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Serbisches Presevo-Tal: Die explosive Idee

Foto: Keno Verseck

Serbisches Presevo träumt von Abspaltung Im Tal der Unzufriedenen

Eine Stadt und ein Tal im Süden Serbiens. Auf den ersten Blick: Idylle. Doch die Menschen hier wollen nur eins - die Abspaltung und den Anschluss an Kosovo. Manche sprechen schon vom bewaffneten Kampf.

Ja, sagt Rexhepi Llokman, er würde auch mit der Waffe in der Hand für die Abspaltung kämpfen. "Seit hundert Jahren sind die Serben gegen uns", erklärt er. "Unter ihrer Herrschaft wird sich für uns niemals etwas verbessern."

Der 44-jährige Supermarktbesitzer wohnt in Presevo, einem Städtchen im äußersten Südwestzipfel Serbiens, 30.000 Einwohner, die Grenzen zu Kosovo und Mazedonien liegen in Sichtweite. Hier, wie im gesamten Presevo-Tal, einem Gebiet etwas größer als die Fläche Berlins, leben überwiegend Albaner, im Städtchen selbst sind es um die 95 Prozent. Es gibt unter ihnen kaum jemanden, der sich nicht die Loslösung von Serbien und den Anschluss an das benachbarte Kosovo wünscht. Dort stellen Albaner bei weitem die Bevölkerungsmehrheit.

Seit fast drei Jahrzehnten macht das Presevo-Tal damit immer wieder international Schlagzeilen. 1992 sprachen sich in einem inoffiziellen Referendum 95 Prozent der hiesigen Albaner für eine Angliederung an Kosovo aus. Nach dem Ende des Kosovokrieges probten im Presevo-Tal bewaffnete Guerilla-Trupps den Aufstand, die serbische Armee schlug ihn nieder.

Zuletzt sprachen die Staatspräsidenten Serbiens und Kosovos, Aleksandar Vucic und Hashim Thaci, plötzlich über "Grenzkorrekturen". Die Idee eines Gebietsaustausches zwischen Serbien und Kosovo schwang indirekt mit. Seitdem sind die Albaner im Presevo-Tal elektrisiert wie schon lange nicht mehr.

Bewaffneter Kampf? Eigentlich könnte Llokman entspannt leben in Presevo, er gehört zu den Gutsituierten im Ort. Aber wie fast alle Albaner in der Gegend hat Rexhepi Llokman das Gefühl, nur geduldet zu sein im Staat Serbien: "Hier leben 95 Prozent Albaner, aber in der Polizei und auf dem Postamt arbeiten fast nur Serben."

Er erzählt aus der Zeit des Kosovokrieges, er war damals Berufskraftfahrer. Serbische Spezialpolizisten hätten ihn ständig angehalten, aus dem Wagen gezerrt, als Terroristen beschimpft, manchmal geschlagen. Demütigungen, die er nicht vergessen hat. "Es gibt keine Hoffnung", sagt Llokman, "dass wir uns hier jemals zuhause fühlen können."

Presevo ist auf den ersten Blick ein Städtchen mit vollen Cafés, vielen Läden, neuen großen Häusern, zahlreichen Baustoffdepots und einer stattlichen Anzahl SUVs auf den Straßen. Die Inschriften an Behörden sind zweisprachig, an privaten Geschäften und auf Reklametafeln überwiegend nur in albanischer Sprache. Mehrmals am Tag hallt die Stimme des Muezzins durch das Stadtzentrum. Ein Ort, in dem Albaner nicht wie Unterdrückte wirken.

Wie gesagt: Das ist der oberflächliche Eindruck. In Wahrheit hat der serbische Staat das gesamte Presevo-Tal lange vernachlässigt, die Infrastruktur ist miserabel. Eine funktionierende Müllabfuhr gibt es in Presevo nicht, fließendes Wasser nur stundenweise. Offiziell ist die Hälfte der Einwohner arbeitslos, viele leben von den Geldtransfers ihrer Verwandten in Deutschland oder der Schweiz. Den Arbeitsemigranten gehören meist auch die neuen Häuser - Urlaubsdomizil ebenso wie künftiger Altersruhesitz. Und viele der teureren Autos tragen deutsche oder schweizerische Nummernschilder.

"Wir haben lange versucht, zu kooperieren, es hat nichts gebracht"

Die massive Abwanderung aus dem Presevo-Tal ist auch eine Folge der Marginalisierung der albanischen Minderheit in Serbien. Der Gegensatz zwischen Serben und Albanern in der Westbalkanregion reicht weit in die Geschichte zurück und hat viele Facetten. Serbien hat in den vergangenen Jahrzehnten wenig getan, damit sich seine Minderheiten, die Ungarn, die Rumänen und vor allem die Albaner, dauerhaft heimisch fühlen.

Nexhat Agushi sitzt bei Pfefferminztee in einem Cafe in Presevo und lobt die jugoslawischen Zeiten. Er ist beileibe kein Nostalgiker, aber damals, sagt er, hätte es bessere Bildungsmöglichkeiten in albanischer Sprache gegeben.

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Serbisches Presevo-Tal: Die explosive Idee

Foto: Keno Verseck

Agushi, 57, arbeitet seit drei Jahrzehnten als Englischlehrer am Technischen Gymnasium in Presevo. In heutigen Schulbüchern komme albanische Geschichte und Literatur kaum vor, klagt er. Serbisch werde nicht als Fremdsprache unterrichtet, sondern wie bei serbischen Schülern. Vor allem aber würden die Diplome der Universität Pristina, wo die meisten Schüler nach dem Abitur studierten, in Serbien seit 2008, dem Jahr als Kosovo seine Unabhängigkeit ausrief, nicht mehr anerkannt. Absolventen stünden deshalb vor der Wahl, im Ausland auf Jobsuche zu gehen oder daheim trotz Uni-Abschluß eine schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. "Wie sollen wir uns in so einer Situation hier zuhause fühlen", fragt Agushi empört.

"Politik ist schwierig hier, man muss immer höllisch aufpassen"

Shqiprim Arifi dagegen spricht nicht über Diskriminierung. Er spricht von Pragmatismus, besserem Management und "konkreten Projekten statt Nationalismus und Blabla". Er möchte, dass die Spülung läuft, wenn er im Bürgermeisteramt auf die Toilette geht, und er sich die Hände waschen kann, statt nur ein Zischen aus dem Hahn zu hören.

Arifi, 42, ist Bürgermeister von Presevo, sie nennen ihn "unseren Deutschen". Er wurde in Mannheim geboren, studierte Logistik, war erfolgreicher Unternehmer. Vor fünf Jahren zog er nach Presevo, Heimatstadt seiner Eltern und seiner Ehefrau, die hier als Gynäkologin arbeitet, für ihn der Ort, an dem er als Kind die Sommerferien verbrachte. Nach seinem Umzug dauerte es nicht lange, bis er fand, dass sich in Presevo vieles ändern müsse. Er gründete die Lokalpartei "Alternative für Veränderung" und wurde 2016 zum Bürgermeister gewählt. Seitdem versucht er, die Stadt auf Vordermann zu bringen.

Arifi hat erst nach der Heirat richtig Albanisch gelernt. Gebietsaustausch, Grenzkorrektur - das ist nicht seine Welt. Man spürt das im Gespräch, wenn er in leichtem Kurpfälzisch Sätze sagt wie: "Politik ist schwierig hier, man muss immer höllisch aufpassen, nicht mit einem einzigen Wort in ein riesiges Fettnäpfchen zu treten." Um sich nicht gegen die Befindlichkeit der Mehrheit stellen zu müssen, hat Arifi eine geschickte Formel gefunden: Kein Gebietsaustausch, höchstens Anschluss an Kosovo, und zwar des gesamten Gebietes an der Ostgrenze Kosovos, und das auch nur im ergebnisoffenen Dialog mit sämtlichen internationalen Organisationen. Das sind sehr, sehr unwahrscheinliche Bedingungen - und das Ja des Logistikers Arifi ist in Wahrheit ein verklausuliertes Nein.

Müdes Lächeln für den Idealisten

Die wenigen hundert Serben in der Stadt sind wohl ausnahmslos gegen Grenzveränderungen. Aber kaum jemand möchte sich zitieren lassen. Manche reagieren wütend auf Fragen, andere geben verschüchtert zu bedenken, man habe doch immer friedlich zusammengelebt. Es gibt auch eine Handvoll Albaner, mehr nicht, die die Idee ethnischer Grenzziehungen offen ablehnt. Einer von ihnen ist Vanon Arifi, nicht verwandt mit dem Bürgermeister.

Der 32-Jährige hat Design studiert und arbeitet in Presevo seit acht Jahren als Menschenrechtsaktivist für verschiedene serbische NGOs. Wenn er durch das Städtchen spaziert, grüßen ihn viele freundlich. Und belächeln ihn als Idealisten, wenn er sagt, nicht die Ethnien müssten miteinander streiten, sondern die vielen Armen mit den wenigen Reichen und die Ehrlichen mit den Korrupten.

"Es kann doch nicht sein", sagt Arifi, "dass Leute wie die Staatspräsidenten Thaci und Vucic, die Kriege gutgeheißen oder mitangezettelt und die ganzen Probleme in unserer Region erst geschaffen haben, sich jetzt anmaßen, uns Grenzkorrekturen als Lösungen anzubieten."