Sie malt Bilder, im Halbdunkel, sie spricht nicht viel, bleibt am liebsten für sich. Die Tasse auf dem Tablett muss an der richtigen Seite stehen, da ist Chela eigen. Den Alltag organisiert ihre Lebensgefährtin, die muntere Chiquita. Dass sie seit Jahrzehnten ein Paar sind, weiß nur ihre beste Freundin, Carmela. Was alle wissen: Chela (Ana Brun) und Chiquita (Margarita Irún) haben kein Geld mehr. Der Film beginnt damit, dass die beiden das Tafelsilber verscherbeln, in ihrer Altbauwohnung, die einmal mondäne Tage gesehen hat. Verarmte Bourgeoisie in Paraguays Hauptstadt Asunción: Wie die Geier kreisen reiche Damen aus der Nachbarschaft um den Esstisch, auf Schnäppchenjagd nach Antiquitäten. Chela späht durch den Türspalt.

Ein Film im Halbdunkel, voll leiser Komik und voller Melancholie. Der Blick ist häufig verstellt, Schweigen lastet auf den Bildern, kein Soundtrack lenkt ab. Chela rührt sich kaum, guckt verängstigt, verschreckt. Manchmal vertreibt sie sich die Zeit an der Staffelei, aber sonst ist ihr Dasein zum Stillleben erstarrt. Bis Chiquita wegen Überschuldung angeklagt wird und im Untersuchungsgefängnis landet. Eine wilde, quirlige Welt, auf dem Hof tummeln sich auch Frauen, die sich mit Gewalt ihrer Männer entledigt haben. Und Chela ist auf sich gestellt – der Anfang einer wunderbaren Verwandlung.

In Paraguay, sagt Marcelo Martinessi, hat man das Gefühl, in einem riesigen Gefängnis zu leben. Der Regisseur, Jahrgang 1973, nennt Die Erbinnen einen Film über Gefangenschaft. Er spricht über die "Jahre der Finsternis", als die Filmproduktion brachlag, und über die Gesellschaft, die davor zurückscheute, sich nach dem Ende der Diktatur aus dem Schatten der Geschichte zu lösen. Auf den internationalen Filmfestivals wurde Martinessi mit Kurzfilmen über Politik und Erinnerung bekannt. Sein mit Fördermitteln des an die Berlinale angedockten World Cinema Fund entstandenes Langfilmdebüt Die Erbinnen ist kein politisches Statement. Sondern das Porträt einer Frau, der es gelingt, selber aus dem Schatten zu treten und die Bürde der Melancholie abzulegen, ohne ihr Wesen zu verraten.

Das Fehlen der Männer wird nicht thematisiert

Chela braucht Geld. Also kutschiert sie wohlhabende ältere Damen mit dem alten Mercedes durch die Stadt, quasi als Privatchauffeuse. Es hat sich so ergeben, irgendwie. Fast unmerklich hellt sich ihr müder Blick auf – und der Film auch. Im Flur der Kundschaft wartet sie zwischen zwei Büsten, nach und nach gerät ihre eigene versteinerte Miene in Bewegung. Eine der Frauen, die junge Angy, Typ attraktive Kettenraucherin (Ana Ivanova), behelligt sie mit ihren Männergeschichten – und zaghaft erwacht das Begehren bei Chela. Auf einmal trägt sie Sonnenbrille, sogar Nagellack. Angy fragt nach ihrem Spitznamen und nennt sie fortan "Poupée".

Chela, Chiquita, Angy, Carmela, das Dienstmädchen Pati, eine Analphabetin vom Land – Martinessi setzt eine Welt der Frauen in Szene, ohne dass die Abwesenheit der Männer nur im Geringsten thematisiert wird. Von der brüchig gewordenen Klassengesellschaft (die Damen im Mercedes tragen Perlenkette und Silberschmuck auf faltiger Haut), von der Ehe ohne Trauschein mit unwiderruflich eingefahrenen Rollen, vom Generationsunterschied, vom Sex im Alter oder vom Bürgertum in Asunción lässt sich auch so erzählen.

Und die wunderbare Ana Brun, die an Charlotte Rampling erinnert, an die ältere Catherine Deneuve, verteidigt die späte Autonomie ihrer Figur. Auch wenn die Finsternis nie völlig verfliegt, es ist eine Rückkehr ins Licht. Dafür gewann Brun einen Silbernen Bären.

"Die Erbinnen" läuft seit 29. November in den deutschen Kinos.