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Finalrückspiel in Madrid "Sie haben uns die Copa gestohlen"

Blamage für das Land, Verrat am Fußball: Die Reaktionen in Argentinien auf die Verlegung des "Superclásico" nach Madrid fallen drastisch aus. Die Klubs River Plate und Boca Juniors wollen die Entscheidung anfechten.
Estadio Santiago Bernabéu

Estadio Santiago Bernabéu

Foto: Andreas Gebert/ dpa

Kaum war die Nachricht am frühen Donnerstagabend in Argentinien angekommen, da versetzte sie Menschen und Medien kurzfristig in den Ausnahmezustand. Der südamerikanische Fußballverband Conmebol mit Sitz im Nachbarland Paraguay hatte gerade entschieden, das zwei Mal verlegte Final-Rückspiel der Copa Libertadores zwischen Boca Juniors und River Plate in Madrid austragen zu lassen. Die Partie findet nun am 9. Dezember im Bernabéu-Stadion statt, der Heimat von Real Madrid. Anstoß ist um 20.30 Uhr. Vermutlich jedenfalls. Denn beide Klubs kündigten an, gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission rechtlich vorgehen zu wollen.

Der G-20-Gipfel, der am Freitag in Argentinien beginnt, war für Stunden nur noch Randthema. Eilmeldungen in allen Medien, von der Sportzeitung "Olé" bis zu CNN en español, verkündeten aufgeregt die Nachricht, die keinen Argentinier froh macht. Und die Spanier offenbar auch nicht. Die Zeitung "Mundo deportivo" aus Barcelona titelte: "Quilombo en el Bernabéu". Quilombo ist das argentinische Wort für Chaos und Durcheinander.

Als würde man das Champions-League-Finale in den USA austragen

Das Spiel des Jahrhunderts zwischen den beiden verfeindeten Großklubs aus Buenos Aires um die Krone des südamerikanischen Fußballs auf neutralem Boden auszutragen, ist in etwa so, als würde man das Champions-Legaue-Finale in den USA spielen. "Madrid klingt schön, schön fürs Marketing, schön für das weltweite Geschäft mit dem Fußball und schön, um einem Spiel die Seele zu rauben, das in unserem feuchten, chaotischen, aber sehr argentinischen Buenos Aires ausgetragen werden muss," kommentierte "Olé". "Sie haben uns die Copa gestohlen".

Und aus dem fernen Mexiko ließ sich auch Diego Maradona wie immer sehr laut vernehmen, kaum dass die Entscheidung gefallen war. "Die Conmebol ist Abschaum", zürnte der Trainer des mexikanischen Zweitligisten Dorados de Sinaloa und seines Zeichens Boca-Hardcore-Fan. "Wer soll das bezahlen, mit Frau und Kind nach Madrid zu fliegen".

Es ist in den Augen der argentinischen Fans ein Verrat am Fußball, das Endspiel im Ausland auszutragen. Denn das Duell Boca gegen River um den Titel des südamerikanischen Pendants der Champions League elektrisiert nicht nur das zweitgrößte Land Lateinamerikas seit Wochen, sondern auch große Teile des Kontinents. Der Eliteklub River und vor allem der Volksverein Boca sind vermutlich die beliebtesten und meist gehassten Fußballvereine Lateinamerikas.

"Gebt das Spiel und die Copa an Boca und gut ist"

Die Disziplinarkommission der Conmebol wollte eine salomonische Entscheidung treffen und hat sich doch alle Beteiligten zum Feind gemacht. Die Fans sind fassungslos. River, das formell Heimrecht hat, verliert dies, soll 400.000 Dollar Strafe zahlen sowie zwei Spiele der nächsten Copa ohne Zuschauer austragen. Boca ist wütend, weil sie hofften, das Spiel am grünen Tisch gewinnen zu können. Auch Maradona zürnte: "Gebt das Spiel und die Copa an Boca und gut ist".

Denn der Mannschaftsbus von Boca war bei der Anfahrt zum "Monumental"-Stadion am Samstag von River-Ultras mit Steinen beworfen worden. Die Scheiben des Busses zersprangen, Spieler erlitten Verletzungen an den Augen. Dennoch sollte die Partie zunächst zu einer späteren Uhrzeit am Samstag ausgetragen werden, wurde schließlich erst auf Sonntag verschoben und dann bis auf Weiteres abgesagt. Das Hinspiel, das 2:2 geendet hatte, stand auch schon unter einem schlechten Stern. Es ging nicht im Steinhagel, sondern in einem tropischen Regenguss unter, wie er für Buenos Aires untypisch ist. Die Partie musste um einen Tag verlegt werden.

Die größten Verlierer der Entscheidung sind die River-Fans, die teure Tickets erstanden haben und zwei Mal vergeblich hofften, das Spiel daheim zu sehen. Zudem sind in Madrid auch Anhänger von Boca zugelassen, was in Argentinien nicht möglich gewesen wäre. Wegen der großen Gewalt werden seit 2013 ausschließlich die Anhänger der Heimmannschaft zugelassen. River Plate musste das Hinspiel bei Boca am 11. November ohne Unterstützung spielen.

Blamage für das Land

Und die wenigen Argentinier, die keine Fußballfans sind, empfinden es als Blamage für ihr Land, dass der Lieblingssport so von Gewalt, Korruption und nicht-sportlichen Interessen zerstört wird. Die Verlegung des Spiels ist schließlich auch ein Offenbarungseid für Präsident Mauricio Macri, der an diesem Wochenende die Staats- und Regierungschefs der G20 in seinem Land empfängt. Das Drama um das Spiel lässt die Krise noch mal deutlicher werden, in der Argentinien gerade steckt. Welcher normale Fan, so fragen sich die Menschen, soll sich mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise mit explodierender Arbeitslosigkeit und einer Inflation von 45 Prozent einen Flug nach Madrid leisten können? Die einzigen, die sich freuen können, sind die rund 100.000 Argentinier, die in der spanischen Hauptstadt leben.

Für den Sportreporter Luciano Olivero hat das Finale längst all seinen Reiz verloren. "Wenn es nach mir geht, sollte es dieses Jahr keinen Sieger in der Copa geben. Nach allem, was passiert ist, wird sich kein Boca- oder River-Fan mit Stolz hinstellen und den Sieg des Pokals feiern".

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