Digital Health Summit: Daten sind die beste Medizin

Auf dem Münchner Gipfel zur Digitalgesundheit behandelten Experten vom Datenschutz über Deep Learning bis hin zur Robotik viele Aspekte.

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Digital Health Summit: Daten sind die beste Medizin
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Von
  • Valerie Lux
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Zwischen Anzugträgern und weißen Kitteln fand an diesem Donnerstag der Münchner Gipfel zur Digitalgesundheit statt. "Die Universität muss ständig ein Austausch des intellektuellen Risikos und der wilden Gedanken sein" eröffnete Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München, die Konferenz.

Dass Oberärzte als Zauberer und Professoren als Götter wahrgenommen werden, sei lange vorbei, nun stehe die Digitalisierung und die maschinelle Auswertung von enormen Datenbergen im Vordergrund, ließ die Konferenz wissen. Die Ärztin von Morgen sei die Software-Entwicklerin mit Anatomiekenntnissen oder der Arzt, der auch die Struktur von Programmiersprachen verstehe.

Das Versprechen der Digitalisierung sei das Zusammenwachsen aller akademischen Disziplinen, meinte TU-Präsident Herrmann. Das bedeute, Fächergrenzen zu sprengen und offen auf die Experten anderer Fächer zuzugehen. So wie die Glasfaserdrähte miteinander vernetzt seien, so müssten die Menschen sich ebenfalls gedanklich vernetzen.

Dass auf der technischen Seite nicht immer eine nahtlose Vernetzung möglich sei, musste der bayerische CSU-Staatsminister für die Wissenschaft Bernd Sibler eingestehen, der berichtete, dass er wegen eines Stromausfalls von der digitalen Kommunikation an diesem Tag im Ministerium abgeschnitten war. Damit war ein Bedrohungsszenario angesprochen: Ein Black-Out oder ein Serverausfall eines Krankenhaus durch eine Cyberattacke oder Naturkatastrophe können dramatische Folgen nach sich ziehen.

Deutschland liegt im Rückstand bei der Umsetzung digitaler Medizin, holt derzeit aber mit Riesenschritten auf, war ein Fazit der Konferenz. "Nachholbedarf haben wir eindeutig bei der Infrastruktur der Krankenhäuser", machte Markus Schwaiger deutlich, ärztlicher Direktor des Klinikums rechts der Isar. Das nötige Wissen, aus riesigen Datenbergen Informationen zu extrahieren, sei vorhanden; was fehle, sei das WLAN in den Hospitälern.

Mindestens fünf Prozent des jährlichen Umsatzes eines Krankenhauses müsste in eine gut funktionierende IT-Infrastruktur gesteckt werden, viele Kliniken kalkulierten jedoch noch nicht so hohe Ausgaben für ihre Ausstattungen. Dabei könnte ein papierloses Krankenhaus mit rein interner digitaler Kommunikation zu drastischen Einsparmöglichkeiten führen.

Künstliche Intelligenz, die datengetriebene Erkenntnis von Zusammenhängen, könne auch heute schon Ärzte bei ihrer Entscheidung unterstützen, es müssten nur erst einmal genügend Daten gesammelt werden. Viel Geld müsse jetzt in die Anbauten von Kliniken gesteckt werden, die Datenauswertungszentren beherbergen, konstatierte der ärztliche Direktor der Münchener Universitätsklinik, Karl-Walter Jauch, die systemischen Voraussetzungen des digitalen Gesundheitssystems. Er selbst "brenne" für die elektronische Patientenakte und sei betrübt, dass eine flächendeckende Einführung noch nicht gelungen sei.

"Komponenten der digitalen Medizin"

(Bild: TU München)

Manfred Broy, Gründungspräsident des Zentrums Digitalisierung Bayern, hatte positive Nachrichten im Gepäck: Die Kosten der Entschlüsselung von Genomen sei in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Analog zum Moore'schen Gesetz sei es viel einfacher und kostengünstiger geworden, genetische Veranlagungen für Krankheiten zu erkennen.

Je mehr Daten vorhanden seien, umso mehr Wissen sei für eine personalisierte Heilung verwendbar. Wer den Datensatz eines Kranken mit einem anderen Datensatz eines anderen Kranken vergleicht, kann Muster erkennen, welche Patienten mit ähnlichen Laborbefunden oder Vorerkrankungen ähnliche Symptome oder Heilungsverläufe aufweisen.

Doch hier könnte der Teufel im Detail stecken: "Es ist unmöglich qualitativ exakte Daten zu Krankheitsverläufen zu erhalten", sagte Hans-Ullrich Prokosch vom Datenbankkonsortium Miracum. Von allen weiteren Referenten wurden die Schwierigkeiten in der menschlichen Datenerhebung geschildert: Jede Klinik habe ihre eigene dezentrale IT-Infrastruktur und Datenbanken, die Interoperabilität der Systeme hakt und es gebe kaum einheitliche Vorgaben für das Labeln der medizinischen Vorgaben, an die sich alle Ärzte hielten. Es hapere also nicht an Datenbanken, sondern an ihrer Handhabung.

Eine direkte Folge fehlender Datenerhebung ist der in dieser Woche bekannt gewordene Implantate-Skandal. Dass es kein funktionierendes Meldewesen für das Versagen von medizinischen Implantaten im Körper des Menschen gibt und Aufsichtsbehörden es verschleppen, die fehlerhaften Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, wenn ihre Hersteller nicht reagieren, mag ein ebenso politisches Fehler wie menschliches Versagen sein.

"Wir brauchen saubere, bereinigte und integrierte Daten. Die Ärzte sind in diesem Fall schuld daran, dass sie diese von den Patienten bei Beschwerden nicht erhoben haben", sagte Klaus Kuhn. Er ist Leiter des Projekts Difuture, das die Datenintegration ausgewählter Kliniken zu ausgewählten Krankheiten koordiniert. Implantate standen noch nicht auf der Tagesordnung.

Robotik-Experte Sami Haddadin stellte eine neue Generation von feinfühligen Robotern vor, die mit einer Nervenzellensensorik ausgestattet theoretisch Operationen selbst durchführen könnten. In dem Moment, in dem der Roboter so programmiert wird, dass er von seiner Umgebung lernt und nicht nur repetitiv monotone Schritte ausführt, kann er auch das Chirurgiehandwerk erlernen. Durch den Zugriff auf eine smarte Cloud könne auf die Erfahrungswerte eines anderen Roboters zurückgegriffen werden, der bestimmte operative Schritte schon vorher einmal erfolgreich erledigt hat.

Das Lernen durch die Interaktion mit der Umwelt, die sogenannte "Machine Intelligence" ist Voraussetzung für den Medizinroboter der Zukunft, meinte Haddadin. Das aktienbasierte US-Unternehmen Intuitive Surgical entwirft hier beispielsweise "intuitive Roboter", die Chirurgen womöglich in Zukunft assistieren.

Eine weitere Herausforderung für den digitalen Gesundheitsstaat ist die Datenschutzgrundverordnung. Die sinnvollsten Ergebnisse medizinischer Forschung in Datenbergen werden durch einem Deep-Learning-Prozess erzielt: Also wenn Algorithmen selbstständig Zusammenhänge herausfinden sollen, ohne ihnen direkt mitzuteilen, mit welchen Parametern sie suchen sollen. Jedoch sei es unmöglich, eine Patientenzustimmung zu der Verwertung ihrer Daten in einem Deep-Learning-Prozess zu erhalten.

"Wer nicht weiß, wofür seine Daten verwendet werden, kann nicht zustimmen. Wir bewegen uns hier auf nicht rechtssicherem Terrain", sagt Jens Wiehler, Leiter des Projekts "DigiMed Bayern", das personalisierte Medizin für Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt. Manfred Broy verwies auf den Wissensverlust allzu strenger Datenschutzrichtlinien, die dazu führten, dass einmal anonymisierte Datensätze nicht mehr Patienten zuzuordnen wären und man keine weiteren Nachforschungen zum Verlauf zur Krankheit anstellen könne. Ein Pyrrhussieg für den Datenschutz, wenn es zu einer bestimmten Krankheit möglicherweise neue Heilungsmöglichkeiten gäbe, die Patienten aber nicht auffindbar sind. (anw)