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Immobilien Nicht mitgedacht

Wenn die Mieter für Todesfallen im Hausflur sorgen

Kinderwagen im Treppenhaus blockieren nicht nur den Fluchtweg, sondern können im Brandfall auch in giftigen Rauch aufgehen Kinderwagen im Treppenhaus blockieren nicht nur den Fluchtweg, sondern können im Brandfall auch in giftigen Rauch aufgehen
Kinderwagen im Treppenhaus blockieren nicht nur den Fluchtweg, sondern können im Brandfall auch in giftigen Rauch aufgehen
Quelle: picture alliance / dpa
In kaum einem anderen Land gibt es so viele Brandschutzbestimmungen wie in Deutschland. Damit steigen auch die Baukosten. Doch am Ende unterlaufen viele Bewohner diese Bemühungen mit ihrer Bequemlichkeit.

Dramatische Szenen spielten sich auf der Jägerstraße im Düsseldorfer Stadtteil Eller ab. Rauchschwaden quollen aus einem Mehrfamilienhaus. Menschen standen auf den Balkonen und riefen um Hilfe. Die Feuerwehr musste mit einer Drehleiter anrücken, um sie zu retten. Auslöser des Einsatzes: Ein im Treppenhaus abgestellter Kinderwagen war in Brand geraten. Durch die Flammen entstanden giftige Gase, die den Fluchtweg versperrten.

Dass Menschen in Mehrfamilienhäusern sich im Fall eines Feuers nicht allein in Sicherheit bringen können, weil die Fluchtwege versperrt sind, erlebt Bernhard Schuhmacher, Brandschutzsachverständiger der Prüforganisation Dekra in Baden-Württemberg, bei seiner täglichen Arbeit regelmäßig. Wenn er für Wohnungsunternehmen Brandschutzbegehungen vornimmt, stellt er immer wieder fest, dass „Treppenhäuser als Abstellfläche für Fahrräder, Kinderwagen und sogar Schränke missbraucht“ werden. „Der Fluchtweg wird dann bei einem Feuer zur Todesfalle“, sagt Schuhmacher.

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Zum einen seien die abgestellten Räder, Buggys und Möbelstücke ein gravierendes Hindernis, wenn Menschen in Panik versuchen, aus einem brennenden Haus zu fliehen. Zum anderen könnten die Gegenstände selbst „zu einer Brandlast werden“, sagt Schuhmacher. Brennen Reifen oder andere Bestandteile von Fahrrädern und Kinderwagen, entstünden toxische Gase, die schnell zu Kohlenmonoxidvergiftungen und zum Tod führen können.

Mieter unterlaufen die Maßnahmen immer wieder

Dass diese Gefahrenquellen überhaupt existieren, ist paradox. „Brandschutz wird in Deutschland ganz groß geschrieben“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Mit dem Erlass immer neuer Vorschriften in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Normen, die beim Bau oder der Modernisierung von Wohnhäusern eingehalten werden müssen, auf 3300 gestiegen, hat das IW zusammengezählt. Bei mehr als einem Drittel von ihnen geht es direkt oder indirekt darum, die Gebäude vor Feuer zu bewahren oder den Bewohnern im Brandfall eine sichere Flucht durch die Flammen zu ermöglichen.

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„Die Flut an Verordnungen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der Wohnungsneubau in den vergangenen Jahren stetig verteuert hat und die Genehmigungsverfahren immer länger dauern“, sagt Voigtländer. Betrugen die reinen Baukosten für eine Wohnung – ohne die Aufwendungen für den Grundstückserwerb – im Jahr 2007 im Schnitt noch 1250 Euro pro Quadratmeter, lagen sie im vergangenen Jahr bei rund 1700 Euro pro Quadratmeter. Ein Anstieg von 36 Prozent.

Doch all dieser Aufwand zum Schutz der Menschen in den Häusern wird von Bewohnern selbst immer wieder unterlaufen. Nicht nur, weil sie Flure und Treppenhäuser mit Fahrrädern, Kinderwagen und Schränken versperren. Bei ihren Brandschutzbegehungen stellen Sachverständige auch eine Reihe weiterer Verstöße regelmäßig fest: „Sehr häufig sind die Brand- und Rauchschutztüren zwischen Keller oder Tiefgarage und dem Treppenhaus nicht wie vorgeschrieben geschlossen, sondern werden mit einem Holzkeil sperrangelweit offen gehalten“, sagt Schuhmacher. „Das kann im Brandfall lebensgefährlich werden.“

Zum einen könnten sich so Rauchgase über das Treppenhaus im gesamten Gebäude ausbreiten und die Bewohner vergiften. Zum anderen drohe so bei einem Feuer der gefürchtete Kamineffekt. „Sind die Schutztüren nicht geschlossen, erhalten die Flammen – egal wo sie im Haus lodern – zusätzliche Nahrung durch die Sauerstoffzufuhr“, sagt der Experte. Dadurch könne sich das Feuer sehr schnell ausbreiten.

Konflikt zwischen Sicherheit und Bequemlichkeit

Was bei den Brandschutzbegehungen deutlich werde, sei der Konflikt zwischen dem Streben nach Sicherheit und dem Wunsch nach Bequemlichkeit, sagt Immobilienökonom Voigtländer. „Kein Mieter würde in ein Haus einziehen, wenn ihm zuvor gesagt würde, dass das Gebäude im Brandfall nicht sicher sei.“ Gleichzeitig würden die Bewohner jedoch für sich selbst und die übrigen Nutzer lebensgefährliche Fallen schaffen, um es bequemer zu haben.

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Zu welchen Widersprüchen im Verhalten dieser gleichzeitige Drang nach Sicherheit und Bequemlichkeit führt, zeige sich, wenn „Eltern ihren Kindern beim Tretrollerfahren einen Helm aufsetzen, jedoch das Spielgerät im Treppenhaus herumliegen lassen“, sagt Voigtländer. „Einerseits wollen sie ihre Kinder vor einer Schramme am Kopf schützen, andererseits setzen sie sie der Gefahr von Rauchgasvergiftungen aus, weil sie zu bequem sind, den Tretroller in den Keller oder in die eigene Wohnungen zu tragen.“ Hinzu kommen Senioren, die ihren Rollator nahe der Eingangstür parken, weil es ihnen schwerfällt, die Gehhilfe in die eigene Wohnung zu tragen.

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Ebenso widersprüchlich ist das Verhalten der Bewohner, wenn es darum geht, die Haustür abzuschließen. Die meisten Menschen tun das abends aus Angst vor Einbrechern. Damit erschweren die Bewohner sich im Brandfall aber die Flucht aus dem Haus. „Eingangstüren sollten nachts nicht zugeschlossen werden“, sagt Schuhmacher. „Hausordnungen, in denen dies vorgeschrieben wird, sind unzulässig.“

Hausverwalter muss Regeln kontrollieren

Brandschutzbegehungen durch unabhängige Sachverständige müssten regelmäßig in Mehrfamilienhäusern erfolgen, damit etwaige Verstöße gegen die Feuerschutzvorschriften entdeckt und abgestellt werden können, sagt Dekra-Sprecher Tilman Vögele-Ebering. Die Brandschutzverordnungen der einzelnen Bundesländer regeln dabei im Detail, wie häufig welches Gebäude kontrolliert werde.

Unabhängig von solchen Brandschutzbegehungen stehen die Besitzer von Mehrfamilienhäusern in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Brandschutzvorschriften eingehalten werden, sagt Gerold Happ, Jurist und Geschäftsführer beim Eigentümerverband Haus & Grund. „Bei Eigentumswohnungen in Gemeinschaftswohnanlagen zählen solche Kontrollen mit zu den Aufgaben des Hausverwalters.“

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Zuweilen genüge es, Mieter, die das Treppenhaus versperren, in einem freundlichen Gespräch auf die Vorgaben der Brandschutzverordnung hinzuweisen, sagt Happ. Lasse sich nicht feststellen, wem die Gegenstände gehören, sollte ein Schreiben an alle Mieter auf die Rechtslage hinweisen. Sollte auch das nicht anschlagen, könnten betroffene Mieter abgemahnt werden. „Wenn auch dies nicht fruchtet, muss in letzter Konsequenz die Kündigung ausgesprochen werden, um den Brandschutz sicherzustellen“, sagt Happ.

Bewohner greifen offenbar zu drastischen Mitteln

Sind es Eigennutzer, die die Treppenaufgänge blockieren, könne der Hausverwalter die Gegenstände entfernen lassen, wenn Gespräche und formale Schreiben keinen Erfolg zeigen. Auch Eigentümer könnten zu dieser Maßnahme greifen, um für die nötige Sicherheit aller Bewohner im Brandfall zu sorgen. „Dabei darf das fremde Eigentum jedoch nicht in den Sperrmüll gehen, sondern muss sicher eingelagert werden, damit die Besitzer es sich zurückholen können“, sagt Happ.

Als Abstellräume missbrauchte Treppenhäuser führen aber nicht nur zu Streit zwischen Mietern und Eigentümern. Häufig kracht es deshalb auch zwischen den Bewohnern. Denn beglückt ist wohl niemand, wenn eine Ansammlung von Kinderwagen, Fahrrädern und Rollatoren den Weg zur eigenen Wohnung versperrt. Manchmal greifen verärgerte Bewohner offenbar zu drastischen Mitteln.

Bundesweit ist es in den vergangenen Jahren immer häufiger vorgekommen, dass in Treppenhäusern abgestellte Kinderwagen angezündet wurden. „In den meisten Fällen dürften diese Brandstiftungen Mieter begangen haben, die sich durch die zugeparkten Treppenhäuser gestört fühlten“, sagt ein Hannoveraner Beamter der Kriminalpolizei. So auch im vergangenen Oktober in Pattensen bei Hannover. Nachdem dort in einem Mehrfamilienhaus ein Kinderwagen angezündet worden war, ermittelte die Kriminalpolizei schnell den Täter: Es war ein Bewohner des Hauses.

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