In der Weihnachtsbäckerei: In 11 Schritten zum perfekten Stollen
Wer einen echten Dresdener-Christstollen-Bäcker sprachlos sehen will, muss ihn beim gemeinsamen Backen nur fragen, wann denn endlich das Marzipan in den Teig kommt. Andreas Wippler (40) steht in seiner Backstube im Stadtteil Pillnitz. Eben noch formte er einen zwei Kilo schweren Rosinen-Hefeteig-Klumpen nach dem anderen per Hand zur Kugel. Nun rollt er nur noch mit den Augen: „In den klassischen Dresdener Christstollen kommt doch kein Marzipan. Der Stollen ist auch so saftig genug.“
Er muss es wissen. Andreas Wippler hat die Lizenz zum Backen, die sogenannte Stollenlizenz. Damit gehört er zu den aktuell 125 Bäckereien und Konditoreien in und um Dresden, die den weltberühmten Rosinenstollen herstellen dürfen. Der ist erkennbar am goldenen Stollensiegel. Und am Geschmack.
Seit dem Mittelalter hüten die Bäcker ihre Rezepte und geben sie von Generation zu Generation weiter. Wippler backt nach dem Rezept seines Urgroßvaters Max. „Jeder Bäcker verleiht seinem Stollen eine ganz persönliche Note“, sagt Andreas Wippler, der seine natürlich nicht verrät.
Die Grundzutaten indes sind kein Geheimnis: Mehl, Milch, Butter und Hefe, Zitronat, Orangeat, Zucker und Salz, süße und bittere Mandeln, Zitronenschale und Orangenschale, Muskatnuss – und in Rum eingelegte Rosinen. Genauer Sultaninen, eine helle und kernlose Variante der Rosinen. Je mehr, desto besser. „Sonst sind es Schreistollen. So nennt man Stollen mit wenigen Rosinen, die so weit auseinander liegen, dass sie sich anschreien müssen“, erklärt Wippler lächelnd den Qualitätsunterschied und nimmt einen kräftigen Schluck „Bäcker-Benzin“.
Kaffee gehört aufgrund des Schlafdefizits zum Bäckerberuf wie der Backofen, der nebenbei auf 200 Grad hochheizt und die historische Backstube im einstigen Kammergut des Schlosses Pillnitz muckelig wärmt. Hier geben Andreas Wippler und sein Vater Michael (64) vor allem in der Adventszeit Backseminare.
Gemeinsam mit ihren 22 Mitarbeitern backen sie natürlich keine Schreistollen, sondern Flüsterstollen. Und das auch nicht in der Museumsbackstube, sondern in der modernen Bäckerei nebenan. Mit Digitalwaage statt Bäckergalgen. Und mit einem neunstöckigen Automatikofen. Das erleichtert die Arbeit ungemein. Trotzdem ist und bleibt die Stollenproduktion Handarbeit. „Wir nehmen jeden Stollen zwölfmal in die Hand“, so Wippler senior. Nach dem Backen wird der Stollen zweimal gebuttert, gezuckert und verpackt.
Das macht ihn am Ende teuer. 16 Euro kostet ein Kilo Stollen dieses Jahr. Mit den industriell gefertigten, die im Supermarkt für 6,99 Euro pro Kilo verkauft werden, können die Wipplers nicht mithalten. Und irgendwie wollen sie es auch gar nicht: „Backen ist Handwerk. Du verkaufst ein Gefühl mit“, weiß Michael Wippler. Als Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks ist er viel unterwegs. Jetzt zur Weihnachtszeit hat er gern wieder die Hände am Teig. Es ist auch viel zu tun. Von den insgesamt vier Millionen Dresdener Stollen dieser Saison werden die Wipplers gut 20 000 backen. Bis kurz vor Heiligabend verlassen täglich 300 bis 1000 Stück den Ofen.
Gebacken wird seit Oktober immer ab 7 Uhr morgens, wenn das Tagesgeschäft erledigt ist. „Die Hälfte unserer Stollen verkaufen wir mittlerweile online“, erklärt der zweifache Familienvater Andreas Wippler stolz, während er die Tür zum Stollenlager öffnet. Hier warten Hunderte Christstollen gut gekühlt auf ihren Versand. Längst wird das Traditionsgebäck nicht mehr nur in Deutschland gegessen, sondern in alle Welt verschickt, bis nach Japan und Brasilien.
Neben dem klassischen Dresdener Christstollen können bei Wipplers übrigens auch Mohn- , Mandel- oder Schokostollen geordert werden. Auf ganz besonderen Kundenwunsch backen sie auch einzelne Exemplare mit Marzipan.
In 11 Schritten zum perfekten Rosinen-Stollen nach Dresdener Art
Die Geschichte des Dresdener Stollens
Bis ins Mittelalter war der Stollen ein Fastengebäck aus Mehl, Wasser, etwas Öl und Hefe. Erst im Jahr 1491 erlaubte Papst Innozenz VIII. den sächsischen Bäckern, ihr Stollengebäck mit Butter anzureichern. Ab dem 16. Jahrhundert wurde der Stollen auf dem Dresdner Striezelmarkt angeboten, seitdem heißt er auch „Striezel“.
Seit 1996 ist er markenrechtlich geschützt, seit 2010 auch geografisch. Nur 125 Bäcker in und um Dresden dürfen ihn backen.