Ganz. Unten. So beginnt „The House That Jack Built“: Aus dem Dunkel dringt ein Plätschern, da watet jemand durchs Wasser. Wir hören die Stimmen zweier Männer. Der eine fragt, ob er „währenddessen reden“ dürfe. Die unverkennbare Untergangsstimme von Bruno Ganz antwortet müde, aber gelassen: Die Wenigsten schafften es, „währenddessen zu schweigen“. Der andere solle nur „heiter“ draufloserzählen, sich aber bloß nicht einbilden, dass ihm, dem Zuhörer, irgendetwas davon neu sein werde.
Es geht ums Kino, auch da können ja manche einfach nicht die Klappe halten, und wirklich neu ist im Kino auch selten etwas. Allein der Titel: „The House That Jack Built“ hießen bereits eine amerikanische Fernsehserie, ein Horrorfilm und ein Familiendrama. Lars von Trier, dem manche Kritiker eine gewisse Antimodernität bescheinigen, greift für die Rahmenhandlung der nun folgenden „heiteren“ Erzählungen auf etwas noch viel Abgehangeneres zurück: auf den antiken Topos der Überfahrt ins Totenreich, mit Bruno Ganz als Charon, als Fährmann.
Zur Erinnerung: Von Trier redete sich vor sieben Jahren bei den Filmfestspielen in Cannes als Hitler-Versteher um Kopf und Kragen und erhielt Hausverbot, wo er schon für „Dancer In The Dark“ die Goldene Palme gewonnen hatte. Nach mehrjährigem Schweigen durfte er in diesem Jahr mit seinem „Jack“ wieder an die Croisette, wenn auch außer Konkurrenz. Da besetzt er also mit Ganz ausgerechnet den Hitler-Darsteller aus dem „Untergang“ als Führer durch die feuchte Unterwelt. Sein Charon heißt Verge, was an den römischen Dichter Vergil erinnert, den Dichter der „Aeneis“: Deren Held Aeneas verschafft sich mit einem goldenen Zweig Zugang zur Unterwelt. „Verge“ heißt aber auch Rute. Und Penis. Von Trier zeigt uns den Mittelfinger.
Schon sind wir mittendrin. Wir glauben zu wissen, was in jenem ewigen Augenblick vor dem Tod passiert, auf dem Weg ins Licht: Da bastelt sich der Mensch seinen eigenen Film über sein Leben, sein Best-of. Im Fall des Serienmörders Jack, gespielt von Matt Dillon mit stechendem Blick, handelt der Film von fünf Morden oder, wie er sie nennt, „Vorfällen“. Inszenieren wird er diese fünf von mehr als 60 als Stationen eines zur Kunst Berufenen, der es vom anfänglichen Ungeschick bis zur selbst ernannten Meisterschaft bringt.
Großzügig liegen die Köder aus, die einen dazu verführen, zwischen dem Meisterkiller und dem Meisterfilmer Parallelen zu ziehen. Wie Jack seine Werke Revue passieren lässt, baut von Trier Fragmente aus seinem ebenso disparaten Filmschaffen ein. Fehlt noch das Psychiatrische. Zu seiner Depression und seiner Alkoholkrankheit hat sich von Trier im Zuge seiner Arbeiten an „Antichrist“ und „Melancholia“ bereits bereitwillig geäußert. Zeit für Diagnose und Bilanz: Ihr wollt doch immer so gern wissen, wie so ein Verrückter tickt, scheint er mit „Jack“ zu sagen und steigt mit uns hinab in die Siebzigerjahre, in eine entlegene Gegend von Amerika. Die Kamera wirkt unsicher wie Jack bei seinen ersten Taten.
Das erste Opfer (Uma Thurman) schwatzt sich ihm auf, eine Frau mit Reifenpanne, die unaufhörlich quasselt und findet, Jack sehe aus wie ein Serienkiller, im Wagen sei doch Platz für eine Leiche, und ob er ihr mit dem „Jack“, dem Wagenheber, helfen könne. Sie wird seine Muse. Nachdem wir sehen, wie Jack mit dem Wagenheber das Gesicht der Frau zertrümmert, ergänzt durch ein kubistisches Frauenporträt von Picasso, sitzt er auch schon daheim unter dem Spitzbogen, fertigt Pläne für ein Haus, dessen Rohbau er dreimal abreißen wird (er ist Ingenieur, wäre aber gern Architekt), und schwadroniert über die Baukunst der Gotik, die er für ihren „geringeren Materialverbrauch“ lobt.
Verge hört sich das alles an, doch im Unterschied zu Seligman (Stellan Skarsgård), der in „Nymphomaniac“ Joes (Charlotte Gainsbourg) Geschichten lauscht, nimmt Verge eben nicht die Rolle des Therapeuten ein, der alles gelten lässt. Verge verspottet Jack als „lächerlichen Typen“ mit Ordnungszwang, als „blöden Neurotiker mit Drang zu Höherem“. Wir hören Ich und Über-Ich im Streit. In einem Kühlhaus versammelt Jack seine Opfer und drapiert sie am Ende zum ultimativen Kunstwerk, einem Haus, das, nun ja, Hand und Fuß hat.
Was aber haben nun der beim Klavierspiel mitsummende Glenn Gould, Hitler und ein Reigen weiterer Diktatoren und Künstler damit zu tun, die immer wieder in den Film hineincollagiert werden, begleitet von Jacks kunsttheoretischen Ausführungen? Wohl das: Es gibt Künstler, die Marotten haben (Goulds Brummen, vielleicht auch von Triers Ausfälle in Cannes), Pseudokünstler, die ebenfalls Marotten haben und deshalb oft nicht leicht von den ersten zu unterscheiden sind. Und es gibt Pseudokünstler, die Leichenberge produzieren. Verge zufolge ist Kunst übrigens immer dann pseudo, wenn ihr eines fehlt: die Liebe.
Jack, der als Identifikationsfigur wenig taugt, der vor dem Spiegel seine Mimik probt wie Hitler, kann nur tun, was er tut, weil einem in „dieser verfluchten Welt“, wie er einem Opfer erklärt, keiner hilft. Serienkiller, die lange nicht auffliegen, stehen so hartnäckig unter Genieverdacht, dass auch in den Cannes-Besprechungen die Formel vom „hochintelligenten“ Jack nachgebetet wurde, die auch im Presseheft steht. Jack kann aber nichts. Wie er einen toten Jungen zurechtmacht, den er den „Miesepeter“ nennt, wie er ihm die Augenlider aufreißt und fixiert und ihm ein grausiges Lächeln ins Gesicht näht, ist entsetzlich anzusehen. Lächerlich aber wird eine solche Zurichtung, als Jack sich selbst eine besondere Präparationskunst bescheinigt, über die er augenscheinlich nicht verfügt.
Überzeugt von der eigenen Grandiosität, nennt er sich „Mr. Raffinesse“. Doch Jacks Anspruch und das Ergebnis seiner Taten stehen, anders als bei Lars von Trier, so kreischend im Widerspruch, dass „The House That Jack Built“ der vielleicht lustigste Film des Regisseurs geworden ist, eine bis zum expressiven Ende große Meditation über das Lächerliche, an dem alle Anteil haben, die die gefährlichsten Arschlöcher der Weltgeschichte nicht verstehen, aber bewundern und gewähren lassen, immer wieder aufs Neue.