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Medien Horrorserie „Parfum“

Der Club der toten Dufter

Redakteur Feuilleton
„Das Parfum“ – Die Mini-Serie zum Süskind-Bestseller

Sechs Internatsschüler experimentieren mit menschlichen Gerüchen. Zwanzig Jahre später wird eine von ihnen ermordet und ihre Schweißdrüsen herausgeschnitten. Die Spur führt zu der ehemaligen Clique.

Quelle: ZDFneo

Autoplay
„Parfum“ ist die coolste, dunkelste, deutscheste aller deutschen Serien. Patrick Süskinds Entwicklungsschauerroman eines Künstlers als Mörder ist der Katalysator einer katastrophalen Kettenreaktion.

Das Land, in dem im Folgenden Frauen grässlichste Gewalt angetan wird und die Verzweiflung, die Sehnsucht, die Trauer die seltsamsten und schönsten Blüten treibt, ist ein weites Land. Die letzten Reaktoren hecheln einer ungewissen Zukunft entgegen.

Sie sind so totgeweiht wie die Seelen jener Menschen, die so klein aussehen, wenn sie vor ihnen herumfahren und vor dem leeren Horizont, und so bleich in den flachen Häusern, in denen sie hinter Glas leben. Sehr deutschen Häusern, erkalteten Kanzlerbungalows gleich.

Wenn man nicht aufpasst, liest man „Parfum“, die Serie, die Philipp Kadelbach aus den Drehbüchern der Debütantin Eva Kranenburg gemacht hat, wie eine Paraphrase auf den gegenwärtigen Zustand der alten Bundesrepublik.

Und man muss schon sehr aufpassen, denn „Parfum“, die rätselhafteste, eigenwilligste, vielleicht auch deutscheste aller Serien dieses deutschen Serienherbstes, ist in seiner ästhetischen Geschlossenheit eine schaurig offene Assoziationsfläche.

„Parfum“ ist alles mögliche, bloß keine Literaturverfilmung. Es ist (unter anderem) eine Geschichte, die da erzählt wird, in sechs soghaften Stunden, über das Lesen, darüber, was Literatur aus Menschen machen kann, Jugendlichen vor allem, Internatsschülern im Besonderen.

Eine grausame Tat: Roman Seliger (Ken Duken, r.) findet im Swimmingpool die nackte Leiche seiner Nachbarin Katharina Läufer (Siri Nase, l.).
Die moderne Ophelia im Pool: Roman Seliger (Ken Duken, r.) mit der Leiche der Sängerin Katharina Läufer (Siri Nase)
Quelle: ZDF und Jakub Bejnarowicz

Die sind ja gerade am Niederrhein, im weiten Land, von dem das „Parfum“ geradezu durchtränkt ist, literarisch besonders produktiv geworden (allein das bischöfliche Collegium Augustinianum Gaesdonck hat vier Romanciers der inzwischen mittleren Generation hervorgebracht).

Patrick Süskinds Künstlergeschichtsschauerentwicklungsroman ist dabei nicht mehr als der Katalysator für eine Kettenreaktion von psychischen Katastrophen.

Von fünf Freunden und dem Rätsel um einen verschwundenen Jungen handelt „Parfum“. Eine nackte Frau, die so schön ist wie als Sängerin erfolglos, steigt zu Beginn vor einem Bungalow in ihren betonumrandeten Pool.

Ein paar Szenen später, in denen Regisseur Kadelbach kunstvoll rote Fäden verlegt, von denen er, wie er das perfekt beherrscht, absichtsvoll später einige einfach so liegen lässt, ist sie tot. Komplett enthaart, ganzkörperkahl.

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Die Stellen, an denen Menschen besonders intensiv riechen, sind sorgfältig entfernt worden. „Hier war ein Meister am Werk“, sagt der Pathologe.

„Allein mitten in der Nacht“ hieß eines der Lieder der Toten. Allein mitten in der Nacht sind eigentlich alle, die sich am Tatort versammeln – der Staatsanwalt, die schöne Profilerin, der undurchsichtige Ermittler.

Und alle, die später am Sarg stehen: der Parfumeur, der Arzt, die verkrachte Existenz, der Bordellbetreiber, die Frau, die der Arzt schlägt, der ganze Club der toten Dufter. Die waren einst ihren durchdrehenden Hormonen erlegen, dem Machtapparat Internat und den olfaktorischen und körperlichen Reizen der Toten vom Pool.

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Zum Explodieren gebracht hatte diesen niederrheinischen Dampfkochtopf die fortgesetzte Süskind-Lektüre.

„Parfum“ verdankt sich sozusagen der dramaturgischen Schubumkehr des Süskindschen Romans, folgt dem Täter nicht vorwärts durchs Leben, sondern rückwärts, seinen Spuren, den möglichen Ursachen der Tat hinterher immer tiefer in den Morast einer fatal fehlgehenden Jugend.

In den Wahnsinn am Ende der Aufklärung

Kadelbach schneidet die Geschichten seiner Verdächtigen extrem kunstvoll auf Kante, lappt sie manchmal so übereinander, dass Unschärfen bleiben. Manchmal fährt einer mitten durch eine Szene, von dem man weiß, dass er wichtig wird, weil Thomas Thieme ihn spielt, und wird dann stundenlang irgendwo vergessen.

„Parfum“ leistet sich jeden Luxus, den man sich in Serien eigentlich nicht leisten kann. Was das wirklich heißt, weiß nur der, der durchhält, sich von der Gewalt nicht abschrecken lässt, die reiner Verzweiflung entspringt.

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Dem Gefühl, am Ende der Aufklärung genauso wie Süskinds Held Grenouille an deren Anfang in den Wahnsinn zu kippen. Auch das könnte man als Gegenwartsanalyse lesen.

Männer – wo wir gerade dabei sind – schlagen Frauen, Männer missbrauchen Frauen. Das ist aber nur die Oberfläche der Geschichte. Auch wer „Parfum“ als Kommentar auf die eruptierende Geschlechterdebatte lesen will, muss sich die Serie bis zu Ende anschauen.

Gesichter wachsen aus Spiegelungen. Die Bilder sind schön wie die Seelen krank. Jede Figur ein Totentanz. Jedem Totentanz man gern durch seine je eigene Nacht. Hier waren Meister am Werk.

Parfum: ZDFneo, ab 14. November, 22 Uhr und in der Mediathek

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