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Meinung Pro & Contra

Ist der Club of Rome noch zeitgemäß?

Für den Zusammenhang von industriellem Wachstum und Umweltverschmutzung sensibilisierte der Club of Rome im Jahr 1972 mit seiner Studie Für den Zusammenhang von industriellem Wachstum und Umweltverschmutzung sensibilisierte der Club of Rome im Jahr 1972 mit seiner Studie
Für den Zusammenhang von industriellem Wachstum und Umweltverschmutzung sensibilisierte der Club of Rome im Jahr 1972 mit seiner Studie
Quelle: pa/Johannes Glöckner
Vor 50 Jahren wurde der Thinktank Club of Rome gegründet. Was ist von dessen Prognosen geblieben? Viel, lobt Claudia Ehrenstein, sie belebten den Erfindergeist. Wenig, sagt Reinhard Mohr, sie waren der Beginn eines Katastrophen-Business.

PRO Club of Rome – die Argumente von Claudia Ehrenstein:

Auch fast ein halbes Jahrhundert später liest sich „Die Grenzen des Wachstums“ wie ein hochaktuelles Buch. Natürlich gibt es inzwischen viel genauere Computermodelle, um in die Zukunft zu schauen. Aber damals war schon der Versuch einer Prognose eine Revolution. Das Buch hat das Bewusstsein einer ganzen Generation verändert. Sein Erscheinen markiert eine Zäsur: Es gab die Zeit vor den „Grenzen des Wachstums“ und die Zeit danach.

Bis zum Erscheinen des Buches schien es, als könnte die Menschheit nichts mehr aufhalten: mehr Produktion, mehr Wohlstand, mehr Konsum. Höher, schneller, weiter. Grenzen waren dazu da, um überwunden zu werden. Der Mensch stieß bis in die unendlichen Weiten des Weltraums vor. Und von dort, aus der Distanz von Zehntausenden Kilometern, zeigte sich die Erde erstmals in ihrer Endlichkeit. Es war die Zeit, in der zugleich die bedrohlichen Nebenwirkungen des industriellen Fortschritts sichtbar wurden.

Der Cuyahoga-River im US-Bundesstaat Ohio stand regelmäßig in Flammen, weil er so stark mit Öl und brennbaren Chemikalien verschmutzt war. Spuren besonders langlebiger Pestizide wie DDT fanden sich sogar im arktischen Eis. Aus Sorge um die Zukunft des Planeten versammelte der italienische Industrielle Aurelio Peccei gleichgesinnte Ökonomen und Wissenschaftler um sich und gründete den „Club of Rome“. Beim renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) gab der Club jenen „Bericht zur Lage der Menschheit“ in Auftrag, der die Grenzen des Wachstums aufzeigen sollte.

Szenarien endlicher Lebensgrundlagen

Sechs Wissenschaftler unter der Leitung von Dennis Meadows fütterten ein „Weltmodell“ mit Daten zu Bevölkerungswachstum und Industriekapital, Nahrungsmittelerzeugung, Rohstoffverbrauch und Umweltverschmutzung. Dann spielten sie verschiedene Szenarien durch: Was geschieht, wenn Bodenschätze zur Neige gehen? Wie viele Menschen kann die Erde ernähren? Und was, wenn sich weiter Schadstoffe über den Globus verteilen?

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Die Berechnungen zeigten, dass exponentielles Wachstum in einem begrenzten System wie der Erde schneller als erwartet die Kapazitätsgrenzen überschreitet und die Lebensgrundlage der Menschheit zerstört. Niemand sollte mehr sagen können, er hätte es nicht gewusst.

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Das Team rechnete aber auch vor, dass Grenzen in einer endlichen Welt verschoben werden können: Wenn etwa ein Rohstoff knapp wird, steigen die Preise, und dann wird es rentabel, auch schwer zugängliche Lagerstätten zu erschließen. Vor allem aber zeigte sich, dass gerade Maßnahmen zum Umweltschutz die Tragfähigkeit des Planeten erhöhen. Diese Botschaft passte natürlich genau zum Zeitgeist.

Die Vereinten Nationen bereiteten gerade den ersten Weltumweltgipfel vor. Es ging nicht um exakte Vorhersagen – dafür war das Weltmodell zu ungenau. Die Leistung des Buches lag darin, komplexe Zusammenhänge verständlich erklärt zu haben. Das hatte es bis dahin so nicht gegeben.

Strukturen waren dabei wichtiger als Zahlenwerte. Heute zeigt sich: Beim Anstieg des klimarelevanten Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre lagen die Wissenschaftler mit ihrem Modell relativ richtig. Getäuscht haben sie sich mit der Einschätzung, der Ausbau der Kernenergie würde dieses Problem schon bald lösen. Andere Überlegungen erscheinen aus heutiger Perspektive geradezu weitsichtig.

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Hunger, so warnten die Autoren schon damals, sei vor allem eine Folge politischer Rahmenbedingungen. Als das Buch erschien, lebten 3,8 Milliarden Menschen auf der Erde, inzwischen sind es 7,6 Milliarden. Trotzdem ist die absolute Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen haben, bis heute etwa gleich geblieben; nicht abzusehen war, dass Übergewicht in absoluten Zahlen einmal ein viel größeres Problem als Hunger sein würde.

Von apokalyptischer Stimmungsmache keine Spur

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Das Buch wollte ja auch kein Blick in die Glaskugel sein. Es sollte Diskussionen anstoßen – und dieses Ziel hat es erreicht: Es hat die politischen Debatten der 70er-Jahre maßgeblich beeinflusst. Dabei ist es zu Unrecht als apokalyptische Stimmungsmache interpretiert worden.

Es ist im Gegenteil ein sehr optimistisches Buch – das an den Erfindergeist des Menschen und seine Intelligenz appellierte. Es propagierte die Vision einer Gesellschaft, die sich in einem wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gleichgewicht hält.

„Freiheit für die menschliche Gesellschaft zu finden und ihr keine Zwangsjacke anzubinden“ – so beschrieben sie ihr Leitbild. Ihre größte Sorge war, dass Politik und Gesellschaft mit dem raschen technologischen Fortschritt kaum mithalten können.

Verliert Deutschland den Anschluss?

Künstliche Intelligenz hat größeres Potenzial für das Wirtschaftswachstum als alle technologischen Entwicklungen zuvor. Deutschland hinkt noch hinterher. Das soll sich ändern. Unter anderem mit drei Milliarden Euro.

Quelle: WELT

Heute sind es Digitalisierung und künstliche Intelligenz, die die Welt vor neue Herausforderungen stellen. Die Menschheit, und das ist die unverändert aktuelle Botschaft des Buches, muss sich der Zukunft nicht schicksalshaft ergeben. Sie kann sie gestalten.

CONTRA Club of Rome – die Argumente von Reinhard Mohr:

Im Jahr 1972, als „Die Grenzen des Wachstums“ erschien, war ich siebzehn Jahre alt. Auf meinem Ringbuch fürs Gymnasium prangte ein Porträt von Willy Brandt. Für die Jüngeren: Er war damals so etwas wie der Robert Habeck heute. Ein Hoffnungsträger.

Ich rauchte nicht, fuhr Fahrrad und spielte jeden Tag stundenlang Fußball. Was also hatte ich mit jenem Bericht des „Club of Rome“ zu tun, der doch überwiegend als Menetekel eines Weltuntergangs wahrgenommen wurde, wenn, ja wenn nicht sofort und radikal umgesteuert würde. Ich spielte erst einmal weiter Fußball, und, zugegeben, die Serie von Bombenanschlägen der RAF auf Headquarter der US-Armee beschäftigte mich mehr als die Rohstoffknappheit im Jahr 2100.

Aber natürlich begann damals so etwas wie die Entstehung eines schlechten Weltgewissens, ein diffuses Schuldgefühl, für das es allerdings zahlreiche schöne Ablenkungen gab. Letztlich handelte es sich ja auch nur um eine Prognose mit vielen Unbekannten und unterschiedlichen Szenarien mit unklarer Eintrittswahrscheinlichkeit.

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Heute wissen wir, dass einige Warnungen ihre Berechtigung hatten, und es ist unbestreitbar, dass sich Anfang der 1970er-Jahre zum ersten Mal ein globales Bewusstsein für den Zusammenhang von industriellem Fortschritt und Umweltproblemen entwickelte.

Ideologischer Rigorismus

Doch die Gründung des Club of Rome war auch der Auftakt für einen Geschäftszweig, der bis heute boomt: Katastrophen-Business, professionelle Apokalypse-Prophetie, Weltrettungsprogramme im Jetset-Rhythmus. Gerade musste der norwegische Chef des UN-Umweltprogramms wegen völlig überzogener Reisekosten im sechsstelligen Bereich zurücktreten, und niemand lacht.

Längst hat sich ein ideologischer Rigorismus ausgebreitet, der wunderbar mit Hotelübernachtungen in Fünf-Sterne-Häusern und teuren SUVs korrespondiert. In der schier endlosen deutschen (warum eigentlich nicht: weltweiten) Diesel-Affäre präsentiert sich etwa der Chef der Deutschen Umwelthilfe als gnadenloser Robespierre im Geiste urdeutscher Buchhalterzunft, der wie ein Rächer der Enterbten von Gericht zu Gericht zieht, um auch noch den letzten Straßenabschnitt in Essen, Frankfurt oder Stuttgart sperren zu lassen, an dem ein paar Mikrogramm Stickoxid zu viel gemessen werden, wenn man die Messstationen nur möglichst nah an der Straße aufstellt.

Gleichzeitig werden für die sündhaft teure und ineffiziente Energiewende Tausende Hektar wertvollen Waldes abgeholzt, um riesige Windräder aufzustellen, die zur Grundlast der Stromversorgung nichts beitragen können, dafür aber nachhaltig die Landschaft verschandeln. Ja, ich rede mich manchmal in Rage, wenn ich sehe, wie Millionen Euro für den Schutz von Fledermäusen ausgegeben werden, während Tausende von ihnen, wie viele andere Wildvögel, von Windrädern geschreddert werden.

Digitalisierung als Chance

Zu meinen Gunsten dürfte immerhin sprechen, dass ich vor rund vierzig Jahren mehrfach vor Brokdorf und an der Frankfurter Startbahn West stand, um gegen Atomkraft und Naturzerstörung zu demonstrieren. Auch meine Konsumbedürfnisse hielten sich in den langen Jahren des Wohngemeinschaftslebens in engen Grenzen, zu dem Trampen nach Südfrankreich ebenso gehörte wie das Tragen der immer gleichen Klamotten.

Ozonloch, Waldsterben, Nitratverseuchung, Dünnsäureverklappung, Fleischskandale, Eiernudelkrise, Vogelgrippe, BSE und RWE – nichts ist mir fremd. Dass ich dennoch weder Veganer noch Frutarier geworden bin und nicht glaube, dass ein europäisches Verbot von Strohhalmen das weltweite Plastikmüllproblem löst, sei mir verziehen.

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Doch zurück zum Club of Rome und den Grenzen des Wachstums. 1972 betrug das deutsche Bruttoinlandsprodukt 290 Milliarden Dollar. 2017 waren es 3,677 Billionen Dollar. Selbst wenn man Geldentwertung und Wiedervereinigung in Rechnung stellt, bleibt eine Vervielfachung des Sozialprodukts in den letzten 45 Jahren, also ein enormes Wirtschaftswachstum mit großen Wohlstandsgewinnen für die große Mehrheit der Bevölkerung.

In dieser Zeit haben wir uns weder vergiftet noch die Wälder gerodet. Die Lebenserwartung ist massiv gestiegen, die Freiheit der Menschen hat sich vergrößert. Nein, es gibt keine absoluten Grenzen des Wachstums, schon deshalb nicht, weil Digitalisierung und technischer Fortschritt gewaltige Effizienzsteigerungen hervorbringen. Weder Wirtschaft noch Gesellschaft gehorchen ehernen Gesetzen, die linear in die Zukunft fortzuschreiben sind.

Die „kopernikanische Wende“, die der Club of Rome forderte, geschieht jeden Tag – in den Forschungslabors, in den Köpfen vieler Menschen, sogar in der Politik. Ob es für die Menschheit am Ende gut ausgeht, kann freilich niemand wissen.

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