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Medien Aus für „Lindenstraße“

Mit der „Lindenstraße“ stirbt die alte Bundesrepublik

Medienredakteur
„Dachte eigentlich, die Serie ist unsterblich“

Die Fernsehserie „Lindenstraße“ wird nach 34 Jahren eingestellt. Eine unerwartete Entscheidung der ARD, findet Elmar Krekeler. Denn die Serie hatte Kultstatus, und die Produktion war vergleichsweise günstig.

Quelle: WELT/Elmar Krekeler

Autoplay
Die „Lindenstraße“ war ein Fixpunkt der deutschen Fernsehunterhaltung. Im März 2020 wird die Serie nach knapp 1800 Folgen eingestellt. Die Entscheidung ist richtig, auch wenn die Fans Trauer tragen.

Wo waren Sie, als nach 34 Jahren das Ende der „Lindenstraße“ verkündet wurde? Das Aus für die am längsten laufende Seifenoper im deutschen Fernsehen ist vielleicht nicht ganz mit einem Augenblick von nationaler Signifikanz vergleichbar, in denen solche Fragen gerne gestellt werden. Aber doch. Die Einstellung der ARD-Serie im März 2020 wird so etwas wie das Ende der alten westdeutschen Republik im öffentlich-rechtlichen Fernsehen markieren.

Was macht die „Lindenstraße“ mit der markanten Erkennungsmelodie, die höchst dramatisch beginnt und sich dann in Gemütlichkeit auflöst, so bedeutsam? Es war diese Serie, die erstmals am 8. Dezember 1985 um 18:40 Uhr die Sonntagabendruhe in den Wohnzimmern aufmischte. Fortan sollten sich viele Millionen Zuschauer mit den Schicksalen der Menschen in der „Lindenstraße“, die in München angesiedelt ist, aber in Köln gedreht wird, beschäftigen.

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Die Episoden waren in der Direktheit, mit der höchst reale Probleme in einer knappen halben Stunde gezeigt wurden, etwas Neues auf einem solch prominenten Sendeplatz. Nach dem Abendessen, bevor die Kinder ins Bett gehen.

Jeder Figur ihre Krise

Den Zuschauern, die den Start miterlebt haben, reicht die Aufzählung einiger wichtiger Charaktere, um sich in diese Zeit zurückzuversetzen. Mutter Beimer und ihr Hansemann, Arzt Ludwig Dressler, Hausmeisterin Else Kling, der Grieche um die Ecke Panaiotis Sarikakis, der homosexuelle Carsten Flöter, der quasi in der Serie geborene Klaus Beimer (Jahrgang 1978), die Friseurin Tanja Schildknecht. Hans W. Geißendörfer, dem Erfinder der „Lindenstraße“, gelang es, diese Charaktere höchst wiedererkennbar in Szene zu setzen, indem er sie mit jeweils eigenen Krisen und Herausforderungen belastete.

Die Ehe der Beimers wurde geschieden, Helga und Hans (starb erst kürzlich den Serientod) fanden neue Partner, aus Eheleuten wurden Nachbarn. Sohn Klaus driftete später in die rechtsextreme Szene ab, sein älterer Bruder Benny mutierte dagegen zum Öko. Die als Kind übergewichtige Valerie Zenker ließ sich mit dem halbseidenen Robert Engel ein, der das Mädchen drogenabhängig machen wollte. Benno Zimmermann lebte in der „Lindenstraße-WG“, kam in Geldnot, wurde arbeitslos, heiratete dann, ein kleiner Lichtblick, seine Freundin Gaby, und infizierte sich knapp hundert Folgen später bei einer Bluttransfusion mit HIV.

Franz Schildknecht, der seinen Job als Lehrer aufgab, um fortan als Maler sein Glück zu versuchen, wurde Trinker. Auch diese Ehe scheiterte, weil seine Frau Henny ein Verhältnis mit dem Tennislehrer von Tochter Tanja einging. Später beging Henny Selbstmord. Die kleinere Tochter Meike starb an Leukämie. Und da waren wir erst bei Folge 84. Von bis heute knapp 1700 Folgen insgesamt. Es mutet beim Durchlesen der Serienfiguren-Biografien komisch an, wenn es bei Tanja Schildknecht heißt, sie sei „vom Schicksal gebeutelt“. Die „Lindenstraße“, das war und ist ein bürgerliches Inferno.

Til Schweiger war auch dabei

Die „Lindenstraße“ war auch der Ort, an dem einige Karrieren begannen, wie die von Til Schweiger (Folge 220 bis 365). Und andere Karrieren, wie die des einzigartigen Harry Rowohlt (Folge 482 bis 1443), in eine amüsante Nebenstrecke einbogen. Die „Lindenstraße“ war die Serie, die zu Bundestagswahlen mit aktuellen Ergebnissen aufwartete oder 1998 gleich vier verschiedene Szenarien in petto hatte, je nach Wahlausgang. Webseiten, die in der Serie von einer Figur eingerichtet wurden, gab es manchmal auch im echten Netz. Die Anekdoten zur Serie passen in viele dicke Bücher, die es auch tatsächlich gibt.

WESTDEUTSCHER RUNDFUNK KÖLN Lindenstraße - Hans W. Geißendörfer und Hana Geißendörfer Die Produzenten Hans W. Geißendörfer und seine Tochter, Hana Geißendörfer in der Kulisse der Lindenstraße. © WDR/Steven Mahner, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter WDR-Sendung und bei Nennung "Bild: WDR/Steven Mahner" (S2). WDR Presse und Information/Bildkommunikation, Köln, Tel: 0221/220 -7132 oder -7133, Fax: -777132, bildkommunikation@wdr.de
Hans W. Geißendörfer und seine Tochter Hana in den Kulissen der Serie
Quelle: WDR/Steven Mahner

„Der deutsche Zustand bin ich“, hat Hans W. Geißendörfer, der Mann mit der kleinen blauen Wollmütze, dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ vor etwas mehr als drei Jahren gesagt. Wenig später übergab er, im Alter von 74 Jahren, seiner Tochter Hana die Leitung aller kreativen Prozesse, die seine Schöpfung ausmachen.

Dass die „Lindenstraße“ es in ihrem vierten Jahrzehnt schwerer hat als je zuvor, noch von alten wie jungen Zuschauern wahrgenommen zu werden, dass sie längst kein Selbstläufer mehr war, zeichnete sich trotz der Verjüngung an der Spitze ab. Im vergangenen Jahr machte die Serie zum ersten Mal eine Sommerpause von fünf Wochen. Es gab Versuche, mit Drehs außerhalb der Kulisse und Vorabguckern im Internet frischen Wind hinein zu blasen. Die „Lindenstraße“ gleich ganz neu zu erfinden, das ist allerdings nicht möglich.

Kleinbürgerliches Epos

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Seit einigen Jahren sank entsprechend der Marktanteil der Episoden. In den 80ern erreichte die Serie bis zu 14 Millionen Zuschauer und mehr pro Folge. Laut dem Branchendienst „Meedia“ hatte die „Lindenstraße“ in diesem Jahr Probleme, überhaupt noch mehr als zwei Millionen Zuschauer zu erreichen.

Und so ist es kein Wunder, dass Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten, angemessen betrübt konstatiert, dass die Produktionskosten für die „Ikone“ nicht mehr im Verhältnis zum Ertrag standen: „Das Zuschauerinteresse und unsere unvermeidbaren Sparzwänge sind nicht vereinbar mit den Produktionskosten für eine solch hochwertige Serie.“

Übervater Geißendörfer hat sich bereits gemeldet, er versteht die Entscheidung nicht, „in Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit“ sei die „Lindenstraße“ wichtiger denn je. Es gibt auch schon eine Petition im Netz, die Serie nicht einzustellen. Doch das ist wohl eher ein Gag oder eine dem Schock geschuldete Idee. Nein, weder die ARD noch Amazon Prime Video oder Netflix sollten die „Lindenstraße“ retten. Wir sollten sie in Ehren zu Grabe tragen.

Und die Programmverantwortlichen sollten im Geist der Macher von damals etwas Neues starten, das einen ähnlichen Hauch des Ungewohnten verbreitet. Die „Lindenstraße“ wird als vor allem westdeutsch geprägte, bundesrepublikanische Fernsehgeschichte, als ein kleinbürgerliches Epos der Deutschen zu Ende gehen. Viel mehr war nicht drin.

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