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Neue Netflix-Serie „Baby“ : Sie verschwenden ihre Jugend in der ewigen Stadt

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Im Rotlicht: Chiara (Benedetta Porcaroli, links) und Ludovica (Alice Pagani) Bild: Matthias Clamer/Netflix

In der Netflix-Serie „Baby“ prostituieren sich höhere Töchter aus Langeweile und Lust an der Gefahr. Das sorgte in Italien schon vorab für Aufruhr.

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          Wer in Parioli, im nobelsten Viertel Roms, aufwächst, hat das große Los gezogen. Und die große Langeweile dazubekommen, findet Chiara (Benedetta Porcaroli) in der italienischen Netflix-Serie „Baby“: „Wer im Aquarium lebt, sehnt sich nach dem Meer“. In Parioli gibt es weder Untiefen noch Raubfische im Pool, glauben zumindest die Erwachsenen, die für die vorherbestimmte Zukunft ihrer Kinder teuer bezahlen. Stattdessen gibt es eine elitäre Privatschule mit Uniform- und Bravheitszwang, morgendlichem Lauftraining im Sportpark und Top-Erziehung durch angestellte Leute; Mütter, die mit dem Erhalt ihrer Attraktivität beschäftigt sind und ihren Teenagertöchtern fades Diätessen vorsetzen lassen; abwesende Familienväter, denen Reichtum und Managerstatus als Lebenssinn vollauf reichen. Für die Triebabfuhr sorgt man diskret.

          Wer ein scheinbar perfektes Leben hat, sagt die sechzehnjährige Chiara, aus deren Warte „Baby“ sechs fast süchtig machende Folgen lang schonungslos Pubertätsexegese betreibt, braucht dringend ein Geheimnis. Ein verborgenes Doppelleben. Darin ist sie sich mit der erfahrungshungrigen Ludovica (Alice Pagani) einig. Ludo treibt nicht nur alterstypische Gefahrenlust an, sondern der Wunsch nach Anerkennung und Liebe. Sie findet keinen Halt, oder nur im gemeinsamen Fallen mit ihrer Freundin, feiert nächtliche Partys mit hartem Alkohol im Club des Barkeepers Saverio (Paolo Calabrese), der noch ganz andere Geschäfte betreibt. Ihre verbitterte Mutter präsentiert Liebhaber, die sogar Ludovicas Schulgeld fremdinvestieren. Die ältere Schwester lebt in New York, der Vater feiert Hochzeit mit einer Jüngeren. Chiaras Mutter hält Ludovica für schlechten Umgang. Besonders, seit Brandos (Mirko Trovato) Video die Runde macht und für abschätzige Erheiterung sorgt. Der Mitschüler hat Ludo beim Oralsex gefilmt und die Aufnahme ins Internet gestellt. Jetzt gilt er als supercool und sie als durchtriebene Schlampe. Genau wie Chiara, als herauskommt, dass sie mit dem Freund einer anderen schläft. Der auch der Bruder ihrer besten Freundin, der ehrgeizigen Camilla (Chabeli Sastre Gonzalez) ist. Fabio (Brando Pacitto) dagegen, der Vorzeigesohn des Schuldirektors, verbirgt schon länger, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt.

          Die Doppelmoral der italienischen Machogesellschaft haben die „Rich Kids“ verinnerlicht: Die Mädchen haben auf ihren Ruf zu achten, die Jungs wetteifern darum, wer die geschmeichelte Sportlehrerin Monica (Claudia Pandolfi) ins Bett bekommt. „Schwul“ wird genau wie „Araber“ als Herabsetzung gebraucht. Als Damiano (Riccardo Mandolini) mitten im Schuljahr zu seinem Vater, einem arabischstämmigen Botschafter, zieht, nachdem seine Mutter gestorben ist, und an der Eliteschule erst den Drogenhandel unter seine Kontrolle bringt, bevor er Mitschüler mit dem Ungehorsamkeits- und Freiheitsvirus ansteckt – geraten die Glaswände des Aquariums unter Druck. Aber auch Damiano sucht, wie die meisten seiner Mitschüler, mehr nach der Wand, gegen die er anrennen kann als nach Tabubruch, nach Grenzen, die ihm einleuchten, nach verlässlicher Nähe und nach Spaß ohne Konsequenzen.

          Als Serie unter Jugendlichen, die auf Instagram und Whatsapp mehr reales Leben miteinander verbringen als in persönlichem Kontakt, geht „Baby“, geschrieben vom jungen Autorenkollektiv „Grams“ (Antonio Le Fosse, Eleonora Trucchi, Marco Raspanti, Giacomo Mazzariol und Re Salvador) schnell unter die Haut. Die Jugendlichen suchen Sinn, den ihre Eltern längst als irrelevant ansehen. Die jungen Hauptdarsteller spielen das mitreißend und sensibel. Dass die Produktion von Fabula Pictures vor der Freischaltung gleichwohl umstrittenes Echo fand, liegt an dem tatsächlichen Minderjährigen-Prostitutionsskandal, der einem der Handlungsstränge von „Baby“ zugrunde liegt. 2014 deckte die italienische Staatsanwaltschaft auf, dass zum Teil erst vierzehnjährige Mädchen aus Parioli mutmaßlich achtzig Kunden gegen Geld mit Sex bedienten. Vermittler waren ein Militäroffizier und ein Drogenhändler. Die Kundenliste umfasste Wirtschaftsprüfer, Topmanager und Politiker, darunter den Ehemann von Alessandra Mussolini, Enkelin des „Duce“. Die Männer gaben an, vom Alter der Jugendlichen nichts geahnt zu haben. Öffentlich verstörender als diese Schutzbehauptung wirkten die Aussagen der Mädchen aus wohlhabenden Elternhäusern. Nicht Geldnot, sondern Langeweile oder der Wunsch nach bestimmten Luxusartikeln sei ihre Motivation für die Prostitution gewesen. Der Skandal, durch Telefonmitschnitte aufgedeckt, wurde als „Baby squillo“ („das Baby anrufen“) bekannt.

          Sexarbeiterinnen-Organisationen haben der Serie vorgeworfen, der Normalisierung von Kindesmissbrauch und sexueller Ausbeutung Vorschub zu leisten. Wer die Folgen nun sieht, kann das kaum nachvollziehen. Chiara und Ludovica, die sich im Nachtleben bewusst in Gefahr begeben, genießen beim bezahlten Sex mit älteren Männern zwar auch Macht und Kontrolle über ihre Kunden. Von Banalisierung oder gar Schönfärben des Geschäfts kann aber keine Rede sein. Die Mädchen durchschauen nicht, auf was und mit wem sie sich eingelassen haben. Dass hier Verbrechen stattfindet, zeigt „Baby“ klar, bewegt aber noch viele weitere Handlungsmomente in der Schülergruppe. Am Ende scheint überhaupt erstaunlich, dass die allermeisten Jugendlichen ihre Pubertät in Richtung Erwachsensein hinter sich lassen. Und man will unbedingt wissen, wie es mit Damiano, Camilla, Fabio, Chiara und Ludovica weitergeht.

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