Besuch im Schneelabor: So soll der Schnee von gestern den Winter retten

Lambert Frey trainiert in Leutasch auf einer Piste aus Kunstschnee, der dank Snowfarming den Sommer überstanden hat. Dafür hat der Wintersportler eine Anreise von 400 Kilometern in Kauf genommen

Lambert Frey trainiert in Leutasch auf einer Piste aus Kunstschnee, der dank Snowfarming den Sommer überstanden hat. Dafür hat der Wintersportler eine Anreise von 400 Kilometern in Kauf genommen

Foto: Stefan Schütz
Von: Volker weinl

Grün leuchten die Fichten und Wiesen im idyllischen Leutaschtal in Tirol. Am herrlich blauen Himmel scheint die Sonne, das Thermometer zeigt milde 12 Grad. Und Lambert Frey? Der fährt Ski. Auf einem schmalen, weißen Band aus Schnee inmitten der fast frühlingshaften Bergwelt. Wie der 68-jährige Österreicher haben BamS-Reporter sich auf die Suche nach Schnee gemacht und ihn tatsächlich gefunden.

Wir befinden uns zehn Kilometer Luftlinie von Garmisch-Partenkirchen entfernt auf 2600 Meter Höhe am Zugspitzplatt. Vor uns liegen sie, die leuchtend weißen Schneebänder. Die Skipisten winden sich durch eine Geröllwüste. Grauer, brauner, ockerfarbener Schotter und Fels. In der Luft liegt das Dröhnen der roten Pistenraupen. Im nackten Boden die Spuren ihrer Ketten. In Deutschlands höchstgelegenem Skigebiet sieht es aus wie auf einer Großbaustelle. Hier hätte am Freitag die Saison starten sollen. Doch der sonnige November mit Föhnlage machte einen Strich durch die Planungen.

„Die Pisten wären zwar skitauglich. Aber a bisserl Weiß in der Landschaft muss schon sein“, sagt Pistenchef Manfred Haas (53). Auf dem Weihnachtsmarkt trinkt auch keiner Glühwein, wenn es noch sommerlich warm ist, meint er. Haas erinnert sich, dass in den 90ern die Saison auch schon mal Anfang Oktober beginnen konnte. Aber in diesem Jahr? Frau Holle kommt – immer öfter – zu spät zur Arbeit.

Hannes Vogelmann (47) ist Klimaforscher am Schneefernerhaus unterhalb des Zugspitzgipfels: „Ich fahre selbst gern Ski und freue mich über guten Schnee. Aber grundsätzlich finde ich, dass man nicht alles machen muss, nur weil es technisch möglich ist und sich rechnet“

Hannes Vogelmann (47) ist Klimaforscher am Schneefernerhaus unterhalb des Zugspitzgipfels: „Ich fahre selbst gern Ski und freue mich über guten Schnee. Aber grundsätzlich finde ich, dass man nicht alles machen muss, nur weil es technisch möglich ist und sich rechnet“

Foto: Stefan Schütz

Die Antwort auf die Unzuverlässigkeit der Natur heißt Snowfarming. Übersetzt: „Anbau von Schnee“. Das Weiß von gestern wird zum Schnee von morgen! Haas und seine Mitarbeiter haben im Frühjahr den im Winter gefallenen Schnee mit diesen Raupen an möglichst sonnengeschützten Mulden zusammengeschoben. Während der Sommermonate ließ die Sonne nur einen Teil schmelzen. „Regen wäre viel schlimmer gewesen“, sagt Haas. So gelang es, genug Altschnee zu „übersommern“. Jetzt verteilen die Raupen, die pro Stunde 30 Liter Diesel verbrennen, das kostbare Weiß. Dank GPS-Sensoren, die die Schneehöhe unter den Ketten messen, besonders effizient. Der Erfolg der Pistenbauer: Die Grundpräparation steht und der Skibetrieb kann starten, sobald es natürlich schneit.

Hier oben fällt der Schnee noch – oder fiel mal – aus den Wolken. Im tiefer gelegenen Skigebiet Garmisch Classic dagegen werden die Pisten während der Saison von 121 Schneekanonen und 70 Schneelanzen beschneit (siehe Grafik).

So wird Kunstschnee gemacht | Infografik: info.BILD.de

An der Zugspitze steigen wir mit Wilfried Hagg bergauf zu einer großen Eisfläche am Hang. Er ist Gletscherforscher an der Uni München. „Das ist der Nördliche Schneeferner. Mit noch 20 Hektar Deutschlands größter Gletscher“, sagt er. „Vor ein paar Jahrhunderten bildete er zusammen mit dem kleineren Südlichen Schneeferner noch eine einzige Gletscherfläche, über 300 Hektar groß.“ Hagg zeigt auf eine Höhle in der Felswand ein gutes Stück über dem Gletscher. „Vor zehn Jahren reichte das Eis noch knapp bis an die Höhle heran.“ Hagg rechnet damit, dass der kleinere Gletscher in fünf bis zehn Jahren verschwunden ist, der größere vielleicht noch bis zur Jahrhundertmitte durchhält.“ In den Bergen vollzieht sich der Klimawandel wie im Zeitraffer.

„Es ist schon gigantisch, wie der Gletscher schrumpft“, sagt Hannes Vogelmann. Der Physiker ist seit 17 Jahren Klimaforscher im Schneerfernerhaus, mit Blick auf das schmelzende Eis. Wie ein Schwalbennest hängt die Hightech-Forschungsstation, nur durch eine Seilbahn und einen Zahnradbahntunnel erreichbar, in 2656 Meter Höhe an der Felswand.

An die 30 Grad minus kann es hier kalt werden. Die Geländer auf dem Dach sind von den Schneemassen, die im Winter vom Hang drücken, verbogen. Wir klettern zum Observatorium. Nachts schießt Vogelmann einen grünen Laserstrahl in den Berghimmel hinauf, bis an die Grenze zum Weltraum. Die Signale, die er empfängt, verraten, wie sich der Wasserdampf in der Atmosphäre verhält. „Wasserdampf ist ein starkes Treibhausgas“, sagt der Forscher. Der Alpenraum, erwärmt sich durch den Klimawandel stärker als andere Regionen. „1,6 Grad in den letzten 100 Jahren“, sagt Vogelmann.

Glaziologe Wilfried Hagg (46, l.) und BamS-Reporter Volker Weinl (42) am Nördlichen Schneeferner in Bayern. Deutschlands größter Gletscher schrumpft

Glaziologe Wilfried Hagg (46, l.) und BamS-Reporter Volker Weinl (42) am Nördlichen Schneeferner in Bayern. Deutschlands größter Gletscher schrumpft

Foto: Stefan Schütz

Wir fahren über die österreichische Grenze nach Tirol. Hier finden wir die Trainingsstrecke von Lambert Frey, für die er 400 Kilometer weit angereist ist. Im Wintersportort Leutasch herrscht am Waldrand seit vergangenem Wochenende Skibetrieb. Eine 600 Meter lange Loipe wird durch zwei Wendepunkte zu einem Rundkurs von 1,2 Kilometern.

Der Trick ist die Kombination von Kunstschnee und Snowfarming. Der Schnee wurde im Winter aus dem Wasser eines eigens angelegten Speichersees mit Schneekanonen hergestellt und den Sommer über unter einer isolierenden Schicht aus Hackschnitzeln gebunkert. Jetzt wurde er zur ersten Loipe der Saison. „Für eine Wintersportregion ist Schnee wie weißes Gold“, sagt Andreas Passer (48), Loipenretter in der Olympiaregion Seefeld.

15 Kilometer entfernt herrscht in Telfs in der Firma Demaclenko gerade Hochbetrieb. Über 2000 Schnee-Erzeuger wie Propellermaschinen und Lanzen werden hier pro Jahr hergestellt. Bei Schneekanonen wird fein zerstäubtes Wasser im Luftstrom abgekühlt, wobei körnige Kristalle entstehen. Gar nicht leise rieselt der Schnee. 70 Prozent der Skipisten in Österreich werden künstlich beschneit, in Tirol sogar 80 Prozent.

Es geht weiter am Inn entlang, dann das Sellraintal hinauf. Die mannshohen Schneestangen am Straßenrand, Orientierungshilfe für Schneepflüge, lassen ahnen, was im Winter vom Himmel kommen kann. Wir passieren die Baumgrenze und erreichen auf 2020 Metern Kühtai, Österreichs höchstgelegenen Wintersportort. Hier ging Kaiser Franz Joseph I. früher auf Murmeltierjagd. Heute: Hotels mit über 2200 Betten, aber alle geschlossen. Außer Handwerkern und Putzkolonnen keine Menschen. Sogar die Schaufensterpuppen in den Skigeschäften sind noch nackt. Kahl auch die grün-braunen Hänge mit Liften und fest installierten Schneekanonen. Warten auf den Schnee, warten auf die Saison. Die geht in Kühtai von Ende November bis Ende April.

Manfred Piekatz (50), Pistenraupenfahrer am Zugspitzplatt. Mit seiner 530-PS-Maschine brachte er den gebunkerten Schnee aus der Vorsaison auf die Skipisten

Manfred Piekatz (50), Pistenraupenfahrer am Zugspitzplatt. Mit seiner 530-PS-Maschine brachte er den gebunkerten Schnee aus der Vorsaison auf die Skipisten

Foto: Stefan Schütz

An einem grauen Container treffen wir Michael Rothleitner (57). „Solche beschneibaren Skiregionen sind touristische Industriegebiete, das braucht man nicht zu bestreiten“, sagt der Jurist. Aber das Produkt, das hier hergestellt wird, sei ein sehr gutes. Es bringe Spaß, Gesundheit und Lebensinhalt für die Menschen. Rothleitner war Vorstand einer Seilbahn im Zillertal. Dann gründete er das Schneezentrum Tirol. Das Ziel: den Umgang mit dem Schnee optimieren.

„Nicht der Klimawandel hat die Schneekanonen in die Welt gebracht“, sagt Rothleitner. „Es ist der Lebensstil unserer Gesellschaft, unser Wunsch nach Planbarkeit und Komfort. Der Hotelbetreiber will wissen, wann die Saison beginnt und er Köche und Zimmermädchen bestellt. Die Pistenbetreiber wollen ihren Gästen die besten Pisten anbieten. Die Gäste erwarten, dass Schnee liegt und kein Stein soll aus der Piste schauen, damit der Ski heil bleibt.“

Der Container hinter ihm steckt voller Leitungen und Messgeräte, ein mobiles Labor. Damit lässt sich untersuchen, wie viel Energie beim Beschneien verwendet oder wie viel Wasser dabei durch Verdunstung verloren geht. Rothleitner hofft, den Ressourceneinsatz beim Beschneien so um 25 Prozent senken zu können. „Das wäre ökonomisch und ökologisch“, sagt er.

Bald ist in den Alpen das Warten auf das weiße Gold vorbei. Die Hänge werden glitzern. Und die Kassen klingeln.

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