Business Mittwoch, 24.04.2024

Club verlegt Stolpersteine in der Rankestraße

Israels führende zeitgenössische Komponistin Chaya Arbel war Mitglied des 1. FC Nürnberg und wurde am 30. April 1933 zusammen mit ihren Eltern Ludwig und Dina Schloss, die beim Club Tennis spielten, von der Mitgliederliste gestrichen. In Gedenken an die fünfköpfige Familie Schloss, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1936 und 1937 nach Palästina auswanderte, lässt der Club zusammen mit „Geschichte für alle e.V.“ am Dienstag, den 30. April 2024, um 16 Uhr in der Rankestraße 68 in Nürnberg fünf Stolpersteine verlegen. Alle Interessierten sind dazu herzlich eingeladen.

Die neuen Stolpersteine

„Zum Gedenken an unsere am 30. April 1933 von der Mitgliederliste gestrichenen jüdischen Mitglieder initiiert der Club jedes Jahr an diesem Tag eine Stolpersteinverlegung“, betont Niels Rossow, Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg. Am 30. April 1933 hatte der 1. FCN schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland in vorauseilendem Gehorsam 142 seiner Mitglieder von der Mitgliederliste gestrichen, nur weil sie Juden waren.

Dieses Jahr geht es bei der Stolperstein-Verlegung um die Familie Schloss. Der jüdische Kaufmann Ludwig Schloss (geb. 1889) und seine Frau, die Grundschullehrerin Dina Schloss (1893), wohnten mit ihren Töchtern Gerda (1921), Ruth (1922) und Käthe (1927) in der Rankestraße 68. Ludwig Schloss besaß eine Papier- und Pappe-Großhandlung in der Fürther Straße. Am 1. April 1930 wurden Dina und Ludwig Schloss Mitglieder des 1. FC Nürnberg, sie spielten Tennis. Kurz vor ihrem elften Geburtstag, am 1. Juni 1932, wurde Gerda Schloss Mitglied im Club bei den Schwimmern. Am 30. April 1933 strich der 1. FC Nürnberg alle drei aus der Mitgliederliste.

Nachdem Ludwig Schloss 1933 einen Verleumdungsprozess gegen Julius Streicher, den Herausgeber der antisemitischen Hetzschrift Stürmer, gewonnen hatte, ließ dieser das Haus in der Rankestraße mit der Bildunterschrift „Der Jude Schloss hat am 1. Mai nicht geflaggt.“ im Stürmer abbilden. Daraufhin zog die fünfköpfige Familie 1934 nach Stuttgart.

Ende April 1936 schickten die Eltern die älteste Tochter Gerda nach Palästina zur zionistischen Jugendbewegung Habonim. Ludwig und Dina Schloss kamen mit den beiden anderen Töchtern eineinhalb Jahre später nach. Ludwig Schloss hatte in Nürnberg Haus und Geschäft verkauft und mit dem Geld etwas Land und ein kleines Haus in Palästina erworben. Er wurde Direktor einer landwirtschaftlichen Kooperative in Kfar Schmaryahu im Bezirk Tel Aviv, seine Frau arbeitete dort als Landwirtin.

Gerda Schloss war schon als Kind eine hochtalentierte Pianistin. In Palästina schloss sie sich einer linken Kibbuz-Bewegung an und besuchte die Landwirtschaftsschule. Sie hieß nun mit Vornamen „Chaya“, wirkte am Aufbau eines Kibbuz in Zentralisrael mit und arbeitete dort in der Landwirtschaft. 1943 heiratete sie den Bibliothekar Shlomo Marcus. 1944 kam Tochter Esther zur Welt. 1946 wurde die Ehe geschieden. Sechs Jahre später heiratete sie Daniel Arbel, einen Landwirt und Bibliothekar, mit ihm hatte sie drei Kinder: Avital, Naomi und Itai.

In den 1960er-Jahren nahm Chaya Arbel ihre 1936 abgebrochenen Klavierstudien wieder auf. Neben ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit nahm sie in Tel Aviv Klavier- und Harmonie- sowie Kompositionsunterricht. Sie studierte bei führenden Pianisten, gründete eine Musikschule und wurde eine der größten modernen Komponistinnen Israels. Sie komponierte 30 Solo- und Kammerstücke sowie fünf symphonische Werke. In Deutschland wurde Chaya Arbel vor allem für ihre Vertonung des Tagebuchs der Anne Frank 1992 für Mezzosopran, Streichquartett und Klavier bekannt.

Ruth Schloss besuchte von 1938 bis 1942 die Bezalel School of Arts and Craft in Jerusalem. Nach ihrem Abschluss illustrierte sie Bücher und studierte von 1949 bis 1951 an der Académie de la Grand Chaumière in Paris. Danach kehrte sie nach Israel zurück und heiratete den Vorsitzenden der Hashomer Hatzair Arbeiterpartei, Benjamin Cohen. Sie bekam die beiden Töchter Raya und Nurit und engagierte sich in der Kommunistischen Partei Israel. Später kehrte sie in ihr Elternhaus in Kfar Schmarjahu zurück.

Von 1960 an hatte Ruth Schloss ein Atelier in Jaffa. In ihren Zeichnungen und Gemälden thematisierte sie soziales Elend, die Traumata des Holocausts und das menschliche Leid in den Kriegen im Nahen Osten. Ihre Bilder wurden oft mit den Werken von Käthe Kollwitz verglichen. 2008 hatte sie in der Kunsthalle Nürnberg unter dem Titel „Malen – meine zweite Muttersprache“ eine große Retrospektive

Käthe Schloss nennt sich in Palästina Malka und wächst in dem Kibbuz in Kfar Schmaryahu im Bezirk Tel Aviv auf. 1946 geht sie nach Jerusalem, um Musik zu studieren. Sie schließt sich der paramilitärischen zionistischen Untergrundorganisation Hagana an und wird in der Zeit der Konfrontation zwischen Juden und Arabern zu militärischen Einsätzen herangezogen. Die Belagerung Jerusalems erlebt sie als einer der ersten weiblichen Offiziere aus nächster Nähe mit. 1948 heiratet sie in Jerusalem Hans Wolfgang Schmuckler. Beide leben danach in Palästina und bekommen zwei Söhne, Amnon und Oren. Doch ihren Mann zieht es nach Europa zurück. Da ihn dort auch bessere Berufsaussichten erwarten, willigt Malka schließlich ein, ihm zu folgen. Als Frau um die vierzig kehrt sie zurück nach Deutschland in ein fremdes Land. 1997 erscheint ihre Autobiografie „Gast im eigenen Land: Emigration und Rückkehr einer deutschen Jüdin“.

Ludwig Schloss starb im 1957, seine Frau Dina 1972 in Kfar Schmaryahu, Israel.

Chaya Arbel beziehungsweise Gerda Schloss starb 2006 in HaMa’apil, Israel.

Ruth Schloss starb 2013 in Kfar Shmaryahu, Israel.

Käthe Malka Schloss-Schmuckler starb 2008 in Berlin.

Club-Fans und Geschichtsinteressierte sind herzlich eingeladen

Vor dem Wohnhaus in der Rankestraße 68 werden am Dienstag, 30.04.24, 16 Uhr, Niels Rossow, Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg und Cornelia Trinkl, Referentin für Schule und Sport der Stadt Nürnberg, alle Teilnehmenden begrüßen. Club-Historiker Bernd Siegler informiert über die Familie Schloss, über das Engagement des 1. FC Nürnberg gegen Antisemitismus berichtet Hannes Orth, Bereichsleitung Community & Membership 1. FC Nürnberg, und zu den Stolpersteinen als Teil der Erinnerungskultur in Nürnberg spricht Dr. Pascal Metzger, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verein „Geschichte Für Alle“. Club-Fans und Geschichtsinteressierte sind zur Stolpersteinverlegung herzlich eingeladen.

Stolpersteine: größtes dezentrales Mahnmal der Welt

Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit kleinen Gedenktafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden. Die bronzenen Steine werden meist vor dem letzten frei gewählten Wohnsitz der NS-Opfer in den Gehweg eingelassen. Mit über 75.000 Stolpersteinen in Deutschland und 21 europäischen Ländern gelten sie als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

In den letzten beiden Jahren wurde u.a. vor dem Max-Morlock-Stadion mit Stolpersteinen an den ehemaligen jüdischen Club-Trainer Jenö Konrad, seine Frau Grete und die Tochter Evelyn sowie in der Lohengrinstraße 13 an den ehemaligen jüdischen Club-Präsidenten Dr. Leopold Neuburger, seine Frau Hedwig und deren Kinder Kurt und Hilde gedacht.

Ludwig Schloss
Dina Schloss
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Ruth Schloss
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