Ein Schweizer und ein Deutscher reisen nach Brasilien, nach Rio, um die Brasilianer daran zu erinnern, wer sie sind. Der Deutsche hieß Marc Fischer, von ihm stammt das Buch „Hobalala: Auf der Suche nach João Gilberto“ von 2011. Als es gedruckt war und auch in Brasilien auf Portugiesisch in den Läden lag, lebte Marc Fischer schon nicht mehr, er wurde 40 Jahre alt.
Der Schweizer, Georges Gachot, hat dazu seinen Film gedreht. „Wo bist du, João Gilberto?“ zeigt, wie er nicht weniger obsessiv den Sänger sucht, der 1959 mit dem Album „Chega de Saudade“ die Musik des Landes neu erfunden hat, die Bossa Nova.
Jene neue Welle hob die alte Samba in die Morgendämmerung der weltweit anbrechenden Popkultur. Ins Freie, Offene und Weite. 1964 putschte sich das Militär an die Regierung. João Gilberto spielte von Amerika und Mexiko aus Bossa Nova, kehrte in den Achtzigerjahren, als das Militär sein Land wieder in Frieden ließ, zurück und tauchte ab. Warum, weiß niemand.
Wo, wissen der Koch, der ihm sein Steak brät, und der Laufbursche, der es ihm vor die Tür stellt, sein Friseur und einer, der im Film als Manager auftritt, wobei nicht klar wird, was der Mann hinter der Sonnenbrille managt, wenn João Gilberto seinerseits nirgendwo auftritt und nichts Neues aufnimmt.
Es geht um das Suchen selbst, wenn sich Gachot und Fischers Geist gemeinsam auf den Weg begeben, um die eigenen Sehnsüchte zu stillen. Man sieht also einem Schweizer dabei zu, wie er mit einem deutschen Buch, den Videos und Fotos, die der Deutsche von sich aufgenommen hat, und dessen Interviewmitschnitten aus dem Nachlass kreuz und quer durch Rio läuft und fährt, um einem Mythos nachzuspüren, den die Brasilianer längst als Mythos hinnehmen. Sie, die so stolz sind auf ihre schöne Musik, die Bossa Nova, und den schönen Fußball, den jogo bonito, scheinen seltsam gleichmütig zu sein, wenn es um einen Gründervater dieser Schönheit geht.
Wer sind die Träumer?
Da wäre Rachel, Fischers Übersetzerin, im Buch war sie mit ihm, dem Detektiv, als Watson unterwegs, im Film belächelt sie Gachot als Kauz. Da ist Miucha, João Gilbertos zweite Frau, die, während sie sich mit Gachot trifft, in ihr tropengrünes Telefon spricht und ihm beiläufig erklärt, ihr Ex-Mann sei am Apparat gewesen, was Gachot kaum fassen kann: „Ich habe die Stimme gehört, so nah und zugleich unerreichbar.“
„Alle suchen João“, sagt Miucha ungerührt. Da ist Cesar Villela, der die eleganten Plattenhüllen gestaltet hat und sagt: „Die Menschen hier sind alle Träumer.“ Dabei sind die wahren Träumer ein verstorbener deutscher Autor und ein Schweizer Filmemacher.
Georges Gachot starrt auf den Fernseher im Schnellimbiss, wo João Gilberto singt, als junger Sänger. Auf dem Friedhof findet er die Gräber von Antonio Carlos Jobim und Vinicius de Moraes, die „The Girl From Ipanema“ komponiert haben, das „Yesterday“ der Bossa Nova, 1963 aufgenommen in New York von João und Astrud Gilberto, seiner ersten Frau, und mit Stan Getz am Saxofon. Er fährt im Bus nach Diamantina und steht andächtig in einem winzigen Badezimmer, wo João Gilberto seine Stimme und den Sound gefunden haben soll.
Man kann die beiden sonderbaren Europäer für sentimentale Narren halten: Fischer hat dem Sänger Briefe geschickt, gefüllt mit Tierfiguren und Jesuskitsch, er hat geschrieben: „Wir können über Musik reden, über Katzen oder Rainer Maria Rilke oder einfach Karten spielen.“ Man sieht ihn allein im weißen Bademantel im „Copacabana Palace“ durch sein Zimmer tanzen. „Wen suche ich denn: Marc, João oder mich selbst?“, fragt sich Gachot.
Im einem Lied von João Gilberto heißt es: „Meine Sehnsucht ist die Sehnsucht nach dir.“ Gachot bemüht den deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, für den Sehnsucht die „Entzweiung des Bewusstseins“ war. In Fischers Buch steht, João sei die Sehnsucht selbst, die Bossa Nova. Als er alles aufgeschrieben hatte, nahm Marc Fischer sich vor sieben Jahren das Leben.
Aus dem Film, der seltsam leicht und heiter in seiner Melancholie, also im Geist der Bossa Nova, die Tragödie um das Buch und ihren Autor zeigt, wird nicht nur zufällig ein Film über Brasilien und sogar darüber hinaus. Die Brasilianer haben sich bei ihrer Präsidentenwahl für Jair Bolsonaro, einen ehemaligen Fallschirmjäger, der den Militärputsch und die Diktatur der Sechziger- bis Achtzigerjahre schönredet, entschieden.
Bolsonaro demonstriert gern, dass er alles ist, was Brasilianer in ihrer Musik nie waren. Erzreaktionär, rassistisch, schwulenfeindlich und sexistisch. Ihm gefällt der Titel „Trump der Tropen“. Wenn das neue Jahr beginnt, wird er sein Amt antreten, 60 Jahre nach „Hobalala“ von João Gilberto und der Schlagerzeile: „Jeder, der es hört, das Hó-Bá-Lá-Lá, wird im Herzen glücklich sein.“
Das Populäre ist nicht populistisch
„Der größte Verführer der Menschheit“ war João Gilberto für Marc Fischer. „Ich überrasche mich damit, João zu duzen“, flüstert Georges Charot im Film, während er das Phantom Brasiliens verfolgt. Das Populäre ist nicht populistisch. Man sieht Rio an, das es gelitten hat seit „Hó-Bá-Lá-Lá“. Es ist alt und missmutig. Unter dem Weiß der Hochhäuser am Strand zeigt sich das Grau, die Pools sind trüb und voller Schildkröten.
Aber dann hört man die Musik, die MPB, die Música Popular Brasileira, und die Utopie der Freiheit und der Gleichheit. Von João Gilberto bis zu seiner Tochter Bebel, die sein Erbe pflegt, aber im Film auch nur erwähnt wird wie ihr weltabwesender Vater. Nicht nur die Musik steht gegen das Gebrüll der Rechten, auch die sonnigen und schwebenden Gebäude Oscar Niemeyers oder der schwerelose Dramafußball von Neymar da Silva Santos Júnior.
Wer die Frage stellt „Wo bist du, João Gilberto?“, wirft die Frage auf: Folgt einer Zeit der Leichtigkeit, der Heiterkeit und Offenheit, folgt einer Zeit des Lichts immer die Finsternis wie 1964? Ob João Gilberto im Film wieder auftaucht, darf an dieser Stelle nicht nur nicht verraten werden. Es ist auch egal. Es geht darum, dass sich Brasilien und der Rest der Welt an ihn erinnern.