WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geld
  3. Immobilien
  4. Neue Grundsteuer: Sie wird ungerecht oder teuer. Oder beides

Immobilien Wohnkosten

Neue Grundsteuer wird ungerecht oder teuer. Oder beides.

Leitender Redakteur Immobilien
Den Gesetzgebern läuft die Zeit davon

14 Milliarden Euro nimmt der Staat jährlich dank der Grundsteuer ein, aber die Erhebung in der bisherigen Form wurde vom Verfassungsgericht verworfen. Nun wird um ein einfaches, aber gerechtes Modell gestritten - schon zu lange.

Quelle: WELT

Autoplay
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Reform der Grundsteuer vorgeschrieben. Die Aufgabe ist ziemlich komplex. Ganz klar ist aber, egal welche Reform der Gesetzgeber vorschlägt: Viele Bürger werden mehr zahlen.

Hinter dem Warwischer Hauptdeich – direkt an der Elbe – ist die Welt noch in Ordnung. Der Immobilienboom mit seinen explodierenden Hauspreisen ist zwar nicht weit weg, aber doch abgeschwächt. In Sichtweite des Hohendeicher Sees auf der einen und den Kirchwerder Wiesen auf der anderen Seite sind Einfamilienhäuser teuer, aber nicht gänzlich unbezahlbar.

Anders dagegen im einige Kilometer entfernten Hamburger Zentrum, in Altona oder Othmarschen. Dort gibt es praktisch kein Haus mehr für weniger als 5500 Euro pro Quadratmeter. Und doch könnten beide Immobilien, das Haus hinter dem Deich einerseits, und die zentral gelegene Villa andererseits, künftig mit der gleichen Grundsteuer belegt werden. Die eine Immobilie städtisch und teuer, die andere abgelegen und günstiger – und beide Eigentümer könnten in einigen Jahren die gleiche Steuer an den Hamburger Fiskus abführen.

Jedenfalls wenn es so kommt wie die Finanzverwaltung der Hansestadt sich das wünscht. Es geht um eines der größten Reformvorhaben der deutschen Steuergeschichte: Bis Ende 2019 muss der Gesetzgeber die Grundsteuer reformieren, die die Gemeinden von Immobilieneigentümern kassieren und die bei Mietwohnungen auf Mieter umgelegt werden kann. Vor allem die Grundsteuer B auf Wohnimmobilien ist eine der wichtigsten Einnahmequellen für Kommunen, mit einem jährlichen Aufkommen von fast 14 Milliarden Euro im Jahr 2017.

Quelle: Infografik WELT

Doch die anstehende Reform wird zur fast unlösbaren Aufgabe. Denn egal welches Modell der Gesetzgeber am Ende wählt: Entweder es wird ungerecht, wie beim Vergleich zwischen dem Haus am Deich und dem in Top-Lage. Oder es wird teurer für die Bürger. Im schlimmsten Fall könnte sogar beides eintreten – nicht zuletzt weil die neue Steuer sehr aufwendig wird und neue Verwaltungskräfte eingestellt werden müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die jetzige Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt, weil sie mit völlig veralteten Einheitswerten berechnet wird. Zwölf Monate hat der Gesetzgeber noch Zeit für eine neue Bewertungsregelung für die rund 36 Millionen betroffenen Immobilien – Waldgrundstücke, landwirtschaftlich genutzte Flächen und Wohnimmobilien in der gesamten Republik. Für die Umsetzung gestatten die Richter in Karlsruhe dann noch einmal eine Frist bis Ende 2024.

Das Vorhaben ist kompliziert

Aus Sicht des Gesetzgebers ist höchste Eile geboten, denn das Vorhaben ist kompliziert. In den nächsten Wochen will das Finanzministerium einen Vorschlag vorlegen. Das Hauptproblem: Die einfachen Modelle sind nicht für alle Steuerbürger gerecht. Umgekehrt gilt dagegen: Die gerechten Modelle sind nicht einfach. Gleichzeitig soll die neue Grundsteuer „aufkommensneutral“ sein, die Bürger unterm Strich also nicht mehr belasten.

Hamburg etwa favorisiert ein reines sogenanntes Flächenmodell. Dabei werden die Wohn- und Nutzflächen der Gebäude auf einem Grundstück zusammenzählt und mit einer Steuer belegt. Das klingt einfach. Doch im Ergebnis würde eben das 200 Quadratmeter großes Haus in Top-Lage in der City genauso hoch besteuert wie das 200 Quadratmeter große Haus hinterm Warwischer Deich an der Elbe.

Quelle: Infografik WELT

Ist das gerecht? Viele Ökonomen, einige Verbände und die Initiative „Grundsteuer zeitgemäß“, sagen „nein“. Zum einen sei die Flächenberechnung eben doch nicht so einfach, meint Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier: „Berechnen Sie mal die Fläche eines Dachgeschosses unter einem Walmdach und im Vergleich dazu unter einem klassischen Satteldach.“

Hamburg schlage zwar grobe Vereinfachungen dieser Berechnungen vor, doch das sei streitanfällig. Vor allem aber: „Eine reine Flächensteuer bedeutet, dass die Lage und der Wert eines Grundstücks für die Bemessung der Steuer keinerlei Rolle spielen“, bemängelt die Grundsteuer-Initiative. „Auf einfache oder schlechte Lagen würde dieselbe Steuer entfallen wie auf teure, bevorzugte Lagen. Das träfe vor allem Mieterhaushalte und Kleineigentümer.“ Oma würde für ihr Häuschen am Stadtrand so viel zahlen wie der Top-Manager in der City-Lage.

Steuerlast wird wohl steigen

Anzeige

Vor wenigen Wochen veröffentlichte das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo eine Studie mit Modellrechnungen, bei denen das Flächenkonzept trotzdem am besten abschneidet. Auftraggeber waren die Immobilienverbände Haus & Grund und ZIA. Die Grundsteuer-Initiative hält diese Studie für unseriös. „Ein genauer Blick auf die Zahlen offenbart, dass die Hebesätze der Kommunen jeweils unverändert übernommen wurden. Das hat aber mit der Realität und auch mit seriösen Modellrechnungen wenig zu tun“, heißt es in einer Stellungnahme, die WELT vorliegt.

Die Initiative „Grundsteuer zeitgemäß“, an der unter anderem auch der Naturschutzbund Nabu beteiligt ist, fordert eine Bemessung anhand der Bodenrichtwerte. Diese gibt es immerhin schon, denn die Richtwerte werden regelmäßig von den Gutachterausschüssen in den Gemeinden erhoben. Für jedes Grundstück gibt es einen einigermaßen aktuellen Wert in Euro.

Auch das klingt wieder einfach. Ist es aber nicht. Denn zum einen gibt es deutschlandweit Hunderte von Gutachterausschüssen, und die arbeiten teilweise sehr unterschiedlich, mit verschiedenen Maßstäben. Vor allem aber würden hier wiederum die Bürger in zentralen Lagen stark belastet: „Eine Regelung orientiert an hohen und mitunter spekulativen Marktpreisen für Immobilien wäre nicht vermittelbar, da sie insbesondere in Metropol- und stark nachgefragten Regionen der Republik zu deutlichen Mehrbelastungen und absehbar die städtische Segregation befördern würde“ – so heißt es in einem Schreiben der Hamburger Finanzbehörde, das vor einigen Tagen verschickt wurde. Gentrifizierung durch Grundsteuer-Überlastung? Egal welches Modell schließlich kommt: Die Steuerlast insgesamt dürfte steigen. Das wiederum zeigen Modellrechnungen der Grundsteuer-Initiative.

Quelle: Infografik WELT

Grundsätzlich könnte jede Kommune über die Hebesätze zu hohe Steuerausschläge noch oben oder unten ausgleichen. Neue Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gemeinde wären damit aber eben nicht abzufedern. Es gilt also einen Kompromiss zu finden. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, bis Ende des Jahres einen Reformvorschlag vorzulegen.

In einer Sitzung des Bundestag-Finanzausschusses ließ er durchblicken, dass er genau wegen der beschriebenen Probleme eher eine Kombination aus einem Flächen- und einem Wertmodell bevorzugt, wie WELT aus informierten Kreisen erfuhr. Nicht zuletzt forderten auch die Verfassungsrichter, dass die wirtschaftliche Verwertbarkeit einer Immobilie bei der Steuer berücksichtigt werden muss. Das geht weder nur mit Flächen noch nur mit Werten. In der kommenden Woche tritt sich Scholz zum Informationsaustausch mit Bundestagsabgeordneten.

Lesen Sie auch

Wenn allerdings nicht die reinen Bodenwerte in die Steuer einbezogen werden, sondern andere Werte, etwa der Verkehrswert einer Immobilie, wird es noch komplizierter. „Rund 35 Millionen Grundstücke sowie land- und forstwirtschaftliche Betriebe in Deutschland müssten neu bewertet werden“, sagt Hans Volkert Volckens, Vorsitzender im Ausschuss Steuerrecht des Immobilienwirtschaftsverbands ZIA. „Diese Neuermittlung der standardisierten Werte wäre periodisch zu wiederholen. Das würde immense Verwaltungsressourcen binden.“

Allein für das Bundesland Hessen hat Finanzminister Thomas Schäfer den personellen Mehrbedarf für solche Wertberechnungen auf etwa 300 Vollzeitstellen beziffert. Und das beim ohnehin schon gravierenden Fachkräftemangel. Genau daran, nämlich an der fehlenden regelmäßigen Bewertung der Immobilien, ist schließlich auch das alte Modell gescheitert. Bastelt sich die Bundesregierung jetzt das nächste verfassungswidrige Steuermodell für Eigentümer und Mieter?

Lesen Sie auch

Auch in den Fraktionen der großen Koalition ist man sich nicht ganz einig. Während die CDU bisher eher dem Flächenmodell zugeneigt war, spricht sich Bernhard Daldrup, baupolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, für eine Kombination mit einem Wertmodell aus: „Auch eine reformierte Grundsteuer soll weiterhin die durch das Grundstück vermittelte finanzielle Leistungsfähigkeit erfassen. Dafür müssen neben Grund und Boden auch die Gebäude berücksichtigt werden.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema