Barock in Oberschwaben : Dieser Kniff mit dem Licht
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Romantisches Tettnang: Die Sankt Georgskapelle im Hopfenfeld in Dietmannsweiler. Bild: dpa
Der Barock ist der Propagandastil der Gegenreformation. Doch nur allzu gern lässt man sich überwältigen. Stippvisiten entlang der Oberschwäbischen Barockstraße.
Nach dem Fisch-Entree mit feiner Molke, gefolgt von einer brennte Supp mit gebähtem Brot, kommt zahmer Hahn mit Safran und Stachelbeeren auf den Tisch. Dazu serviert Berthold Schmidinger „grüne Knöpf“, eine Art Knödel, und zum Dessert „Nonnenfürzle“, die man außerhalb Oberschwabens wohl kleine Krapfen nennen würde. Schmidinger kocht sein Barockmenü im Grünen Baum, dem ältesten Gasthof in Bad Waldsee. „Die Gerichte der Barockzeit schmeckten intensiv und liebten Gegensätze“, sagt er, „und sie sollten Farbe auf den Teller bringen.“
Unterstützung bekam der Küchenchef vom Stadtarchivar Michael Barcyz, der fand in Kochbüchern der Epoche, in Quittungen, Hausordnungen und Reiseberichten Rezepte und Zutaten – so viele und so detailliert, als schaute er hohen Herrschaften ebenso wie armen Leuten direkt in die Töpfe. Als passende musikalische Begleitung könnten nun Kammermusiker Mozart intonieren, aber in Waldsee hört man etwas Originelleres: Da spielt der Barde Bernhard Bitterwolf den Piffel, das Krummhorn, das Scheitholz und weitere fast vergessene bäuerliche Instrumente der Region, die er sich nachbauen ließ.
Der Glaube war der Rettungsanker
Während die ungewohnten angenehmen Noten Gaumen und Ohr kitzeln, machen sie Lust auf die Reise in eine Zeit, die auf der Klaviatur aller fünf Sinne brillierte und dabei auf Kontraste setzte wie süß und sauer, raffiniert und deftig, hell und dunkel, schlicht weiß und farbenfroh. Gern verbindet man die Epoche mit verschwenderischer Fülle, man denkt an rauschende Feste, knisternde Seide, üppige Dekolletés, gepuderte Perücken und an eine ganz hohe Zeit der Künste. Auf deren anderer Seite aber schlug auch Horror zu Buche: Hexenverfolgung, Inquisition, Bücherverbrennungen und Hunger. Der Tod war den Menschen allgegenwärtig, der Glaube ihr Rettungsanker.
Mitten in Oberschwaben, das sich von Ulm bis zum Bodensee sowie zwischen Donau und Lech erstreckt, liegt das hübsche Bad Waldsee an der Hauptroute der siebenhundertfünfzig Kilometer langen, vier Strecken mit rund fünfzig Stationen zählenden Oberschwäbischen Barockstraße. Das Städtchen eignet sich deshalb gut als Ausgangsort für diverse Touren.
Durchzugsgebiet der verfeindeten Truppen
Stattliche Fachwerkhäuser und das imposante spätgotische Rathaus mit seiner getreppt aufwärtsstrebenden Fassade erinnern an Waldsees beste Zeiten, als hier Korn- und Tuchhandel blühten. Wie ein Gegengewicht stemmt die Stiftskirche St. Peter am anderen Ende der Altstadt ihre zweitürmige, der gotischen Vorgängerin übergestülpte barocke Pracht gen Himmel – dem Herrgott entgegen. Ihn galt es nach allen Kräften und sichtbar überall dort zu loben, wo dem Protestantismus der Garaus gemacht worden war. Der Barock ist der Propagandastil der Gegenreformation; ein europäisches Phänomen. Oberschwaben erreicht es erst in seiner Spätphase, in seinem letzten Aufjauchzen, Jubilieren und Tirilieren, bevor der strenge Klassizismus Ruhe gebietet. Genaugenommen sind wir also häufiger auf einer Rokoko- als auf einer Barockstraße unterwegs.