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Film „Cold War“

Das ist die schönste Lovestory des Jahres

Stv. Ressortleiterin Feuilleton
„Cold War – Der Breitengrad der Liebe“

Der Komponist Wiktor reist mit einer Kollegin zur Zeit des polnischen Wiederaufbaus mit einem Tonbandgerät durch die Bergdörfer seines Landes, um dort nach Gesangstalenten zu suchen. Er entdeckt Zula – und verliebt sich.

Quelle: Neue Visionen

Autoplay
Oscar-Preisträger Pawel Pawlikowski hat ein neues Meisterwerk geschaffen. „Cold War – der Breitengrad der Liebe“ ist eine irrsinnig poetische Liebesgeschichte in Schwarz-Weiß. Und eine Hommage an das osteuropäische Erzählen.

Am Anfang Gesichter, schwarz-weiß, Filzhüte, ein Mann spielt Dudelsack, Menschen sitzen auf Betonstufen vor Baracken und Holzhütten, irgendwo hinten läuft ein Huhn durchs Bild. Es werden wüste, traurige Lieder gesungen, über die Liebe, die Mädchen, die Männer, den Suff. In einem Veranstaltungssaal spielt eine Frau Ziehharmonika, eine andere hält dazu mit sozialistischem Ernst ein Mikrofon, ein Mädchen probt das Singen im Haus ihrer Eltern, der Vater löffelt unbeteiligt seine Suppe. Ein Planwagen fährt durch ein verschneites Feld, ein Mann pinkelt gegen einen Baum, dann steht da: Polen 1949, und was angefangen hat wie ein ethnologischer Dokumentarfilm, der das Leben und die Lieder der Landbevölkerung untersucht, ist ab sofort eine der schönsten Liebesgeschichten, die das Kino seit Langem gesehen hat.

Nur die Besten

Der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski, der vor drei Jahren mit „Ida“ einen Oscar gewonnen hat, erzählt uns die Liebesgeschichte zwischen dem Komponisten Wiktor (Tomasz Kot) – er ist es, der am Anfang herumreist und die Volkslieder sammelt – und der Sängerin Zula (Joanna Kulig). Sie lernen sich kennen, nachdem der Planwagen vor einem alten Gutsherrenhaus gehalten und eine Gruppe sehr junger Menschen ausgespuckt hat. Ein Funktionär erklärt ihnen, nur die Besten der Besten werden es hinein schaffen. Es folgt ein Vorsingen; Wiktor ist Jazzmusiker, fristet sein Dasein aber im sozialistischen Polen als Dirigent und musikalischer Leiter des „Mazowsze“-Ensembles. Als das Mädchen vor ihm steht und singt, zunächst im Duett mit einer anderen, ist er gleich verwundert und berührt, er will sie nochmal allein hören. Beim zweiten Mal singt sie ein russisches Lied, traurig und schmetternd, fragend und spöttisch klar.

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„Wo haben sie das her?“, fragt er, und das ist die wunderbare Stärke dieses Films, dass er, komponiert wie ein Stück Musik, das seine eigenen Motive fragend entfaltet, nicht plump und eindeutig auf eine Liebesgeschichte hin erzählt. Das könnte erst einmal alles sein, diese Situation auf dem Land in einem winterlichen Polen, die angedeutete Affäre zwischen Wiktor und seiner Co-Ensemble-Leiterin Irena (Agata Kulesza), die vielen jungen Frauen und Männer, die in dieser Gesangs- und Tanzakademie die Volkstänze erlernen und sie zu Ehren Stalins und des sozialistischen Polens aufführen sollen.

Wiktor stellt Erkundigungen an nach dieser Zula; er hat gehört, sie habe ihren Vater ermordet. Am Abend im Hof sieht er sie tanzen, sich einen jungen Mann nach dem anderen herbeiholen. Das könnte jetzt jede Zeit sein, jede Kunst-Akademie, jede Gruppe Anfang Zwanzigjähriger, die tagsüber in hellen Räumen ihre Kunst einstudieren und abends ausgelassen sind. Der Film funktioniert viel über das Akustische, das Prasseln des Regens am offenen Fenster während der Pausen, das Tackern der Nähmaschine, das sich mit den Läufen der Klaviermusik vermischt.

COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE (2018) - Magische Anziehungskraft: Zula (Joanna Kulig) und Wiktor (Tomasz Kot) verbindet schicksalhafte Leidenschaft. © Neue Visionen Filmverleih
Einmal sogar unter Palmen: Zula und Wiktor
Quelle: Neue Visionen Filmverleih

Dann sieht man Wiktor und Zula, wie sie miteinander schlafen, später liegen sie im Weizenfeld, sie sagt ihm, dass sie ihn bespitzelt, noch später wirft sie sich ins Wasser, wird Ophelia. Zula hat einen Wahnsinn, eine Melancholie, hat glänzende Augen und manchmal einen herben Zug um den Mund, Wiktors Gesicht hat eine Neugier, einen Schmerz und eine Ernsthaftigkeit, die man sich für immer ansehen könnte. Der Film erzählt die Liebe der beiden über einen Zeitraum von beinahe 20 Jahren.

Als das Ensemble nach Ost-Berlin reist, beschließen die beiden zu fliehen; er geht, sie kommt nicht mit, versetzt ihn, weil sie, wie sie später sagt, glaubt, nicht gut genug zu sein, für ihn, für den Westen, für Paris. Was klingt wie ein Ende, ist nur der Anfang, der sie in ein Leben hineinwirft, das nie aufhört, vom Exil bestimmt zu sein, vom großen geopolitischen Unglück, das so verworren mit dem persönlichen Unglück ist, dass man es nicht trennen kann.

Ein Denkmal für die Eltern

Die beiden handeln manchmal vielleicht schlicht dumm; jeder Abbruch, jeder Streit, jede Abkehr vom Leben in der Freiheit scheint vermeidbar und ist es natürlich irgendwie doch nicht. Vielleicht ist das eines der Dinge, die die Liebe zu Zeiten des Kalten Krieges unterscheidet von der Liebe zu einer anderen Zeit: dass die Dummheit unter anderen Umständen nicht so viel Bedeutung hätte. Aber so wirft sie die Liebenden, die sich ein Leben lang hinterherreisen und nicht voneinander lassen können, ins äußerste Unglück. Der Film zeigt sie in Polen Ende der Vierziger, im Paris des Jahres 1957, im Jugoslawien des Jahres 1955, wieder in Polen, wieder in Frankreich... Pawlikowski hat mit „Cold War – der Breitengrad der Liebe“ der Liebesgeschichte seiner Eltern ein Denkmal gesetzt und er hat die Geschichte von Wiktor und Zula um historische Tatsachen (das „Mazowsze“-Ensemble hat es wirklich gegeben) herumkomponiert.

Der Film ist ein schwarz-weißes Meisterwerk des Unglücks und der Melancholie und wer daran erinnert werden möchte, wie es ist, zu lieben und sich diese Liebe aus irgendeiner idiotischen Notwendigkeit selbst herausgerissen zu haben, der muss die meisterhafte Szene sehen, in der Wiktor in den Jahren ohne Zula in einer Pariser Jazz-Kneipe am Klavier sitzt und zu weinen beginnt.

Der Film ist wie eine schneeige, melancholische, überpräzise Hommage auf das osteuropäische Erzählen. Die Geschichte zweier Exilanten, die über die Jahre und Länder hinweg nicht voneinander lassen können, spielt, sehr frei, mit der größten aller Liebesgeschichten aus der Zeit des Ostblocks, „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Ein leichter, wunderbarer Gruß etwa die Szene auf einer Pariser Künstlerparty, auf der Zula die ehemalige Geliebte ihres Wiktor anspricht und sie zum Schluss der Unterhaltung fragt, ob sie schon mal in Palermo gewesen sei. Als Juliette antwortet, sie sei noch nie dort gewesen, sagt Zula nur biestig: „Schade“.

COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE (2018) - Die Liebe von Wiktor (Tomasz Kot) und Zula (Joanna Kulig) muss sich fatalen Widerständen stellen. © Neue Visionen Filmverleih
Unglücklich Liebende: Wiktor (Tomasz Kot) und Zula (Joanna Kulig)
Quelle: Neue Visionen Filmverleih
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In „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ gibt es eine Szene, in der sich ein Liebespaar über Palermo unterhält; Sabina, die Geliebte, sagt, sie müsse dort nicht hin, sie habe einmal eine Postkarte bekommen, auf der die Stadt zu sehen sei, sie kenne Palermo. Ihr Geliebter, der ihr vorgeschlagen hat, gemeinsam hinzufahren, interpretiert das als Ausdruck ihres erstarrten Begehrens. Indem Zula Palermo als Sehnsuchts- und Gegenort zu allem Tristen ihres Lebens behauptet, behauptet sie auch ihr Begehren, ihr Wegwollen, ihren Anspruch an sich, an das Leben, an Wiktor.

Unnötig, episch, herzzerreißend

Die beiden scheitern, sie scheitern auf so wunderbar unnötige, epische, herzzerreißende Weise, dass man ihnen unbedingt dabei zusehen muss. Der ganze Film ist übrigens in Schwarz-Weiß, und er ist gerade mal 84 Minuten lang. Man hat danach trotzdem das Gefühl, gerade ein Leben gelebt zu haben. Mindestens.

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