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Nordrhein-Westfalen Eckkneipen-Geständnisse

„Als Fußballfan ist man am Tiefpunkt angelangt“

Ben Redelings hat über seine Liebe zum Fußball ein Buch geschrieben Ben Redelings hat über seine Liebe zum Fußball ein Buch geschrieben
Ben Redelings hat über seine Liebe zum Fußball ein Buch geschrieben
Quelle: Silvia Reimann
Der Profifußball hat mittlerweile ein schlechtes Image: zu viel Geld, zu viele Skandale. Fußballbuchautor Ben Redelings spricht über Fußballfasten, Sippenhaft der Fans und seine Lieblingsanekdote aus der Welt des Fußballs.

Ben Redelings ist einer der produktivsten Fußballautoren hierzulande. Der Bochumer ist 43 Jahre alt und hat mehr als 20 Fußballbücher veröffentlicht, die so schön und lustig sind, dass sie einem den – in diesen Tagen stark angekratzten – Glauben an den Fußball zurückgeben können. Das Gespräch findet in der Bochumer Eckkneipe „Zur Postkutsche“ statt. Hier habe er schon als 16-jähriger Schüler frühmorgens gesessen, hier schaue er regelmäßig Fußball, sagt er. Von seiner Liebe zu diesem Sport handelt sein neues Buch.

WELT: Herr Redelings, wenn es um Fußball geht, redet gerade alle Welt über das Gebaren des Fifa-Chefs, über Milliardensummen aus Katar, kickende Multimillionäre und ausbleibende Fans. Nun kommen Sie daher und veröffentlichen ein Buch namens „Fußball – Die Liebe meines Lebens“. Genau der richtige Zeitpunkt für eine Liebeserklärung?

Ben Redelings: Der Titel schwirrte mir schon lange im Kopf herum. Der Fußball ist momentan nicht positiv besetzt. Er hat einen Hype erfahren – einen zu großen, wie ich finde. Und jetzt erleben wir das Gegenteil. Völlig zu Recht. Ich bin selbstverständlich auch kein Fan von dem vielen Geld, Katar, der Fifa.

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WELT: Gucken Sie noch Bayern München, Barcelona, Paris St. Germain? Allesamt von Katar alimentiert?

Redelings: Selten. Vor dreieinhalb Jahren habe ich ein Experiment gemacht und vier Wochen auf Fußballgucken verzichtet. Fußballfasten. Das habe ich dann in einem Tagebuch verarbeitet. Der erste Schritt bestand darin, Sky auf die Bundesliga zu begrenzen. Ich könnte mir auch eine Begrenzung auf die 2. Liga vorstellen, weil sich mein Lieblingsverein dort festgesetzt hat.

WELT: Der VfL Bochum! Ist das die letzte ehrliche Haut im Fußballgeschäft?

Redelings: Das wäre eine schöne plakative Überschrift. In der Hinsicht ist der Zug aber leider abgefahren. Wir haben uns viel Positives bewahrt, aber wenn jemand kommen sollte und Millionen investiert, würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen, dass das Positive bleibt.

WELT: Ist Ihr Buch eine Gegenposition zu dem schlechten Image, das der Fußball derzeit hat?

Redelings: Es ist auf jeden Fall so angelegt, dass es die vielen schönen Geschichten erzählt, die er zu bieten hat. Die Frotzeleien, die Anekdoten. Ich habe Wert darauf gelegt, alles auszublenden, was nervt.

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WELT: Thomas Edlingers Buch „Der wunde Punkt“ handelt davon, dass wir in einer hyperkritischen Zeit leben und quasi unausgesetzt aufgefordert sind, etwas zu beurteilen, zu bewerten. Edlinger schreibt, dass das Fansein – ob es um eine Musikband geht oder einen Fußballverein – gerade deshalb so schön ist, weil es davon entlastet, kritisch zu sein. Würden Sie das unterschreiben?

Redelings: In der Theorie ja. In der Praxis ist es leider so, dass wir uns als Fußballfan heutzutage rechtfertigen müssen.

WELT: Ist es unmoralisch geworden, Fußballfan zu sein?

Redelings: Es herrscht Sippenhaft. Wenn Fans sinnlos gegen Polizisten aufmarschieren, heißt es hinterher: Was habt ihr da gemacht? Warum habt ihr das nicht unterbunden?! Die Kurve wird immer in Sippenhaft genommen. Die Kurve, das sind 25.000 Menschen unterschiedlicher Herkunft. Trotzdem wird von ihnen verlangt, dass sie gemeinsam etwas unterbinden. Als Fußballfan ist man am Tiefpunkt angelangt. Tiefer kann’s fast nicht mehr gehen.

WELT: Sehen Sie Grund zu Optimismus?

Redelings: Schöne Frage. Ich bin tatsächlich optimistisch, dass wir uns mit dem Erreichen des Tiefpunkts einem Neubeginn annähern und der Fußball wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfindet. Er ist es nicht wert, die erste Meldung in der „Tagesschau“ zu sein.

WELT: Was war früher besser?

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Redelings: Dazu gibt es eine prägnante Geschichte, die ich auch im Buch erzähle: Wie der Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder 1975 nach 32 Minuten zur Halbzeit gepfiffen hat. Den Grund erfuhr man später: Er war betrunken. Was ich an der Geschichte bemerkenswert finde: Es war Ahlenfelders drittes Spiel. Und er hat noch weitere 103 Partien pfeifen dürfen. Das wäre heute nicht mehr möglich. Der Mann wäre erledigt. Erst einmal per Shitstorm in den sogenannten sozialen Medien. Der DFB war schon damals nicht der netteste Verein, aber es gab noch die zweite Chance. Der heutige Fußball hat nichts Soziales mehr, zumindest im Profibereich. Ich differenziere immer zwischen Profifußball und Fußball. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

WELT: Mal grundsätzlich gefragt: Was ist eigentlich so schön am Fußball?

(Redelings schweigt lange)

WELT: Was macht den Fußball zur Liebe Ihres Lebens?

Redelings: Fragen Sie einen Liebenden nach der Liebe! Es ist eher ein Gefühl. Schwer zu erklären.

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WELT: Sie haben mehr als 20 Bücher über Fußball veröffentlicht. Sie touren seit Jahren durch die Republik mit sogenannten fußballkulturellen Abenden namens „Scudetto“, bei denen Sie ehemalige Fußballstars interviewen. Manche Abende bestreiten Sie auch solo. Studiert haben Sie Deutsch und Sozialwissenschaften auf Lehramt. Warum wollten Sie Lehrer werden?

Redelings: Von Wollen kann nicht die Rede sein. Meine Eltern waren Lehrer. (Er lacht.) Lustigerweise kam ich über das Studium zu meinem Beruf. Das Konzept zu den fußballkulturellen Abenden entstand 2000 – in einem Fußballseminar der Uni Bochum. Das erste Fußballseminar überhaupt in Deutschland. Es war total überfüllt, aber ein Riesenspaß. Was inhaltlich passierte, kann ich nicht mehr sagen. Nur dass aus dem Seminar die erste fußballkulturelle Veranstaltung entstanden ist. Oktober 2000. Im Presseraum des VfL Bochum. Der Raum war voll, die Stimmung fantastisch. Ich habe damals mit einem Idol von mir auf der Bühne sitzen dürfen: Thomas Stickroth, Spieler beim VfL. Der Abend war ein Bombenerfolg. Danach war klar, dass die letzten zwei Jahre meines Studiums hart werden würden. Das war meine kleine Weggabelung im Leben. Und die habe ich genommen.

WELT: Im Schnitt sind Sie einmal pro Woche auf der Bühne. Ihr Lieblingsgast?

Redelings: Peter Neururer. Er hat eine ungeheure Präsenz. Und er hat die Gabe, Geschichten, die eigentlich schon rund sind, noch runder zu machen.

WELT: Wo ist das Publikum am dankbarsten?

Redelings: Auswärts. Außerhalb des Ruhrgebiets. Die geballte Fankultur, die wir hier haben, finden die Leute immer klasse.

WELT: Ist das Revier eine Enklave für den Fußball?

Redelings: Kann man so sagen. Allerdings wird das Geschäft schwieriger. Es sind heute deutlich weniger Anekdoten auf dem Markt als früher. Die Fußballspieler machen den Eindruck, als hätten sie alle eine Schule für Meinungsäußerung besucht. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem sich Uli Hoeneß zurückzieht. Das wird ein trauriger Tag für alle werden.

WELT: Nach so vielen Büchern mit Anekdoten: Welche ist Ihre liebste?

Redelings: Ganz klar: die Geschichte mit Ahlenfelder. Darin steckt alles, was die Faszination Fußball ausmacht. Ich habe ihn vor Jahren getroffen. Wir haben zusammen geweint und gelacht, am Ende hat er mir sein Original-Schiri-Trikot aus den Achtzigern geschenkt, das noch streng nach seinem Aftershave roch. Es hängt bei mir im Schrank. Wenn es mir schlecht geht, schnuppere ich dran, und dann weiß ich: So schlecht gehts dir doch nicht. (Er lacht lange.)

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