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So wollen Deutschland und Frankreich ihre Rüstungsindustrie neu aufstellen

Die beiden EU-Staaten planen gemeinsame Rüstungsprogramme. Damit steuert die Branche auf ihren wohl größten Umbruch zu.

Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat nie die Nähe zu den Bossen der Rüstungsindustrie gesucht. Anders als ihre Amtsvorgänger blieb sie den Treffen der Branche fern und schickte ihre Staatssekretäre vor. „Eine bewusste Entscheidung, um nicht zu viel Nähe aufkommen zu lassen“, wie es in der Umgebung der Unionspolitikerin heißt.

Dieser Linie bleibt sie nun selbst bei dem wohl größten Umbruch, auf den die Branche zusteuert, treu. Der Industriezweig steht vor einer Neuordnung, für die die Regierungen in Paris und Berlin den Startschuss gegeben haben.

Zusammen mit ihrer französischen Ministerkollegin Florence Parly hat von der Leyen ausarbeiten lassen, wie die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Kampfpanzern bestellt werden soll. Fest steht: Die Armeen beider Länder sollen ein Equipment erhalten, das in enger Abstimmung entwickelt und angeschafft wird.

Statt ihre Planungen breit in die Öffentlichkeit zu tragen, entschied sich von der Leyen für den diskreten Weg. Versteckt auf den Internetseiten findet sich seit vergangener Woche eine kurze Mitteilung, wie sich von der Leyen und Parly den Bau eines gemeinsamen Kampfpanzers und Kampffliegers vorstellen.

In der einseitigen Mitteilung steckt einige Brisanz. Von der Leyen und Parly erwarten demnach von Rheinmetall und den KNDS-Töchtern KMW und Nexter bis Mitte 2019 einen Vorschlag, wie sie zusammen ein neues Kampfpanzersystem entwickeln könnten. Ebenso nüchtern heißt es, dass beide Ministerinnen übereinkamen, „dass Dassault und Airbus in einer Studie über ein gemeinsames Konzept für ein Luftkampfsystem (FCAS) zusammenarbeiten“ sollen.

De facto bestimmen beide Ministerinnen damit die Industrieführerschaft für die begehrtesten militärischen Großaufträge Europas. Sie dürften den beteiligten Firmen bis 2040 zusammen Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich bescheren. Der Verkauf des (FCAS) wird laut Schätzungen aus der Branche einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen. Für den Kampfpanzer fallen rund 100 Milliarden Euro an.

Für das Luftkampfsystem erhält Frankreich den Lead und Dassault die Führung und nimmt Airbus mit an Bord. Beim Kampfpanzersystem liegt die Verantwortung bei Deutschland. Über die Verteilung hatten die Regierungen lange gerungen, da sie die Industrie dauerhaft prägt. „Das wird erhebliche Auswirkungen auf die Branche haben“, sagte ein Manager aus der Branche dem Handelsblatt.

In Frankreich rüstet Dassault (Rafale) die Luftstreitkräfte aus, in Deutschland Airbus (Eurofighter). Auch bei den Landstreitkräften haben beide Länder unterschiedliche Systeme im Angebot.

Für letzteren Deal haben sich zwei Firmen in Position gebracht: die Düsseldorfer Rheinmetall und Krauss Maffei-Wegmann (KMW), die mit der französischen Nexter über die gemeinsame Holding KNDS verbunden ist. Zuletzt waren Rheinmetall und KMW im Ausland vorrangig als Konkurrenten aufgetreten.

Aufforderung zur Fusion

Dies soll ein Ende finden: Die deutschen Panzerschmieden müssen sich komplett neu aufstellen und mindestens eine Langzeit-Arbeitsgemeinschaft bilden. Besser aber noch: Sie fusionieren. Wie in Berlin zu hören ist, hat die Bundesregierung diese Erwartung klar gegenüber Rheinmetall-Chef Armin Papperger und KMW-Chef Frank Haun formuliert.

Im Sommer waren die beiden Manager zu einer Sitzung in Berlin eingeladen worden, in der sie aufgefordert wurden, die Chancen für einen Zusammenschluss auszuloten. „Es gab in der Vergangenheit schon vielfach solche Überlegungen, dieses Mal soll es aber ernst werden“, sagte ein Branchenmanager.

Ein solcher Zusammenschluss wäre äußerst kompliziert. Es gilt, dabei mehr als die Eitelkeiten zu überwinden, die in der Branche weit verbreitet sind. Als Nukleus einer Deutschen Panzer AG gilt Rheinmetall. Das Unternehmen ist bereits der größte Waffenhersteller in Deutschland, im weltweiten Vergleich ist der Rheinmetall-Konzern aber ein Zwerg.

Mit Armin Papperger hat die Firma einen ehrgeizigen Manager an der Spitze, der nur zu gerne der Konsolidierer der Branche wäre. Rheinmetall sei auch bereit, KMW zu übernehmen, ist in Regierungskreisen zu hören. Das Münchener Unternehmen hat sich allerdings vor drei Jahren mit dem französischen Staatskonzern Nexter zusammengeschlossen.

Ein wirklicher Erfolg ist das Bündnis noch nicht. KMW und Nexter werden noch getrennt geführt, eine gemeinsame Holding besteht in den Niederlanden. Die Hoffnungen auf Synergien für lukrative Exportaufträge haben sich für den Hersteller des Leopard 2 bislang nicht erfüllt.

Der Rheinmetall-Chef will nun mit den Eigentümern von KMW Gespräche über einen Erwerb führen. Die zahlreichen Gesellschafter der Familienfirma müssten alle dem Verkauf von Anteilen zustimmen. Die Chancen stehen zwar besser als vor drei Jahren. Es gibt aber Vorbehalte: „KMW ist der Entwickler des Leos und Rheinmetall nur der Zulieferer“, heißt es im Konzern. KMW müsste da doch die Führung haben.

Papperger muss auch die Franzosen zur Zustimmung bewegen: Als Miteigner von KNDS haben sie ein Mitspracherecht. Paris hat wenig Interesse, den Verbund aufzulösen.

Dieses Risiko besteht aber: Nach Aussagen französischer Industriekreise wäre es ein Problem, wenn die deutsche Seite von KNDS plötzlich um Rheinmetall vergrößert würde. Gibt es keine Einigung, könnte KNDS platzen – ein Bärendienst für die europäische Konsolidierung.

Wie es in Berlin hieß, ist dies der Hintergrund dafür, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) Ende August in Paris vehement eine Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie verlangte. Berlin will glauben, dass Frankreich auf hoher Regierungsebene der Übernahme der KMW-Anteile durch Rheinmetall zustimmt. Das Bekenntnis von Parly zum deutschen Lead beim Kampfpanzer könne ein Indiz dafür sein.

Für denkbar halten es Rüstungsexperten, dass Rheinmetall und die Holding KNDS zunächst eine Arbeitsgemeinschaft bilden und die Fusion in einem zweiten Schritt erfolgt.

Die Unternehmen kommen nun unter Zugzwang: Noch vor dem Jahreswechsel will das Verteidigungsministerium sie auffordern, eine Konzeptstudie zu erarbeiten. Bis Mitte 2019 wird von ihnen ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen erwartet. Die Zeit drängt also. Auf Anfrage wollten sich die beteiligten Unternehmen nicht äußern.

Der Anreiz sollte jedenfalls groß genug sein: Das MGCS („Main Ground Combat System“) ist nicht einfach ein „Leopard 3“: Es soll ein Verbund werden aus schweren und leichten, bemannten und unbemannten untereinander vernetzten Panzern und Fahrzeugen.

Diese nächste Generation moderner Kampfpanzer soll in Deutschland ab 2030 den Leopard 2 und in Frankreich den Leclerc ablösen. Von 30 Milliarden Euro Auftragsumfang ist die Rede, allein für diese beiden Länder.

Gedacht wird allerdings von allen Beteiligten größer: Weitere europäische Länder sollen hinzukommen. Umsätze von rund 100 Milliarden Euro bis in die 2040er-Jahre könnten zusammenkommen.

Beim Kampfflugzeugsystem FCAS wiederum gilt die Einigung der Ministerinnen als Durchbruch. Bei Airbus war zuletzt die Angst umgegangen, von der französischen Industrie bei dem Großauftrag – allein die Entwicklungskosten sollen 80 Milliarden Euro betragen – komplett ausgebootet zu werden.

Auch Werften im Fokus

Vor Monaten hatten die Regierungen beider Länder zwar festgelegt, dass Frankreich – und dort Dassault – die Führung übernehmen und Airbus beteiligt sein sollte. Dies galt jedoch nur für den Kampfjet, nicht für das Gesamtsystem mit Begleitdrohnen, Satelliten und Aufklärern, die aus dem Flieger ein Waffensystem mit Hightech-Steuerung machen. Um die Führung des Gesamtsystems hatte sich in Frankreich vor allem Thales beworben.

Ein Konflikt drohte. Nach der Entscheidung von letzter Woche sollen nun Dassault und Airbus die Systemführerschaft haben. Was nicht heißt, dass nicht weitere französische und deutsche Unternehmen dazukommen können – und Thales nicht auch dabei sein wird. Für die Triebwerke etwa, war zu hören, kämen Safran aus Frankreich und die deutsche MTU infrage.

Von der anstehenden Konsolidierung sollen die Werften nicht ausgeklammert werden. Bislang sind Franzosen und Deutsche erbitterte Konkurrenten. Das könnte sich ändern, so Informationen aus der Branche. Die weitgehend staatseigene Naval Group, an der Thales beteiligt ist, wolle einen neuen Anlauf zum Erwerb von Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) unternehmen. Der Ruhrkonzern wäre bei einem guten Angebot verkaufsbereit.

Die Naval Group hatte allerdings vor Jahren schon einmal eine Fusion versucht und war am politischen Widerstand in Deutschland gescheitert. Soeben haben die Franzosen sich deshalb der italienischen Fincantieri angenähert.

Noch immer fehlt die Zustimmung der Bundesregierung. Gerne würde sie die Fertigung von U-Booten und Überwasserschiffen in eigener Hand behalten. So sollen die Arbeitsplätze in den oft strukturschwachen Werftstandorten gesichert werden. Außerdem soll die Marine Einheiten im Wert von über zehn Milliarden Euro erhalten. Dies soll der Startschuss für die innerdeutsche Konsolidierung werden, sagte ein Werftenmanager.

Im nächsten Schritt könnte dann eine Fusion mit den Franzosen kommen.