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Gesundheit „Implant Files“

Kaum Kontrollen bei Implantaten – Spahn gibt Defizite zu

Kaum Kontrollen bei Implantaten – Spahn gibt Defizite zu

Fehlerhafte Medizinprodukte, wie etwa Implantate, verursachen immer häufiger Verletzungen - bis hin zum Tod. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr mehr als 14.000 Fälle von medizinischen Problemen, Verletzungen oder Tod gemeldet.

Quelle: WELT/Sebastian Struwe

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Tote und Verletzte: Eine länderübergreifende Rechereche bringt den Implantate-Marktführer mit Tausenden Todesfällen in Verbindung. In Deutschland gibt es über 14.000 Verdachtsfälle – und ein viel zu lasches Prüfsystem.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will angesichts von Problemen mit Implantaten für mehr Transparenz bei Medizinprodukten sorgen. „Wir bauen eine industrieunabhängige Stelle auf, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“. Zugleich räumte er Defizite ein.

Der Marktführer in Medizintechnologie könnte laut einer internationalen Recherche mit bis zu 9300 Todesfällen und 292.000 Verletzungen allein in den USA in Verbindung gebracht werden. Die Implantate des US-Konzerns Medtronic seien in einem von fünf Fällen problematisch, berichtete das internationale Konsortium für Investigativen Journalisten (ICIJ) mit Verweis auf Berichte an US-Behörden. Die Rate der fehlerhaften Medizinprodukte von Medtronic ist demnach doppelt so hoch wie bei Konkurrenzunternehmen. WELT hatte Anfang 2016 über das lasche Prüfsystem bei künstlichen Gelenken hierzulande berichtet.

In Deutschland seien im vergangenen Jahr 14.034 Fälle gemeldet worden, bei denen es zu Verletzungen, Todesfällen oder anderen Problemen gekommen sei, die im Zusammenhang mit Medizinprodukten stehen könnten. Diese Verdachtsfälle nähmen stark zu, berichteten die an der Recherche beteiligten Sender NDR und WDR sowie die „Süddeutsche Zeitung“.

Den „Implant Files“ genannten Recherchen zufolge haben auch Behörden in Japan, Norwegen und Australien Medtronic-Produkte als größte Quelle für Beschwerden in den vergangenen fünf Jahren ausgemacht. Seit 2008 seien Insulinpumpen und Einzelkomponenten des Konzerns mit mehr als 2600 Todesfällen und 150.000 Verletzungen in Verbindung gebracht worden.

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Reporter befragten Patienten oder Familienmitglieder von Opfern in Deutschland, Finnland, Norwegen und Australien. Sie erzählten, Medtronic beantworte Rückfragen bei Problemen mit Insulinpumpen nur langsam und informiere Patienten nicht immer über die Risiken der Geräte.

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Die Zunahme der Meldezahlen wird seit Jahren von der zuständigen Behörde – dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – registriert und auch veröffentlicht. Die aktuellste Zahl auf der Website ist von 2016, als 12 000 Fälle gemeldet wurden.

Meldepflicht wird nicht erfüllt

Allerdings hat das Institut nach eigener Darstellung bei seinen Überprüfungen in der Vergangenheit festgestellt, dass bei rund 40 Prozent der Fälle das gemeldete Problem nicht von dem Medizinprodukt ausgegangen sei. Es sei also im rechtlichen Sinne kein meldepflichtiges „Vorkommnis“ gewesen. So bezeichnet das Institut beispielsweise eine Funktionsstörung oder unsachgemäße Bezeichnung eines Medizinproduktes, die zum Tod oder zur Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten geführt haben könnte.

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Für die Zunahme der Meldungen gibt es laut BfArM mehrere Gründe: Einerseits steige die Zahl der Medizinprodukte. Andererseits steige aber auch die Zahl der Meldungen bei Problemen. Es gebe ein deutlich verbessertes Meldeverhalten von Ärzten und Kliniken, sagte BfArM-Sprecher Maik Pommer. Das BfArM weise Mediziner und Krankenhäuser regelmäßig auf die Meldeverpflichtung hin.

An der Erfüllung dieser Meldepflicht mangelt es jedoch nach Angaben von NDR, WDR und „SZ“. Am Beispiel Brustimplantate werde dies deutlich: Im vergangenen Jahr wurden dem Rechercheverbund zufolge in deutschen Krankenhäusern 3170 Implantate herausoperiert, weil das Gewebe rund um die Silikonkissen schmerzhaft vernarbt gewesen sei; allerdings seien nur 141 dieser Fälle gemeldet worden.

Zu wenig Kontrollen in Europa

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Als weiteres Problem sieht der Rechercheverbund, dass solche Medizinprodukte in Europa nicht von staatlichen Stellen kontrolliert und zertifiziert werden müssten. Vielmehr erfolge dies durch private Institute, die im Auftrag der Hersteller tätig seien. Das BfArM ist nach eigenen Angaben nicht für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig, es registriert jedoch die Meldungen über Probleme.

Die zuständige US-Aufsichtsbehörde FDA erklärte die hohe Zahl von Beschwerden gegen Medtronic mit der führenden Rolle des Unternehmens auf dem Markt für Medizinprodukte. Das Recherchekonsortium zählte allerdings zahlreiche Fälle auf, in denen der Konzern rechtlicher und ethischer Verfehlungen beschuldigt wurde. Dabei ging es sowohl um den strittigen Einsatz von Implantaten als auch um fragwürdige Verbindungen zu Ärzten, die Medtronic-Produkte einsetzten oder Gefälligkeitsstudien über sie verfassten. 

Medtronic-Sprecher Rob Clark sagte, die Anschuldigungen seinen „keine Fakten“ und sollten nicht so ausgelegt werden, als ob das Unternehmen gegen „unsere rechtlichen, ethischen oder regulativen Verpflichtungen verstoßen“ hätte. Jegliches medizinische Produkt bringe ein gewisses Risiko mit sich, fügte er hinzu.

Medtronic stellt Geräte her, die helfen sollen, Diabetes zu kontrollieren, mit chronischen Schmerzen zurechtzukommen und die Auswirkungen von Parkinson zu mindern. Zudem hat es einen drahtlosen Herzschrittmacher in der Größe einer Arzneipille erfunden.

AFP/vwe

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