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Deutschland Merkel-Nachfolge

Ein Wettstreit, verstörend und gefährlich

Die CDU wagt etwas Neues - Etwas ganz Neues

CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler präsentierte bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des Bundesvorstands die mobile Papp-Wahlkabine für den kommenden Parteitag. Dort wird die faltbare Novität erstmals zum Einsatz kommen.

Quelle: WELT

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Simulation einer Debatte? Nein. Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn, die Bewerber um den CDU-Vorsitz, treten in überraschend harten Wettbewerb. Schon relativiert die Partei die Auseinandersetzung – in Sorge um die Zeit danach.

Die CDU wagt etwas Neues. Etwas ganz Neues. Diese Novität wird gefaltet wie ein Umzugskarton auf den Tischen vor den Delegierten des Hamburger Parteitags in knapp zwei Wochen liegen. Ertönt das Kommando, wird jedes der 1001 Parteimitglieder angehalten, ja verpflichtet die Pappe, auf der „Wahlkabine“ steht, zu entfalten und sich dahinter zu vergraben. Es wird der Moment sein, da die CDU ihren neuen Parteichef oder ihre neue Parteichefin wählt.

„Das ist der Versuch, Rechtssicherheit herzustellen“, sagt Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler über die Tischwahlkabinen. Noch nie habe die CDU diese Konstruktionen zum Einsatz gebracht. Parteichefs werden sonst bei den Christdemokraten halb offen gewählt. Weil es in der Regel ohnehin nur einen Bewerber gibt, reicht es aus, die Hand schützend vor den Wahlzettel zu halten, das Papier zu falten und in die Urne zu werfen.

Das Argument mit der „Rechtssicherheit“ ist natürlich nicht gelogen. Auch wenn es das bisherige Verfahren in ein schiefes Licht stellt. Es dürfte aber noch um etwas anderes gehen. Wirklich niemand soll seinem Nachbarn dabei zusehen können, für wen er sich entscheidet. Ob für Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn. Oder einen der weiteren 14 Bewerber um das Amt des Parteichefs.

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Sie haben sich anders als die genannten drei, die von Parteigliederungen nominiert wurden, alle selbst ins Spiel gebracht. Das geht. Auch noch in Hamburg. Ob es bei dieser Zahl bleibt, wird sich deshalb erst nach Ablauf einer zweistündigen Bewerbungsfrist gegen Mittag des 7. Dezember erweisen.

So viel Auswahl war nie. Die Sorge, dass Delegierte die Wahlentscheidung ihrer Nachbarn ungebührlich beeinflussen könnten oder sich gar deretwegen in die Wolle bekommen, ist also begründet. Auch deshalb die Tischkabinen. Die CDU ist nervös. Und das liegt am Verhalten der Kandidaten. Nach der vierten der acht Regionalkonferenzen zeichnet sich nämlich doch deutlich ab, dass sich die drei aussichtsreichen Bewerber nicht die Simulation einer Debatte liefern. Das birgt Risiken für die Partei.

Alle drei Kandidaten wurden von Angela Merkels Rückzugsankündigung kalt erwischt. Deshalb brachte keiner von ihnen eine fertige Kampagne mit, keiner trat mit einem klaren Profil in die Auseinandersetzung ein. Das erweckte zu Beginn die Erwartung, ein jeder würde sich in den kommenden Wochen lediglich als eine Art eigenständiges Stilangebot präsentieren. So war es zunächst auch. Merz und Spahn, die als Erste öffentlich ihre Bewerbung erklärten, setzten dabei sogar auf ähnliche Schlagworte. „Aufbruch und Erneuerung“ bei Merz, „Neustart“ bei Spahn.

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Das Thema Asyl und Integration dominiert den Wettstreit um den CDU-Vorsitz. In der aktuellen Forsa-Umfrage schneidet Annegret Kramp-Karrenbauer besser ab als ihre Konkurrenten. Im Interview mit WELT erklärt sie den Grund ihres bisherigen Erfolgs.

Quelle: WELT

Daraus lernte Kramp-Karrenbauer und unterließ es, ihrer Bewerbung eine Woche später ein Schlagwort voranzustellen. Mit Kontinuität trotz Veränderung wäre ihr Anliegen wohl am ehesten umschrieben. Alle drei setzten zunächst darauf, die ihnen zugeschriebenen Rollenmodelle zu pflegen. Spahn gab den jungen, anpassungsunwilligen Provokateur, Merz den an den politischen Entscheidungen der vergangenen Dekade Unschuldigen und trotzdem politisch Kundigen und Kramp-Karrenbauer die mit ihrer Partei zutiefst Verflochtene, die in allen politischen Witterungslagen bewährte Größe aus dem kleinsten Flächenland.

Bis heute hat keiner der Kandidaten die Möglichkeit genutzt, sich mit einem potenziellen Generalsekretär zu präsentieren. Das kann in Anbetracht des Fehlens einer von langer Hand vorbereiteten Kampagne nicht überraschen. Es fehlt allen dreien schlicht die Souveränität und das Standing, auch noch Verantwortung für eine Nummer zwei zu übernehmen.

Den Vorteil, den die mit einer solchen Person verbundene inhaltliche Verbreiterung oder Profilierung bringen könnte, sehen sie wohl eher als Risiko. Auch wenn die geschmeidige Organisation der Regionalkonferenzen und des Parteitags das Gegenteil suggeriert: Die Suche nach einem neuen CDU-Chef bleibt eine improvisierte.

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Deshalb hat die CDU derzeit auch noch keine Ahnung, wie sie deren Folgen für die Partei einzuschätzen hat. Offensichtlich ist: Die Auseinandersetzung wird zusehends härter. Hatten die drei zu Beginn betont, fair miteinander umgehen und alles dafür tun zu wollen, die Partei nicht zu polarisieren, so ist von diesem Schwur nur noch der erste Teil gültig. Fair ist die Debatte nach wie vor, aber sie ist für die Partei mindestens ungewohnt, bisweilen verstörend, wenn nicht schon gefährlich.

Wechselweise haben die Kandidaten einander härter als zu erwarten angegangen. Sie sind dabei auch persönlich geworden. Besonders auffallend war, wie Kramp-Karrenbauer auf Merz’ Vorwurf reagierte, die CDU habe den Aufstieg der AfD „achselzuckend zur Kenntnis“ genommen.

Als „Schlag ins Gesicht“ charakterisierte sie dies unter Verweis auf alle, die in Wahlkämpfen gegen die AfD gekämpft hätten. Dass sie damit sich selbst meinte, lag auf der Hand, schob sie doch hinterher, ihre letzte Wahl im Saarland mit gut 40 Prozent gewonnen zu haben, während die AfD bei sechs Prozent landete. Auf die Bemerkung von Merz, er traue es sich zu, die AfD zu halbieren, sagte sie: „Der eine traut sich’s zu. Die andere hat’s bewiesen. Das ist der Unterschied.“

Manche Empfindlichkeit tritt zutage

Der letzte Satz hätte nicht auch noch sein müssen, sagt dazu einer nach der CDU-Vorstandssitzung am Montag. Auch andere hat Merz damit provoziert. „Wo war eigentlich Friedrich Merz, als wir intern wieder und wieder um den Umgang mit der AfD gerungen haben“, fragt Karin Prien, Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, auf Twitter. Wie sie dürfte mancher Delegierter denken. Die Bemerkung war wohl Merz’ größter taktischer Fehler bisher.

Auch Spahn und Kramp-Karrenbauer sind schon aneinandergeraten. Dass Kramp-Karrenbauer ihre lange bekannte ablehnende Haltung gegenüber der Ehe für alle wiederholte, griff Spahn auf. Das habe ihn, der mit einem Mann verheiratet ist, „persönlich“ getroffen.

Manche Empfindlichkeit tritt inzwischen zutage. So hatte Merz bei der Regionalkonferenz in Thüringen eine Grundsatzdebatte über das Asylrecht angestoßen. Als die nicht so lief, wie er sich das vielleicht vorstellte und auch seine Mitbewerber sich klar von ihm absetzten, ruderte er zurück; nicht aber, ohne den Medien die Schuld zu geben. Er sei bereit, „das eine oder andere noch mal zu erklären, wenn das den einen oder anderen Journalisten überfordert“, sagte er am nächsten Tag in Sachsen-Anhalt. „Kein guter Stil“, kommentiert ein Vorstandsmitglied am Montag.

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Kramp-Karrenbauer, die zunächst den kühlsten Kopf bewahrte, kann manches offenbar nicht mehr hören. In einem Interview mit der Funke-Mediengruppe am 10. November antwortete sie auf den Hinweis, dass sie als „Mini-Merkel“ gelte: „So etwas ficht mich nicht an.“ Am vergangenen Samstag sagte sie vor der Senioren-Union in Magdeburg: „An mir ist überhaupt nichts mini!“ Wäre sie ein Mann, kämen solche Vergleiche überhaupt nicht auf.

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Auf den Regionalkonferenzen zeigt sich noch keine Lagerbildung. In den sozialen Netzwerken allerdings hauen die Merz-Fans auf die Kramp-Karrenbauer-Fans ein. Der eine droht dabei dem anderen mit Parteiaustritt. Die Spahn-Unterstützer sind in der Minderheit. Auch virtuell erweist sich der Dreikampf klar als Zweikampf.

Die Sorge, dass aus solchen bisher noch spontanen Meinungsbekundungen am Ende womöglich ein Trend werden könnte, drückt Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, aus: „Auch nach der Wahl muss die Partei zusammenbleiben. Es wird auch Verlierer geben auf diesem Parteitag.“ Umso wichtiger sei es, dass alle, die jetzt im Wettbewerb stünden, danach bereit seien, für die CDU weiterzuarbeiten.

Es ist eine Aufforderung, keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Nur Spahn hat schon erklärt, nach einer Niederlage an führender Stelle in der CDU mitarbeiten zu wollen. Weder hat er bisher sein Amt als Minister noch das im Parteipräsidium von einer erfolgreichen Kandidatur abhängig gemacht. Anders als Kramp-Karrenbauer. Sie lässt ihr Amt als Generalsekretärin nicht nur ruhen, sie will es auch keinesfalls wieder aufnehmen. Auch als Ministerin stünde sie nicht zur Verfügung. Nur „ehrenamtlich“ wolle sie weiter für die Partei arbeiten.

Merz hat bisher nur das Unausweichliche angekündigt, nämlich im Falle seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden seine zahlreichen Aufsichtsratsposten und seine Anwaltstätigkeit ruhen zu lassen. Ob er in der CDU wieder aktiv mitgestalten will, ist unklar. Kramp-Karrenbauer hat ihn in einem Anflug von Keckheit aufgefordert, aus seiner Steuererklärung auf einem Bierdeckel eine App fürs Handy zu machen.

Dass die Auseinandersetzung inzwischen über Stilfragen weit hinausgeht und stattdessen zahlreiche Grundsatzfragen anstößt, bringt die CDU ins Schwitzen. So sehr sie von der Auswahl „beseelt“ ist, wie Bundesgeschäftsführer Schüler es formuliert, so sehr bemüht sie sich, den Eindruck zu vermeiden, sich in Lager spalten zu lassen.

Streit? „Das ist sportlicher Wettbewerb“

„Das ist kein Streit!“, insistiert Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. „Polarisierung? Das ist weit davon entfernt. Das ist sportlicher Wettbewerb“, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl.

Er könne bisher nicht erkennen, dass eine Spaltung stattfinde, sagt der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert. Schickt aber hinterher: „Aber nicht alle Annahmen, die diese Einschätzung begründen, sind in Beton gegossen.“ Und Klaus Schüler gibt zu: „Da ist man hinterher immer schlauer.“ Alle drei hätten aber den „Willen und die Fähigkeit, die Partei zusammenzuführen“. Muss man nicht eigentlich nur zusammenführen, was vorher getrennt wurde? Irgendwann werden die Wahlkabinen zusammengeklappt – und die CDU-Mitglieder müssen sich wieder in die Augen sehen.

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