Regensburger Korruptionsprozess:Wurde beim Verkauf des Nibelungenareals gemauschelt?

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Auf dem Nibelungenareal entstehen Wohnungen. (Foto: Stadt Regensburg/Bilddokumentation)
  • Im Regensburger Korruptionsprozess geht es um die Frage, ob sich Bauunternehmer Volker Tretzel drei Bauabschnitte auf dem Nibelungenareal erschlichen hat.
  • Aus Tretzels Umfeld waren knapp eine halbe Millionen Euro Spenden auf das Wahlkampfkonto des suspendierten Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs (SPD) geflossen.
  • Während die Staatsanwaltschaft davon überzeugt ist, dass der Deal schmutzig war, erklären mehrere Stadträte, dass sie kein Fehlverhalten Wolbergs sehen.

Von Andreas Glas, Regensburg

Wer die Dimensionen begreifen will, muss den Gerichtssaal in Regensburg kurz verlassen, muss zehn Autominuten Richtung Südosten fahren. Zum Nibelungenareal. Dorthin, wo früher Kasernenhäuser der Bundeswehr standen. Dort hat die Firma Tretzel eine Anlage gebaut, die keiner übersehen kann. Fast 50 Fußballfelder groß, einige hundert Wohnungen, ein Spielplatz, ein Teich. Eine "Wohnoase", sagt die Baufirma. Hier stinkt es gewaltig, sagt die Staatsanwaltschaft.

Vier Wochen hat das Gericht zuletzt die Spenden behandelt, die aus dem Umfeld des Bauunternehmers Volker Tretzel aufs Wahlkampfkonto des suspendierten Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs (SPD) flossen: rund 475 000 Euro. Seit Montag geht es im Korruptionsprozess um die Frage, ob sich Tretzel damit drei Bauabschnitte auf dem Nibelungenareal erschlich. Im Herbst 2014 bekam er den Zuschlag, zahlte 23,3 Millionen Euro an die Stadt. Ein gutes Geschäft für Tretzel, der den Großteil der Flächen bereits mit Wohnungen bebaut hat. Von deren Verkauf soll er sich rund 11,5 Millionen Euro Gewinn versprochen haben.

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Die Staatsanwälte sind überzeugt, dass der Deal schmutzig war. Der OB dagegen sagte zu Prozessbeginn, dass es "niemals eine Verbindung gegeben" habe zwischen Nibelungenareal und Tretzel-Spenden. Das sagt auch Tretzel, der mehrere Gutachten in Auftrag gab, die belegen sollen, dass der Deal sauber war - und sein Kaufangebot schlicht besser als die Angebote der übrigen Bewerber.

Auch das Gericht hat erklärt, dass es mit Blick auf die Ausschreibungskriterien "sachgerecht und nachvollziehbar" gewesen sei, das Grundstück an Tretzels Firma zu verkaufen. So steht es im Eröffnungsbeschluss der Strafkammer. Die Frage ist: Spielt das eine Rolle, falls die Kriterien so formuliert waren, dass am Ende Tretzel als logischer Sieger rauskam? Diesen Verdacht hat die Staatsanwaltschaft: Dass Wolbergs und Norbert Hartl, der ebenfalls angeklagte Ex-Fraktionschef der Rathaus-SPD, die Vergabekriterien passgenau auf Tretzel zuschnitten.

Maßgeschneiderter Kriterienkatalog laut Verteidiger kein Rechtsverstoß

Ein mögliches Indiz: Eine E-Mail, die Hartl noch vor der Ausschreibung an die Firma Tretzel schickte. Sie enthielt den Entwurf der Ausschreibung - und Hartls Bitte, Änderungswünsche "in rot" einzutragen. Die Mail ging auch an Wolbergs. Der sagt, er könne sich nicht erinnern, die Mail gelesen zu haben. Noch ein Indiz: Ein abgehörtes Telefonat zwischen Wolbergs und Tretzel, das zwei Jahre nach Vergabe des Nibelungenareals stattfand. Es wurde kürzlich im Gerichtssaal vorgespielt. Tretzel sagt darin, dass "Hartl den Kriterienkatalog ein bisschen maßgeschneidert hat".

Dass Hartl die Baufirma bei der Ausschreibung mitreden ließ, sei kein Rechtsverstoß, sagen die Tretzel-Verteidiger. Als Beleg haben sie ebenfalls ein Gutachten parat. Auch Wolbergs bezweifelt, dass die Hartl-Mail "überhaupt beanstandenswert ist". So entspannt wie der Oberbürgermeister sehen das nicht alle Stadträte, die in dieser Woche als Zeugen vor Gericht aussagen. Als ob ein Lehrer seine Schüler bei Prüfungsfragen mitschreiben lasse, ein "klar wettbewerbsverzerrendes Verhalten", sagt Ludwig Artinger (Freie Wähler).

Dass Tretzel zum Zug kam, verteidigen dagegen alle Stadträte, die der Vergabe im Oktober 2014 zustimmten. "Die beste aller Lösungen", um "maximal günstigen Wohnraum" zu schaffen, sagt Artinger. Ähnlich äußern sich Thomas Burger (SPD), Benedikt Suttner (ÖDP), Richard Spieß (Linke), Tina Lorenz (parteilos) sowie Margit Kunc und Walter Erhard (Grüne). Alle nennen Bauqualität, Energiestandards und niedrige Nebenkosten als Gründe, die aus ihrer Sicht für Tretzel sprachen - und gegen die übrigen Bewerber.

Die Flächen auf dem Nibelungenareal waren bereits unter Alt-OB Hans Schaidinger (CSU) zum Verkauf ausgeschrieben worden. Wer am meisten Geld bietet, sollte die Flächen bekommen, das war Schaidingers Plan, der bis April 2014 OB war. Am 2. Mai 2014 bezog dann Wolbergs das Chefbüro im Rathaus - und bat direkt seinen Wirtschaftsreferenten zu sich. Thema: Nibelungenareal. Seine Anweisung an den Referenten: Die Flächen auf dem Areal neu auszuschreiben. So kam es auch.

Statt Höchstgebot gab es nun mehrere Vergabekriterien, die durch einen Zusatz ergänzt wurden: "In besonders begründeten Einzelfällen kann der Stadtrat bei der Grundstücksvergabe von diesen Kriterien abweichen." Ließ Wolbergs neu ausschreiben, weil er fürchtete, dass Tretzel bei Vergabe nach Höchstpreis leer ausgehen könnte? Das glaubt offenbar die Staatsanwaltschaft. Laut Anklage waren Wolbergs und Hartl bereit, alle "in ihrer Macht stehenden Handlungsmöglichkeiten zu nutzen", um Tretzel das Grundstück zuzuschanzen.

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Die Stadträte dagegen wollen Wolbergs und Hartl kein kriminelles Kalkül unterstellen. Auch Linken-Stadtrat Spieß nicht. Also alles transparent gelaufen beim Tretzel-Deal? Das sei "ganz schwer zu beurteilen", sagt Spieß, "man hat ja keine Informationen darüber, was man nicht weiß". Was die Stadträte definitiv nicht wussten, als sie dem Verkauf des Areals an Tretzel zustimmten: Dass dessen Firma beim Ausschreibungsentwurf mitschreiben durfte. Und dass aus Tretzels Umfeld hohe Spenden an die SPD flossen.

Wolbergs sei "günstiger Wohnraum besonders wichtig" gewesen, sagt Grünen-Stadtrat Erhard. Um dieses Ziel zu erreichen, sei eine Konzeptausschreibung mit mehreren Kriterien besser als eine Vergabe nach Höchstpreis. Mit dieser Idee sei die SPD bei den Grünen "auf offene Ohren gestoßen", sagt Erhard. So ähnlich erzählen das vor Gericht auch Stadträte anderer Fraktionen. Was die Räte ebenfalls übereinstimmend sagen: Dass Wolbergs niemanden im Stadtrat beeinflusst habe, für Tretzel zu stimmen.

Eine Aussage, die Wolbergs belasten könnte, macht ausgerechnet SPD-Stadtrat Thomas Burger. Er erzählt, dass bei einem Treffen der SPD-Kandidaten im Kommunalwahlkampf 2014 besprochen worden sei, keine Spenden von Bauträgern anzunehmen, die "aktuell Projekte in der Stadt am Laufen haben". Mit dieser Aussage lenkt der Parteikollege des OB den Blick auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die maßgeblich sein könnte für den Korruptionsprozess in Regensburg.

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Darin heißt es, der "Anschein von Käuflichkeit" entstehe bereits, "wenn Spender und Amtsträger davon ausgehen, dass dieser im Laufe der künftigen Amtszeit mit Entscheidungen zu diesem oder jenem Vorhaben des Spenders - sei es schon projektiert oder noch nicht - befasst sein wird". Demnach könnte Wolbergs selbst dann wegen Vorteilsannahme verurteilt werden, falls das Gericht keine explizite Absprache mit Tretzel zu einem konkreten Geschäft feststellt. Es könnte dann tatsächlich egal sein, ob der Verkauf an dessen Firma "sachgerecht und nachvollziehbar" war, wovon das Gericht ausgeht.

Wer in die Gesetzbücher schaut, stellt fest: Der Grat ist schmal zwischen dem Erlaubten und dem nicht Erlaubten. Keine leichte Aufgabe für Richterin Elke Escher. Noch bleiben ihr rund 50 Prozesstage, bis ein Urteil fällt, vielleicht dauert es auch länger. Der Korruptionsprozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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