Paris St. Germain:Neun Millionen Unterbrechungen

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Anerkennung für den Trainer: Spieler von Paris St. Germain feiern Thomas Tuchel. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Beim Aufeinandertreffen der deutschen Trainer triumphiert Paris mit dem Tüftler Thomas Tuchel. Liverpools Coach Jürgen Klopp hinterlässt bissige Bemerkungen.

Von Sven Haist, Paris

Thomas Tuchel ist ein Spieler. Mit einem Wechsel zu einer Fünferabwehrkette gab der deutsche Trainer seinem Team gegen Ende der Partie zu verstehen, dass es jetzt nur noch ums Verteidigen geht - so wie es zu Beginn der Partie nur ums Angreifen gegangen war. Bei seinen Vorgaben spielte Tuchel mit Paris Saint Germain um nichts weniger als um den Verbleib in der Champions League, und aufgrund der Qualität des FC Liverpool blieb ihm auch kaum etwas anderes übrig, als im deutschen Trainerduell mit Jürgen Klopp bei jeder Entscheidung ins Risiko zu gehen.

Eine falsche Deutung des Spielverlaufs, und die Champions-League-Kampagne wäre für Paris in dieser Saison vorbei gewesen. Aber das Spiel lief stets dahin, wo Thomas Tuchel es haben wollte.

Als die Feuerprobe auf europäischer Plattform im Parc des Princes vorüber war, trat Tuchel, 45, mit seinem rechten Fuß lässig in den Hintern von Kylian Mbappé. Mit einem Lächeln ließ Mbappé den Seitenhieb über sich ergehen, nachdem er mit seiner Auswechslung zuvor nicht einverstanden gewesen zu sein schien. Aber Mbappé hatte natürlich kein Argument, um sauer zu sein, es war ja alles gut gegangen. Immer wieder ballte Tuchel vor Freude beide Fäuste, die Anspannung ging über in Erleichterung und Müdigkeit. Sein Masterplan hatte ihn teilweise selbst in den Wahnsinn getrieben. Aber dieses hoch versierte Coaching bewahrte Paris am Ende vor dem erstmaligen Aus in der Gruppenphase der Champions League, seitdem die Herrscherfamilie in Katar den Klub übernahm.

"Ich könnte 500 000 Dinge sagen, aber nichts davon möchte ich in der Zeitung lesen", sagt Klopp

Mit dem 2:1 über Liverpool hat PSG sich auf den zweiten Platz hinter Neapel vorgearbeitet und den ungeliebten dritten Rang, der nur zur Europa League berechtigt, vorerst an Klopps Elf weitergereicht. "Es war unsere letzte Chance zu zeigen, dass wir mit einem Team wie Liverpool mithalten können", sagte Tuchel. Am letzten Spieltag reicht Paris ein Erfolg bei Roter Stern Belgrad zum Weiterkommen, während Liverpool gegen Neapel gewinnen muss.

Ein Alles-oder-Nichts-Spiel an der Anfield Road: So was mögen sie in Liverpool eigentlich, aber halt nicht auf diese Art. Zum ersten Mal in der Klubgeschichte hat der FC Liverpool alle Auswärtsspiele in der Vorrunde der Champions League verloren.

Aus Unmut lederte Klopp, 51, später gegen die Schiedsrichter los. Obwohl er zunächst selbst feststellte, dass es als Verlierer immer besser sei, nichts zu sagen, um nicht als schlechter Verlierer dazustehen, ließ er sich zu einer knackigen Analyse hinreißen. "Zweimal nacheinander haben wir in England den Fairplay-Preis gewonnen, und hier sehen wir wie Metzger aus", schimpfte Klopp. Ihm missfiel die zu Ungunsten seiner Mannschaft ausfallende Wertung von Foulspielen (20:12) und Verwarnungen (6:2), vor allem stieß ihm eine nicht gegebene rote Karte für PSG-Mittelfeldspieler Marco Verratti auf.

"Mit Sicherheit hätte es da eine andere Farbe als bei den 500 gelben Karten geben müssen. Ich könnte 500 000 Dinge sagen, aber nichts davon möchte ich in der Zeitung lesen", sagte Klopp - wohl wissend, dass diese Aussagen in den Zeitungen landen würden. Außerdem sagte Klopp, voller Ironie und direkt an Tuchels Elf gerichtet: "Gefühlt gab es neun Millionen Unterbrechungen. Immer lag jemand auf dem Boden. Dass Neymar noch stehen kann nach allem, was an harten Zweikämpfen auf ihn eingeprasselt ist - das ist ja Wahnsinn."

Wenn ein PSG-Spieler müde wird, kommt Gigi Buffon aus seinem Tor gerannt - und motiviert ihn

Natürlich gefiel es Klopp überhaupt nicht, dass er im Taktik-Duell mit seinem deutschen Kollegen als Verlierer vom Feld gegangen war, aber er merkt eben auch, dass sein Team allmählich durchschaut wird. Als Favorit fällt es dem FC Liverpool in der Champions League schwer, einfach so weiterzuspielen, als wäre er immer noch Außenseiter. In der Vorsaison verblüfften Klopps Spieler die Gegner, jetzt werden sie selbst überrumpelt. Mit zwei unterschiedlichen Formationen bei Ballbesitz und Ballverlust, die fließend ineinander übergingen, ließ Tuchel die frühen Attacken des Gegners ins Leere laufen. Und im Spielaufbau zog Tuchel seinen Sechser Marquinhos zwischen die Abwehrspieler zurück, damit war in der Spielfeldmitte Platz für direkte Zuspiele nach vorne. Als Spielmacher durften sich Neymar und Ángel Di María hinter den beiden Spitzen Mbappé und Cavani austoben, die dann bei Ballverlust jeweils in der Mittelfeldreihe die Außenbereiche abdeckten. Die Treffer von Bernat (13.) und Neymar (37.) halfen PSG, sich sukzessive zurückzuziehen, um die schnellen Angreifer der Reds zu kontrollieren. Außer dem Treffer nach Elfmeter durch James Milner (45.+1) brachte Liverpool nur einen Schuss aufs Tor zustande.

Knapp eine Woche haben Tuchel und sein Trainerteam in die Tüftelei investiert. Jede Positionierung der Spieler wurde tausendfach vor- und zurückgedacht. Sogar am Spieltag bastelte Tuchel weiter an der Perfektionierung der offensiven Ausrichtung. "Für mich ist Tuchel der beste Trainer der Welt, und das hat er heute bewiesen", sagte Präsident Nasser Al-Khelaifi.

Die Denk- und Körperarbeit, die Tuchels anstrengender Plan beinhaltete, brachte die PSG-Profis allerdings an ihre Schmerzgrenzen. Die heimische Liga lässt sich für Paris ja mit dosierter Kraft absolvieren, gegen Liverpool hingegen konnten sich die meisten Spieler vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten. Doch bevor einer aufgeben konnte, eilte zu Motivationszwecken stets Gigi Buffon aus dem Tor, um den Kollegen darauf hinzuweisen, dass er sich doch bitte weiter quälen möge.

Für einen Abend ist es Tuchel also schon mal gelungen, die unterschiedlichen Fußballanschauungen seiner Spieler auf Höchstniveau zusammenzuführen. Seine Mannschaft spielte so, wie Tuchel möchte, dass sie spielt - was sich vom grantigen Jürgen Klopp und seinem FC Liverpool an diesem Abend nicht behaupten ließ.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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