkommen weitergeben würden.

Kluge Ansätze, Gene im Sinne des Menschen zu verändern, gibt es auch, ohne dafür ins Erbgut von Embryonen und damit in jede Zelle des Körpers einzugreifen. Wissenschaftler arbeiten beispielsweise daran, Gendefekte in bestimmten Körperzellen - etwa in der Leber - zu beheben. Solche Gentherapien eröffnen ganz neue Möglichkeiten und werden bereits an chronisch Kranken erprobt.

Es wäre unethisch diese Ansätze nicht weiter zu erforschen - und einzusetzen, wenn die Risiken im Verhältnis zum Nutzen stehen. Um gleichzeitig Missbrauch zu verhindern, braucht es jedoch international verbindliche Regeln. He hat Menschenleben gefährdet. Damit darf er nicht ungestraft davonkommen.