Eine Brücke ist ja eigentlich ein Meisterwerk der Balance. Zumindest die schöne blaue über die Oder, die von der Kamera geradezu liebkost wird im neuen brandenburger „Polizeiruf“, ist eines.
Kein Gefälle zu beiden Seiten. Sie ruht in sich. Wo sonst nichts ruht. Und alles von Gefälle bestimmt und keine Balance ist.
Die Brücke verbindet Polen und Deutschland. Hans-Christian Schmid und Bernd Lange, die Autorenfilmer, die für den „Fall Sikorska“ ihr erstes „Polizeiruf“-Drehbuch geschrieben haben, mögen Grenzen, und Brücken mögen sie auch.
„Das Verschwinden“, die intensivste Miniserie des vergangenen Jahres, erzählte vom Riss nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch zwischen Deutschland und Tschechien.
„Der Fall Sikorska“ erzählt von zwei Verbrechen. Einem Mord und einem Verschwinden. Ein polnisches Au-Pair-Mädchen wird ermordet – in verwackelten Rückblenden, die wie Leitplanken den sehr ruhigen Lauf der Ermittlung strukturieren, sieht man sie am Oder-Ufer ihre Sachen packen.
Sie arbeitete für Leo Heise, der mit seinen Kindern im Haus seines Vaters Gerd und seiner Stiefmutter Katarzyna lebt. 15 Jahre zuvor war Julia Sikorska, Katarzynas Tochter, verschwunden.
Sikorski, der Vater – Pole, Alkoholiker – verdächtigte Gerd, den deutschen Arzt, dass der sich an Julia vergangen hätte. Wegen sexueller Belästigung vorbelastet war der Mann auch.
Es ist ein scheinbar konventioneller Fall, in den Lange und Schmid die beiden Ermittler Lenski und Raczek vom grenzüberschreitenden Kommissariat in Swiecko an der Oder sich verwickeln lassen. Leise und langsam entsteht aber sozusagen aus den Seitenarmen der Geschichte ein aufklärerischer Strom.
Im „Fall Sikorska“ spielen Lange und Schmid und ihr Regisseur Stefan Kornatz ohne jegliche Schaueffekte, ganz beiläufig auf beinahe allen gesellschaftlichen und persönlichen Ebenen ihrer Ermittlung das Gefälle durch, das es immer noch diesseits und jenseits der Oder gibt.
Die Grenzen und Risse, die Sprach- und Sprechunterschiede. Selbst die beiden Kommissare bleiben sich weiter fremd. Und als gewissermaßen grenzüberschreitenden Kommentar zur MeToo-Debatte, zum Umgang und zur Vertuschung von Fällen sexuellen Machtmissbrauchs, kann man den „Fall Sikorska“ auch lesen.
Und kein Spektakel, kein Horror, nie kriegt die Geschichte hektische Flecken auf dem Gesicht. Selbst die Kommissare entfremden sich weiter leise. Es gibt sie noch, die stillen Fälle.