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Die Deutsche Bahn in der Krise "Pro Bahn" kritisiert Scheuer: "Verbal passiert da sehr viel. Real ist es doch etwas weniger"

Deutsche Bahn in der Krise: ein Intercity und Karl-Peter Naumann von "Pro Bahn"
Die Deutsche Bahn in der Krise. Der "Pro Bahn"-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann (kleines Bild) sieht die Politik in der Verantwortung
© Uwe Miethe / Deutsche Bahn AG, Allianz pro Schiene / Bildschön GmbH
Die Deutsche Bahn steckt in der Krise: Fahrzeugmangel, Geldmangel, Personalmangel. Schuld daran hat aber nicht nur der Bahnvorstand, sagt der "Pro Bahn"-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann im stern-Interview.

Die Deutsche Bahn kommt nicht aus den Negativschlagzeilen: Das Unternehmen kann nur einen von vier Zügen seines Flaggschiffs ICE ohne Mängel auf die Reise schicken, 80 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge verlassen die Werkstätten mit kaputten Toiletten, fehlerhaften Klimaanlagen oder defekten Türen. Repariert wird bisweilen nur noch, was für die Sicherheit relevant ist, so das Ergebnis einer Recherche des ARD-Magazins "Kontraste".

Zur Person

Karl-Peter Naumann, Jahrgang 1950, ist Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn", stellvertretender Vorsitzender der "Allianz pro Schiene" sowie Gründungsmitglied des Verkehrsclubs Deutschland.

Der gemeinnützige Verein "Pro Bahn" vertritt nach eigenen Angaben die Interessen der Fahrgäste gegenüber Verkehrsunternehmen, Verwaltungen und Politikern.

Von dem Ziel, 2018 gut 80 Prozent aller Fernzüge pünktlich (was bei der Bahn eine Verspätung von weniger als sechs Minuten bedeutet) fahren zu lassen, hat sich der Bahnvorstand laut "Kontraste" bereits verabschiedet. Erst 2025, in sieben Jahren also, soll es soweit sein. Aktuell liegt die Pünktlichkeitsquote bei 72 Prozent.

Deutsche Bahn in der Krise

Die Gründe für die schwere Krise des Staatskonzerns: Personalmangel, Fahrzeugmangel, Geldmangel. Schuld daran sei vor allem die Politik, sagt Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn", im stern-Interview.

Herr Naumann, der Aufsichtsrat der Bahn ist für zwei Tage zu einer Sitzung zusammengekommen. Wenn Sie mit am Tisch gesessen hätten: Was wären die drei wichtigsten Forderungen gewesen, die Sie dort als Vertreter der Fahrgäste angesprochen hätten?

Die Bahn muss pünktlicher werden, sie muss verlässlicher werden und sie muss ihre Kunden besser informieren.

Diese Forderungen hören wir schon seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten. Ist das nicht ein Zeichen für Missmanagement?

Dass in der Chefetage der Bahn Fehler gemacht werden, ist ganz klar. Wenn aber die Rahmenbedingungen schlecht sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler gemacht werden, größer. Und die Rahmenbedingungen für den Bahnvorstand sind schlecht.

Also trägt die Politik die Hauptschuld an der Misere?

Die Politik hat der Bahn Anfang der 2000er-Jahre einen großen Sparkurs verordnet, das Unternehmen sollte ja schließlich an die Börse gebracht werden. Stellen wurden abgebaut, Werkstätten geschlossen – das kommt alles nicht so schnell zurück. Davon hat sich die Bahn bis heute nicht erholt. 

Die Folge sind dann Zugausfälle ... 

Ja, dazu fehlt es auch an Reservezügen, um kurzfristig auf Probleme reagieren zu können. Darunter werden wir sicherlich noch zwei bis drei Jahre leiden. Neue Züge sind wegen des Sparkurses relativ spät bestellt worden. Bis die Industrie sie ausliefert, vergeht eben Zeit. Auch die Hersteller haben ihre Kapazitäten abgebaut, weil nicht kontinuierlich bestellt wurde. Da ist die Politik gefragt, gleichbleibende und auskömmliche Beträge in das System Eisenbahn zu investieren – auch um der Industrie Planungssicherheit zu geben.

Mit Andreas Scheuer steht jetzt jemand an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums, der sich als echter Bahn-Fan präsentiert ...

Verbal passiert da sehr viel, das stimmt. Real ist es doch etwas weniger. Die Ursache für die Krise der Deutschen Bahn liegt im Wesentlichen in seinem Haus. Wenn wir das ökologisch verträgliche Verkehrsmittel Eisenbahn stärken wollen, dann muss es zum Beispiel möglich sein, Bahnstrecken schnell und einfach zu bauen oder zu elektrifizieren, dann müssen die Gebühren für die Benutzung der Schienen runter, dann müssen die Stromsteuern für die Bahn gesenkt werden. Das alles passiert nicht. Es wird seit Jahrzehnten Politik zulasten der Bahn gemacht. Das Eisenbahn-Vorzeigeland Schweiz investiert pro Einwohner und Jahr über 300 Euro in das System Eisenbahn, in Deutschland sind es 74. Das ist nicht genug.

Zuletzt hat das Ministerium die Pläne zum sogenannten Deutschland-Takt vorgestellt, das soll der große Wurf werden. Ab 2030 sollen Züge verlässlich jede Stunde auf ihren Strecken durchs Land fahren, mit optimierten Umsteigezeiten an den großen Bahnhöfen ...

Bis die gesamte Republik in den Genuss des Deutschland-Taktes kommt, wird es sicherlich noch deutlich länger dauern. Die Strecken und Knotenpunkte müssen erst ausgebaut werden. Selbst in der deutlich kleineren Schweiz hat es 20 Jahre gedauert, bis die erste Stufe eines integralen Taktverkehrs unter dem Namen "Bahn 2000" verwirklicht wurde.

Ist es ein Fehler, dass die Deutsche Bahn als Aktiengesellschaft firmiert und auf Teufel komm raus Gewinn machen soll?

Als Behörde hat die Bahn auch zu wenig geleistet. Die DB ist viel flexibler als noch zu Bundesbahn-Zeiten. Insofern ist schon richtig und wichtig, dass der Bahnverkehr privatwirtschaftlich organisiert ist. Eine andere Frage ist die der Infrastruktur, also des Bahnnetzes. Hier sollten volkswirtschaftliche und nicht betriebswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. Wenn in Schleswig-Holstein 30 Kilometer Strecke neu gebaut werden, ist es dort sicher günstiger, als im Schwarzwald zu bauen – und damit attraktiver für ein Unternehmen. Volkswirtschaftlich kann aber beides lohnend sein – und damit attraktiv für den Staat und die Gesellschaft.

Die jüngste Forderung von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, den Bahn-Konzern zu zerschlagen und ein Infrastruktur-Unternehmen herauszulösen, dürfte in ihrem Sinne sein ...

Die Infrastruktur des Systems Bahn ist wie andere Infrastrukturen, also Straßen oder Kanäle, nicht sinnvoll betriebswirtschaftlich zu bewerten. Hier spielen volkswirtschaftliche und strukturpolitische Aspekte die größere Rolle. Daher ist es durchaus sinnvoll, den Infrastrukturanteil der DB, also Schienennetz und Bahnhöfe in einer staatlichen Gesellschaft zusammenzufassen. Zu ihr könnte auch der Vertrieb von Fahrkarten gehören, wenn er den gesamten öffentlichen Verkehr mit Bahnen, Bussen, Fähren – auch innerhalb der Städte – umfassen würde.

Der Personen- und Güterverkehr auf der Schiene sollte dagegen betriebswirtschaftlich betrieben werden und das in einer oder mehreren Gesellschaften. Darüber hinaus kann es durchaus Sinn machen, zusätzlich kleine regionale Gesellschaften zu haben, die wie die Usedomer Bäderbahn oder die Erzgebirgsbahn in geschlossenen Netzen mit besonderen Bedingungen fahren.

Quellen: "Kontraste", Deutsche Bahn: Pünktlichkeitsentwicklung

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